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2. July 2002, 15:42   #9
tw_24
 
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Ich glaube, daß es sich wirklich nur um einen "Zwischenfall" handelt, den keines der beiden Koreas ernsthaft provozieren wollte. Möglicherweise sind sich die beteiligten Schiffe einfach zu nahe begegnet, worauf dann einer (oder alle) Befehlshaber durchdrehten und meinten, dem jeweils anderen zeigen zu müssen, was sie können. Vorher wurde dann natürlich noch an die Oberen in der Heimat gemeldet, daß die andere Seite versucht, einen Zwischenfall zu provozieren - die offiziellen Schuldzuweisungen folgen ja auch diesem Muster. Einfach "menschliches Versagen" kann man, gerade beim Militär, ja auch kaum eingestehen.

Aber wenn wir trotzdem einmal annehmen, daß da eine Seite eine militärische Auseinandersetzung provozieren wollte, stellt sich die Frage, wer überhaupt etwas davon haben könnte.

Südkorea hat sicherlich kein Interesse daran, den Norden von irgendeinem finsteren -ismus zu befreien. Die Folgen wären nämlich verheerend. Bei dem wirtschaftlichen Unterschied, den es zwischen diesen beiden Staaten gibt, wäre der Norden für die südkoreanische Industrie sicher als Absatzgebiet interessant - nur dürften die neuen Konsumenten recht schnell verarmen. Denn zugleich mit der Eroberung des neuen Absatzmarktes würde zwangsläufig die Industrie sterben, die es im Norden vielleicht noch gibt - ganz ähnlich wie bei der deutschen Wiedervereinigung, aber mit einiger Sicherheit noch viel schneller und nachhaltiger. Und dann hätte der "reiche" Süden ein Riesenproblem: die Brüder und Schwestern aus dem Norden. Diese würden nämlich zu einer Völkerwanderung gen Süden aufbrechen, wenn man ihnen nicht innerhalb kürzester (!) Zeit blühende Landschaften vor die Nase setzt. Doch das klappt - wieder hilft der Blick nach Deutschland - nicht von heute auf morgen. Ein möglicher südkoreanischer militärischer Sieg über den Norden wäre daher am Ende wohl doch eher eine Niederlage.

Ähnlich sieht es für Nordkorea aus. Natürlich könnten die weisen und greisen Führer jederzeit einen Krieg proklamieren, der dazu dienen soll, die unter der ausbeuterischen Knechtschaft des Kapitalismus leidenden Brüder und Schwestern im Süden zu befreien. Aber so naiv sind sie wohl nur in der Theorie und - vielleicht auch - in der Propaganda. In der Praxis würden nordkoreanische Soldaten - ihr erfolgreiches Vorrücken vorausgesetzt - massenweise zum Feind überlaufen, wenn sie sehen, wie "schlecht" es den Kapitalistenknechten geht. Für das nordkoreanische Regime käme dies einem Selbstmord gleich, und Südkorea hätte das schon geschilderte Problem einer drohenden Völkerwanderung. In gewisser Weise wäre das dann doch noch ein Sieg für die nordkoreanischen Kommunisten/Stalinisten/Maoisten/Irgendwasisten (Was für -isten sind das eigentlich?), sie könnten ihren Sieg über den Kapitalismus jedoch nicht mehr feiern. Und deshalb, meine ich, werden sie auch alles tun, um die Lage nicht weiter zu eskalieren.

Nun zu den "Großen" in diesem Trauerspiel: die USA und China (Rußland ist ja mittlerweile handzahm und damit vorerst aus dem Rennen). Gottesmann George W. Bush hat Nordkorea der "Achse des Bösen" zugeordnet, von der er meint, sie bedrohe den Weltfrieden. Das tut der selbsternannte Weltpolizist mit der Androhung atomarer Erstschläge in jedem Fall in weitaus größerem Umfang, während die nordkoreanische Regierung bei aller ideologischer Selbstüberschätzung sicherlich weiß, daß sie in einer kriegerischen Auseinandersetzung unterliegen würde. Gewisse Unterstützungsmaßnahmen für Terroristen kann ich da zwar auch nicht ausschließen - im revolutionären antiimperialistischen Befreiungskampf hilft man sich ja manchmal -, doch Beweise dafür konnte Cowboy George bisher nicht liefern. Nordkorea dürfte daher auch in den strategischen Planungen der US-Administration eine Nebenrolle spielen. Es gibt in Nordkorea eigentlich nichts zu gewinnen. Anders sähe es aus, wenn man das als "Befreiung" Nordkoreas von einem -ismus deklarieren würde. Emanzipatorisch betrachtet wäre dann ein Krieg durchaus dem Fortschritt dienlich. Doch nur um Menschenrechte haben die USA noch nie Krieg geführt, ihren eigenen Bürgerkrieg (Nord vs. Süd) vielleicht einmal ausgenommen, obwohl an dessen Ende ja Farbige noch immer diskriminiert wurden.

China hat möglicherweise tatsächlich ein Interesse am Erhalt Nordkoreas als eine Art Puffer zwischen dem us-unterstützten Südkorea und dem eigenen Staatsgebiet. Fiele Nordkorea dem Kapitalismus in die Hände, bestünde nach meiner Meinung allerdings noch lange nicht die Gefahr, daß dem chinesischen Staatskapitalismus eine ernsthafte Gefahr drohen würde. Hongkong wurde recht erfolgreich geschluckt, das seither als "westlicher" Wirtschafts- und Demokratiestandort viel von seiner Bedeutung verloren hat. Militärisch für Nordkorea würde China sich wohl eher nicht engagieren, die Kosten wären angesichts des möglichen Nutzens wohl eher zu hoch.

Also, was immer an offizieller Rhetorik nun noch kommt - ich tippe auf "menschliches Versagen".

MfG
tw_24