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9. August 2002, 12:44   #3
tw_24
 
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Zitat:
Zitat von quentin
tw, wie du bei loddar Bild und Freiheit der Presse unter einer Headline bekommst, ist mir bei der von dir angegebenen Kenntnis ein Rätsel.

ach ja, deine Lektüre ist unvollständig und zwar eklatant, wenn du das Buch des Nobelpreisträgers Heinrich Böll ' Bild, Bonn, Bönisch ' nicht zur Meinungsfindung hast.
Das Büchlein kenne ich in der Tat nicht :-(. Aber Benno Ohnesorg und Rudi Dutschke sind mir durchaus begrifflich bekannt, auch habe ich gestern extra nochmal in einem Riesenwälzer der Bundeszentrale für politische Bildung zur Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland geblättert ...

Daß BILD irgendwann mal als gänzlich politikfreies Konkurrenzblatt zu einem eher esoterisch angehauchten Springer-Produkt gegründet wurde, ist mir auch noch bekannt. Und ich gestehe auch gern zu, daß BILD heute eher konservative Politik vertritt - ein Beispiel dafür folgt gleich ;-) -, aber wie ich bei der New Yorker Konkurrenz auch schon sagte bzw. Lenin zitierte: Es gibt keine wirklich objektive, "reine" Information, in keinem Blatt, auch nicht in der Süddeutschen oder der Jungen Welt. Eine andere Ebene wäre die rein journalistische Qualität eines Blattes/TV-/Radio-Senders. Und da siedele ich die BILD eher am unteren Ende der Qualitätsskala an. Aber nun mal zu einer wirklichen Kampagne, die die BILD vor kurzem gefahren hat, gegenüber der die Flugmeilen-Affärchen eher harmlos waren bzw. sind.

In der rechts-konservativen Jungen Freiheit ließ sich am 26.07.2002 Hans-Peter Uhl (CSU-Bundestagsabgeordneter, zuvor Kreisverwaltungsreferent in München, der die rechtswidrige (!!) Abschiebung "Mehmets" anordnete) unter der Überschrift "Handelt endlich!" zum "Fall Mehmet" so aus: "Mit dem Urteil [des Bundesverwaltungsgerichts - tw_24] wird uns die effektivste Möglichkeit genommen, gegen ausländische Straftäter vorzugehen. Denn die Gefahr, abgeschoben zu werden, hat eine viel höhere Abschreckungswirkung als Jugendstrafen. [..]

Die zu erwartende baldige Rückkehr von Mehmet erfolgt auf Kosten des Steuerzahlers und gefährdet unsere Sicherheit. Beides ist für die deutsche Bevölkerung unzumutbar."

Ob ein in Deutschland geborenes Kind von seit mindestens zwei Jahrzehnten in Deutschland lebenden Eltern überhaupt als "Ausländer" bezeichnet werden kann, will ich hier nicht weiter debattieren.

Die Argumentation dieses der christlichen Nächstenliebe verpflichteten Abgeordneten aber, die ich nicht nur als "konservativ", sondern als völkisch-rassistisch - oder auch: nationalsozialistisch - bezeichnen würde, findet sich auch in einem anderen Blatt wieder, das leider viel mehr Leser hat als die Junge Freiheit, die manchmal dennoch lesens- und empfehlenswert ist.

Während die Junge Freiheit immerhin von NRW-Verfassungsschützern mit wachsamen Augenpaaren gelesen und regelmäßig in ihren Berichten negativ erwähnt wird (Vielleicht wird die JF auch von V-Autoren zugetextet?), gehört die BILD als Tageszeitung sogar zu den medialen Sprachrohren der (a)sozialdemokratischen deutschen Regierung - trotz (oder wegen?) einer Strafanzeige des SPD-Generals Müntefering (Ironie des Schicksals: Vorgestern nutzte Gerhard Schröder die BILD, um sich als Pazifist zu outen: ["{..} deshalb warne ich vor einem Angriff auf den Irak. Er würde weniger als Verteidigung verstanden und könnte die internationale Allianz gegen den Terror zerstören."] Nehmen wir Jürgen Trittins Einschätzung des bunten Boulevardblättchens als Maßstab für die Glaubwürdigkeit der vermittelten Message des Amtsinhabers, so ist dessen Pazifismus eine perfide Lüge, eine populistische Erfindung ... Das (vorsätzlich) genutzte Medium entlarvt den Betrüger ... Danke, BILD :-(!).

Aber zurück zum Schreckgespenst "Mehmet". BILD bließ nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bließ BILD regelrecht zur Menschenjagd - und kaum jemanden hat es gestört. Auch nicht den bedauernswerten Politiker Franz Müntefering ...

Da wurde "Mehmet", der in der Diaspora in der Türkei nicht straffällig wurde, zum "plötzlichen Musterknaben" erklärt, denn "erfahrungsgemäß stehen die Resozialisierungs-Chancen dieser Jugendlichen schlecht", wie BILD einen Jugendpsychologen verkünden ließ, und das "macht jeden ehrlichen Bürger zornig" kommentierte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer ebenfalls in dem Blatt.

Für BILD steht also schon fest, wie die Sache enden wird (und möglicherweise liegt sie damit auch richtig), daher wird noch schwereres Geschütz gegen "Mehmet" aufgefahren: "Wenn Serien-Straftäter Mehmet (18) nach Deutschland zurückkehrt, stehen ihm Sozialhilfe und eine Wohnung zu!" Hier werden gleich zwei Klischees bemüht: zunächst wird nach dem Motto "Wer einmal aus dem Blechnapf frißt ..." durch die Wortwahl "Serien-Straftäter" suggeriert, es käme da ein unverbesserlicher Ausländer nach Deutschland, um dort weiterzumachen, wo er vor drei Jahren aufhörte. Verbunden wird dies dann auch noch mit dem Schüren von Sozialneid ("Frei nach dem Motto: Wir haben´s ja ..."), der sich in diesem Fall ausdrücklich gegen das richtet, was nach BILD-Ansicht "ausländisch" ist, denn nach der Diktion des Blattes wurde "Mehmet" vor drei Jahren abgeschoben "in sein Mutterland, die Türkei". (Auch hier ist die Wortwahl interessant: Warum eigentlich "Mutterland" und nicht "Vaterland"?)

Und ohne es explizit zu sagen, wird damit auch gleich alles erledigt, was "türkisch" oder "nicht-deutsch" ist: "Mutterland" Türkei - "Serien-Straftäter" - das "macht jeden ehrlichen Bürger zornig". Da fehlt nur noch eine Frage, die BILD dann auch tatsächlich stellte: "War dies wirklich ein Urteil im Namen des Volkes?"

Wer möchte da nicht Selbstjustiz üben?

Daß die Abschiebung "Mehmets" ohne seine Eltern rechtswidrig war, tritt da in BILD völlig in den Hintergrund - in der zweifellos noch rechteren Jungen Freiheit wird dagegen immerhin theoretisch über eine neue Strafe "Abschiebung" in eine herbeiillusionierte "Heimat" nachgedacht und weniger auf "Mehmet" (verbal) eingeschlagen. BILD schürte Haß auf einen einzelnen Menschen, der sich kaum wehren kann.

[Exkurs]
Allerdings steckt hinter beiden Menschenbildern tatsächlich eine völkisch-rassistische Ideologie, die Menschen wegen ihrer Herkunft einer Ethnie (einem Volk) zuordnet, mit dem sie vielleicht gar nichts zu tun haben (wollen). Der "Türke" "Mehmet" - in München aufgewachsen - hat ein "Mutterland", das ganz sicher nicht als seine Heimat angesehen werden kann, doch weil er "Türke" ist, wurde die Türkei zu seiner eigentlichen Heimat erklärt. Das erinnert mächtig an den nationalsozialistischen Antisemitismus, nach dem ein Jude auch dann noch als Jude galt, wenn er sich als überzeugter Katholik betätigte ...
[/Exkurs]

BILD jedenfalls hat in der Berichterstattung über "Mehmet" wenig mit Fakten gearbeitet, sondern mit Stimmungen, Vermutungen, Indizien - und sie hat Stimmungen geschürt. Bei der Thematisierung der Bonusmeilen-Affäre ging es dagegen mehr um Fakten, erst dann kam die "Moral".

MfG
tw_24