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Operation "TIPS"
OPERATION "TIPS"
Bush will ein Land voller Spitzel
Von Alexander Schwabe
Nahezu ein Jahr nach den Anschlägen vom 11. September versucht US-Präsident George W. Bush das Land in eine Gesellschaft voller Spione zu verwandeln. Im August startet die Operation "TIPS", seine neueste Waffe im Kampf gegen den Terrorismus. Sollte sich das Pilotprojekt bewähren, wird die Spitzel-Quote in den Staaten bald höher sein, als sie in der DDR je war.
Hamburg - William Harvey ist ein mutiger Mann. Rund drei Wochen nach den verheerenden Angriffen auf das World Trade Center stellt er sich in Manhattan nahe Ground Zero hin und hebt ein Schild in die Höhe, auf dem das World Trade Center abgebildet ist. Auf dem Poster ist neben den Türmen das Konterfei Osama Bin Ladens zu sehen. Harvey verteilt auch Flugblätter und sagt jedem, der es hören will: "Amerika muss dafür büßen, was es islamischen Ländern antut."
Freilich wollte dies niemand hören. "Sperrt diesen fucking guy ein, bevor ich ihn erschieße", rief ein empörter Mann aus der Menge. Diese Forderung wurde schnell erfüllt. Harvey wurde festgenommen und wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angeklagt.
Noch fünf Monate nach dem 11. September schmetterte ein Gericht Mitte Februar Harveys Antrag ab, die Klage fallen zu lassen. Der New Yorker Richter Neil Ross begründete die Ablehnung damit, dass Harvey in Kauf genommen habe, Ärger zu machen. Dabei hatte er nicht mehr getan als seine Meinung gesagt - ein fundamentales Verfassungsrecht.
Das Imperium rüstet sich mit einem Bürgerheer
Es war eingetreten, was der amerikanische Philosoph und Literaturwissenschaftler Richard Rorty gleich nach dem 11. September befürchtet hatte: Wenn ein Land Krieg führt, leiden die Bürgerrechte. Bereits eine Woche nach den Anschlägen beklagte der Stanford-Professor die Arroganz der US-Regierung und bescheinigte den Staaten, einem Imperium ähnlicher zu sein als einer Republik.
Seither ist das Imperium dabei, neue Truppen zu rekrutieren, um gegen einen nahezu unsichtbaren Feind, den Terrorismus, ins Feld zu ziehen. In den USA soll sich ein gigantisches Bürgerheer Freiwilliger formieren, welches das ganze Land überziehen wird. Aufgerüttelt von den Auswirkungen der Angriffe des 11. September und getragen vom Gefühl, in der Schuld des Vaterlandes zu stehen, sind die Amerikaner von Florida bis Oregon, von New Mexico bis Maine aufgerufen, sich für das "USA Freedom Corps" registrieren zu lassen.
Jeder Amerikaner soll zwei Jahre opfern
US-Präsident George W. Bush versucht die patriotische Stimmung im Land zu nutzen. Ihm schwebt vor, dass alle Amerikaner etwa zwei Jahre ihres Lebens in den Dienst der Sicherheit des Vaterlandes stellen - in 4000 Einsatzstunden verteilt über ihre Lebenszeit. 560 Millionen Dollar will Bush allein für die Organisation der "Citizen Corps" ausgeben.
Insgesamt lässt sich die Regierung die staatsicherheitliche Aufrüstung viel mehr kosten. Das von Bush konzipierte Ministerium für nationale Sicherheit soll 170.000 Mitarbeiter haben und zu einem der größten Regierungsapparate der USA ausgebaut werden. Diese Heimatschutzbehörde will der Präsident mit einem Jahresbudget von 37,4 Milliarden Dollar ausstatten.
Wichtigtuer, Naseweise, Spanner und Schnüffler
Das "Citizen Corps" soll aus fünf schlagkräftigen Divisionen bestehen: Das "CERT" (Community Emergency Response Team, Team für Notfälle in Gemeinden), das Medical Reserve Corps (Einsatzgruppe für medizinische Versorgung), die Initiative Neighborhood Watch (Nachbarschaftsüberwachung), den "VIPS" (Volunteers in Police Service, Freiwillige für den Polizeidienst) und das "TIPS" (Terrorism Information and Prevention System, das Terrorismusinformations- und Vorbeugesystem).
Besonders "TIPS" hat den scharfen Protest von Verfassungsrechtlern und Bürgerrechtlern hervorgerufen. Einige befürchten, dass sich das Land in eine Gesellschaft von Aufdringlingen, Wichtigtuern, Schnüfflern und Naseweise verwandeln könnte. Rachel King, Rechtsberaterin der 1913 gegründeten American Civil Liberties Union (ACLU), der einflussreichen Bürgerrechtsorganisation, sagt: "Die Regierung will offenbar ein Programm einführen, das Gasinstallateure, Telefonvermittler und Elektriker in von ihr herangezogene peeping toms (Spanner) verwandelt."
Verdächtige terroristische Aktivitäten
Nach Angaben des Zentrums für Verfassungsrecht in New York soll auf 24 Amerikaner ein Informant kommen, der für das Justizministerium Augen und Ohren offen hält. Rund vier Prozent der amerikanischen Staatsbürger sollen zivile Spione werden, die "verdächtige terroristische Aktivitäten" an die Behörden melden. Tom Ridge, Sicherheitschef der Heimatlandbehörde, ist bereits in die Defensive geraten. Er beteuert: "Das letzte, was wir wollen, ist, dass Amerikaner Amerikaner ausspionieren."
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