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31. August 2002, 18:30   #1
jupp11
 
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Ausbeutung a la USA

Aus der ZEIT:
Zitat:
Vorsicht, Kamera!
Unglaubliche Geschichten aus der Arbeitswelt in den Vereinigten Staaten /
VON CHRISTIAN TENBROCK
Telefone werden abgehört, versteckte Kameras überwachen Fabrikhallen und Bürozimmer, Manager lesen die E-MaiIs ihrer Untergebenen. In Vorstellungsgesprächen wird nach dem Sexualleben der Bewerber und ihrem Verhältnis zur Religion gefragt. Über die Einstellung entscheiden Urinproben oder genetische Tests. Politische Meinungsäußerung am Arbeitsplatz wird nicht geduldet, gewerkschaftliche Tätigkeit mit Argwohn und offener Ablehnung beantwortet. Entlassungen sind jederzeit möglich - auch ohne die Angabe von Gründen und meist ohne die Chance, gegen sie vorzugehen.

Dies ist nicht die Beschreibung des Alltags in einer Diktatur Asiens oder Afrikas. Dies ist die Darstellung der Arbeitswelt in den Vereinigten Staaten von Amerika.

In den neunziger Jahren hat die US-Wirtschaft weit über 20 Millionen neue Jobs geschaffen. Die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr. Wer arbeiten will, kann Arbeit bekommen - und wird neuerdings dafür auch mit steigenden Löhnen und Gehältern belohnt. Das ist die eine Seite.

Die andere: Viele Grundrechte, die Amerikas Verfassung ihren Bürgern im täglichen Leben garantiert, gelten in manchen - nicht allen - Privatunternehmen wenig. Millionen Amerikaner, so sagen es Bürgerrechtler, geben morgens, vor Arbeitsbeginn, an Fabriktoren oder Büroeingängen ihre Rechte ab. Erst am Abend, nach Dienstschluss, können sie wieder auf sie zählen.

Arbeitsgesetze in den Vereinigten Staaten verbieten die Diskriminierung der Beschäftigten wegen ihrer Rasse, ihres Alters, ihres Geschlechts oder ihrer Religion. Weitgehend ungeschützt sind dagegen - zumindest in privaten, nicht gewerkschaftlich organisierten Firmen - die Privatsphäre von Arbeitern und Angestellten, die Versammlungsfreiheit und das Recht auffreie und ungehinderte Meinungsäußerung. Beschäftigte dürfen ein Kreuz am Hals oder eine jüdische Jarmulke auf dem Kopf tragen -aber schon ein politischer Slogan auf dem Hemd reicht als Entlassungsgrund.

Fast unglaublich, aber wahr: 1996 wurde im texanischen Dallas der Supermarktangestellte Sam Young gefeuert, weil er - einen Tag vor deren Spiel gegen die lokalen Dallas Cowboys -ein T-Shirt mit dem Emblem des Football-Clubs Green Bay Packers trug. Wie die Tageszeitung Dallas Morning News berichtete, verstieß Young damit gegen ein Edikt seines Arbeitgebers, der allen Beschäftigten befohlen hatte, T-Shirts der Cowboys anzuziehen. Ähnliches passierte Gonzalo Cotto, der im April 1991 vom Kriegsgerätehersteller Sikorsky entlassen wurde. Das in Stratford/Connecticut beheimatete Unternehmen hatte seine Arbeiter auf dem Höhepunkt des Golfkriegs angewiesen, zum Zeichen der Solidarität mit den US-Truppen eine kleine amerikanische Flagge am Revers zu tragen. Cottos Weigerung kostete ihn seinen Job. Ganz zu Recht, entschied im Herbst 1999 in letzter Instanz ein Gericht in Connecticut.

Diese Fälle sind nicht die Regel, aber dennoch symptomatisch. In 21 der 50 amerikanischen Bundesstaaten können Unternehmen Beschäftigte ganz legal auf die Straße setzen, wenn dem Chef die politische Meinung seines Untergebenen nicht passt. Öffentliche Kritik an der Betriebsführung gilt in mehr als der Hälfte der US-Staaten selbst dann als legitimer Entlassungsgrund, wenn sie gute Gründe hat. Arbeiteranwälte wie Paul Tobias, der in Cincinnati das Employment Rights Institute leitet, charakterisieren diese Situation mit harten Worten: "70 Prozent der Beschäftigten in Amerika haben keine Probleme. Der Rest erlebt die Firma als Diktatur."

Schon bei der Suche nach einem Arbeitsplatz müssen sich viele Amerikaner in einer Art und Weise offenbaren, die orwellsche Dimensionen hat. Manche Fragebögen, die am Ende über die Einstellung mit entscheiden, beinhalten Erklärungen wie "Mein Sexualleben ist unbefriedigend" oder "Meine Sünden sind unverzeihlich"; bei den Antworten wird ein Ja oder ein Nein gefordert. Dazu verlangen vier unter fünf großen amerikanischen Firmen von potenziellen Beschäftigten einen Urintest, der Drogenkonsumenten aussieben soll. Um Betrug auszuschließen, müssen die Bewerber ihre Probe oft im Beisein von Laborangestellten oder anderen Helfern abgeben. Auch Gentests finden immer breitere Anwendung. Zwischen sechs und zehn Prozent aller US-Unternehmen, fand die amerikanische Managementvereinigung AMA schon 1997 heraus, nutzen dieses Mittel, das über mögliche langwierige und teure Krankheiten von Arbeitern und Angestellten Aufschluss geben soll.



Nicht einmal Gerichte schützen vor neugierigen Arbeitgebern
Die Verletzung der Privatsphäre endet nicht mit dem Ende des Bewerbungsgesprächs. Mindestens 20 Millionen Amerikaner werden während der Arbeit elektronisch oder visuell überwacht. Zwei Drittel aller Firmen - so wiederum eine Untersuchung der AMA - nutzten 1999 versteckte Videokameras oder Computer- und Kommunikationssoftware, um das Verhalten ihrer Beschäftigten am Arbeitsplatz zu kontrollieren. Oft genug wird dabei die ohnehin nicht enge Grenze des Erlaubten überschritten: Das Bostoner Sheraton-Hotel installierte Anfang 1993 Kameras in einem Umkleideraum seiner Angestellten - angeblich, weil dort Marihuana geraucht wurde. Später veröffentlichte Videofilme zeigen allerdings keine Arbeiter im Drogenrausch, sondern ein paar Männer in Unterhosen. Vier Jahre dauerte es, bevor ein Gericht in Boston den Sheraton-Beschäftigten einen Schadenersatz von 200 000 Dollar zusprach.

Kameras sind nicht gestattet, wenn sie an Orten spionieren, an denen Arbeiter und Angestellte - so die Gerichte - den Schutz des Privaten "erwarten" können, also Toiletten und Umkleidekammern. Alles andere ist mehr oder minder erlaubt. Auch das Abhören von Telefonen: 400 Millionen Mal im Jahr, schätzen Experten, lauschen Manager in US-Firmen heimlich den Gesprächen ihrer Untergebenen. Gestattet ist dies, wenn es dabei um geschäftliche, verboten, wenn es um private Telefonate geht. Richter haben den Lauschern freilich bis zu fünf Minuten Zeit gegeben, um festzustellen, ob der Belauschte mit dem Liebhaber zu Hause oder dem Kollegen in der Tochterfirma telefoniert. Auch private E-Mails sind nicht geschützt. 1999 klagte ein Microsoft-Angestellter in Texas gegen den Konzern, nachdem Manager des Unternehmens stillschweigend seine auf einem Computer-Folder abgelegte Online-Post gelesen hatten. Das Gericht schmetterte die Klage ab. Sein Argument: Weil der Computer Microsoft gehört, hat der Konzern ein Zugriffsrecht auf alles, was mit ihm passiert. Speziell entwickelte Software gibt US-Unternehmen dabei inzwischen nicht nur die Möglichkeit, selbst gelöschte Online-Botschaften zu studieren. Mit ihrer Hilfe kann auch jeder einzelne Handgriff am Computer problemlos überwacht werden. Der Rechner funktioniert damit als elektronische Nabelschnur zwischen Beschäftigtem und Kontrolleur. Selbst der Gang zur Toilette wird automatisch registriert.

Die Rechtfertigung der Unternehmen: Computer, E-Mail und Internet-Zugang werden zu oft für private Zwecke genutzt; Produktivität und Leistung sinken. Ganz Unrecht haben sie damit nicht. Ein Anwaltsbüro im Staat Oregon erwischte Angestellte bei der Urlaubsplanung via Internet, der Beschäftigte einer Firma in Washington nutzte seinen Computer, um stundenlang Patience zu spielen.

Bürgerrechtler finden allerdings, dass mit der Online-Schnüffelei die Grenze zwischen der Überwachung der Arbeit und der Kontrolle der Arbeiter überschritten wird. ,Wenn Chefs aus Spaß die E-Mails ihrer Untergebenen lesen wollen, dürfen sie dies", meint Lew Malty, der für die einflussreiche American Civil Liberties Union (ACLU) deren Institut für Arbeitsrechte leitet: "Das kann wohl nicht rechtens sein." Eine Verschärfung des Datenschutzes innerhalb der Betriebe lehnen freilich nicht nur die meisten Unternehmen ab. Als das kalifornische Parlament im Herbst 1999 ein Gesetz verabschiedete, das eine heimliche Überwachung des Online-Postverkehrs beenden sollte, legte der demokratische Gouverneur Gray Davis sein Veto ein. Kein Wunder - Davis selbst hatte in den E-Mails der Angestellten im Gouverneursbüro schnüffeln lassen.

Auch die Forderung der ACLU, Urintests künftig zu verbieten, findet weder in den Bundesstaaten noch in Washington viel Gehör. Dabei beweisen Einzelfälle ebenso wie umfangreiche Studien, dass schon kleine Spuren von Medikamenten im Urin bei den Proben zu fehlerhaften Ergebnissen führen können. Colette Clark, Angestellte der San Diego Gas & Electric Company, wurde nach einem Urintest als angebliche Marihuana-Raucherin entlassen. Erst der Gang vor den Richter brachte Clark, die sich nie in ihrem Leben einen Joint angesteckt harte, ihren Job zurück. Auch das Ziel der Tests, Drogenkonsumenten auszusieben und damit in den Betrieben höhere Produktivität und ein besseres Arbeitsklima zu erzielen, wird in der Regel nicht erreicht - im Gegenteil: Eine Untersuchung von Firmen im Silicon Valley ergab, dass nach den Tests die Leistung der Angestellten zurückging. Verantwortlich dafür: eine sinkende Arbeitsmoral, wenn der Arbeitgeber im Privatleben seiner Beschäftigten stöbert.

Änderungen sind dennoch nicht in Sicht. Dafür ist nicht zuletzt die individualistische und seit jeher unternehmerfreundliche Tradition der Vereinigten Staaten verantwortlich. "Jedes Gesetz, das die Handlungsfreiheit eines amerikanischen Unternehmers einschränkt", meint der ACLU-Anwalt Jeremy Gruber, "wird in den USA traditionell als antikapitalistisch und potenziell gefährlich für das Wirtschaftswachstum angesehen." Arbeiterrechte haben in einem solchen Umfeld keine starke Lobby.

Dazu kommt, dass Amerikas Gewerkschaften nur in wenigen Branchen - etwa der Autoindustrie - ein wirkliches Gegengewicht zur Macht und zum Einfluss der Unternehmen bilden können. Bis auf den heutigen Tag wird ihre Arbeit überdies mit teilweise illegalen Mitteln behindert. Besonders in den historisch gewerkschaftsfeindlichen Südstaaten der USA endet der Versuch, eine betriebliche Arbeitnehmervertretung zu gründen, oft mit Entlassungen und dem Gang vor die Gerichte. Das staatliche Labor Relations Board (NLRB), das Dispute schlichten soll, zählte 1998 über 36 000 Beschwerden - vielfach von gefeuerten Arbeitern, die sich für eine Gewerkschaft eingesetzt hatten.

In nichtorganisierten Firmen herrscht das Prinzip von hire and fire und employment at will. Das bedeutet schlicht, dass Arbeiter und Angestellte jederzeit und auch ohne offizielle Begründung auf die Straße gesetzt werden können. Eine der wichtigsten Regeln der amerikanischen Rechtssprechung - Fairness und due process - wird damit weitgehend außer Kraft gesetzt. Weil Anwälte teuer sind und Entlassungsfälle wegen ihrer meist geringen Chancen nur selten übernehmen, hat ein Beschäftigter kaum einmal die Gelegenheit, gegen seinen Arbeitgeber vor Gericht zu gehen. Dabei wäre dies bitter nötig: Jahr für Jahr, so schätzen Experten, verlieren in den USA mindestens 150 000 Männer und Frauen aus nichtigen oder gänzlich ungerechtfertigten Anlässen ihren Job.

In einer wachsenden Wirtschaft ist es für die Mehrheit der Entlassenen wahrscheinlich kein großes Problem, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Amerikas Boom-Ökonomie bietet Millionen Amerikanern, die mit ihrem Arbeitgeber unzufrieden sind, überdies genügend Gelegenheit, den Job zu wechseln - zumindest dann, wenn sie Qualifikationen haben, die Unternehmen suchen. Wer diese allerdings nicht aufweisen kann, muss sich oft genug mit dem abfinden, was sein Chef von ihm verlangt. Wie weit solche Verlangen manchmal gehen, beschreiben die beiden Autoren Marc Linder und Ingrid Nygaard in ihrem Buch Void Where Prohibited: Rest Breaks and the Right to Urinate on Company Time: Manche Kassiererinnen und Bandarbeiter in Amerika, fanden sie heraus, tragen bei der Arbeit Windeln. Für den Gang zur Toilette ist einfach keine Zeit.
heftig....

und besonders heftig, Wirtschaftswachstum so zu erkaufen!!