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29. November 2002, 17:06   #6
tw_24
 
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Zitat:
Zitat von tschubbl
Zu den Haftbedingungen kann ich nur meinen,daß wer für sich in Anspruch nimmt,Herr über Leben und Tod zu sein,braucht sich über schärfere Haftbedingungen nicht beschweren,vor allem dann nicht,wenn ständig versucht wurde die Gefangenen zu befreien.
Nein, eben nicht. Der sogenannte Rechtsstaat kann sich nicht über Recht und Gesetz hinwegsetzen, was im Fall der vier RAF-Terroristen aber geschehen ist.

Bis 1981 konnte in der BRD der Roman Mephisto von Klaus Mann nicht erscheinen, weil - so das Bundesverfassungsgericht - in und mit ihm die Würde des schon längst verstorbenen Gustaf Gründgens verletzt werde: "Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch auch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Dementsprechend endet die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tode".

Das hat - einmal ganz abgesehen von den folterähnlichen Haftbedingungen - auch für die toten Terroristen zu gelten, sonst ist der Rechtsstaat ein Willkürstaat.

Zitat:
Zitat von Ulrike Meinhof
Dann ins Krankenhaus. Der Arzt, Dr. T., ein Perser, hat an meinem Kopf nach der Narbe gesucht, er hat verbindlich gesagt: Es gibt keine Narbe. Da haben die Bullen gesagt: Dann müssen wir röntgen oder die Haare abscheren. Ich habe gesagt: Dann abscheren. Der Arzt sagte, er mache das Röntgen nicht gegen den Willen des Patienten. Die quatschten alle auf mich ein. Ich habe nein gesagt, kommt überhaupt nicht in Frage. Da haben sie gesagt: Richterliche Anordnung ist das. Telefonisch. Ich habe gesagt: Die will ich sehen. Die haben gesagt: Die ist da, jetzt ist Schluß, jetzt geht's ran! Das war 1:00 Uhr nachts. Dann haben die mich mit drei oder vier Bullen in den Röntgenraum geschleppt. [..] Die Schwestern haben meinen Kopf auf den Tisch gefesselt. Um mich zu disziplinieren, haben sie meine Beine schmerzhaft verdreht. Schwester Doris: 'Schade, daß wir keinen Hitler mehr haben!' Der Dr. T. hat an der Wand gestanden und sich das angeguckt.

(Quelle: Ulrike Meinhof, zit. nach Hannover, Heinrich: Die Republik vor Gericht. 1954-1974, Berlin 2000, S. 374)

Zitat:
Zitat von Ulrike Meinhof
Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf ...
das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepreßt,
das Gefühl, das Gehirn schrumpelte einem allmählich zusammen, wie Backobst z.B. -
das Gefühl, man stünde ununterbrochen, unmerklich, unter Strom, man würde ferngesteuert -
das Gefühl, die Assoziationen würden einem weggehackt -
das Gefühl, man pißte sich die Seele aus dem Leib, als wenn man das Wasser nicht halten kann -
das Gefühl, die Zelle fährt. Man wacht auf, macht die Augen auf: die Zelle fährt; hachmittags, wenn die sonne reinscheint, bleibt sie plötzlich stehen. Man kann das Gefühl des Fahrens nicht absetzen.
Man kann nicht klären, ob man vor Fieber oder vor Kälte zittert - man kann nicht klären, warum man zittert -
man friert.
Um in normaler Lautstärke zu sprechen, Anstrengungen, wie für lautes Sprechen, fast Brüllen -
das Gefühl, man verstummt -
man kann die Bedeutung von Worten nicht mehr identifizieren, nur noch raten -
der Gebrauch von Zisch-Lauten - s, ß, tz, z, sch - ist absolut unerträglich -
Wärter, Besuch, Hof erscheint einem wie aus Zelluloid -
Kopfschmerzen -
flashs -
Satzbau, Grammatik, Syntax - nicht mehr zu kontrollieren. Beim Schreiben: zwei Zeilen - man kann am Ende der zweiten Zeile den Anfang der ersten nicht behalten -
Das Gefühl, innerlich auszubrennen -
das Gefühl, wenn man sagen würde, was los ist, wenn man das rauslassen würde, das wäre, wie dem anderen kochendes Wasser ins Gesicht zischen, wie z.B. kochendes Tankwasser, das den lebenslänglich verbrüht, entstellt -
Rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewußtsein, daß man keine Überlebenschance hat; völliges Scheitern, das zu vermitteln; Besuche hinterlassen nichts. Eine halbe Stunde danach kann man nur noch mechanisch rekonstruieren, ob der Besuch heute oder vorige Woche war -
Einmal in der Woche baden dagegen bedeutet: einen Moment auftauen, erholen - hält auch für ein paar Stunden an -
Das Gefühl, Zeit und Raum sind ineinander verschachtelt -
das Gefühl, sich in einem Verzerrspiegelraum zu befinden -
torkeln -
Hinterher: fürchterliche Euphorie, daß man was hört - über den akustischen Tag-Nacht-Unterschied -
Das Gefühl, daß jetzt die Zeit abfließt, das Gehirn sich wieder ausdehnt, das Rückenmark wieder runtersackt - über Wochen.
Das Gefühl, einem sei die Haut abgezogen worden.

(Quelle: Ulrike Meinhof, zit. nach Hannover, Heinrich: Die Republik vor Gericht. 1954-1974, Berlin 2000, S. 390f.)
MfG
tw_24