Einzelnen Beitrag anzeigen
15. May 2003, 20:10   #1
sara
 
Registriert seit: March 2003
Beiträge: 634
Berliner Befindlichkeiten

Berliner sind Ignoranten. Und sie sind es gerne.
Berliner ziehen ihre ganze Kraft zum Leben nur aus einem : Aus ihren Befindlichkeit, dem Rest dieser unwürdigen Welt ignorant gegenüberzustehen.
Von wegen Berliner Luft ! Berliner Befindlichkeiten !!


Berliner sind eigenartige Menschen. Um nicht zu sagen: Berliner sind keine Menschen. Berliner sind irgendwas anderes.

Dem typischen Berliner ist es völlig rille, dass man seine halbe Schwangerschaft damit verbracht hat, einen Namen für sein Kind zu finden. Einen Namen, der diesem eine glückliche und hoffnungsvolle Zukunft verspricht.
Sowas interessiert einen Berliner nicht. Ist ihm scheissegal. Er nennt dein Kind eh "atze". Egal ob es Hans, Karl, Gottfried oder Norbert heisst: Sobald Du Berlin betrittst, heisst es "atze." Punkt. Lohnt auch keine Diskussion. Berliner diskutieren nicht. Berliner stellen fest und haben dann Befindlichkeiten. Und wenn es die Befindlichkeit eines Berliner ist, dich "atze" zu nennen, dann tut er das. Gnadengesuche zwecklos.

Würde er sich auf diese eine Unart beschränken, dann könnte man den typischen Berliner ja noch als Zeitgenossen dulden. Tut er aber nicht. Wegen besagter Befindlichkeitsignoranz.

Geht man in Restdeutschland morgens in eine Bäckerei, um Brötchen zu kaufen, wird man freundlich lächelnd begrüßt und erhält, was man gewünscht hat. Nicht so in Berlin.

Die blonde Berliner Bäckereibarbie hinter dem Tresen zieht, beim Hören des Wortes 'Brötchen', die rechte Augenbraue kurz bis hinter ihren Scheitel und ihr kaugummikauender Mund öffnet sich leicht verächtlich und heraus kommt ein "Dette jibbet hier net."

Irritation macht sich breit, natürlich nur bei einem selbst. Das blonde Ding dreht sich um, beschäftigt sich weiter mit irgendwas, nur nicht mehr mit dir. Kunde will was, das hat sie nicht. Erledigt. Berliner sind da sehr praktisch veranlagt. Du selbst starrst verdattert auf das Meer an Brötchen, das sich in greifbarer Nähe hinter der Glasscheibe tummelt und fühlst Dich plötzlich so schrecklich verloren in dieser großen Stadt.

Sie schaffen es immer wieder. Sie zeigen Dir, wo sie nur können, dass DU kein Berliner bist. Lieber schmeissen sie 150 Brötchen weg, als Dir in einem klitzekleinen Satz zu verraten, dass das in Berlin "Schrippen" heisst und nicht Brötchen.

Versuch nie, sie auszutricksen. Lass es, vergiss es einfach. Es bringt nichts. Hast Du Dich dann endlich mal schweren Herzens von Deinem Seelenwunsch verabschiedet, in dieser Stadt jemals noch ein Brötchen essen zu können und schwenkst auf anderes Gebäck um, kriegen sie dich auch.

Hungert es Dich nach einem Kreppel nimmt das Desaster erst richtig seinen Lauf. Schon wohlwissend, dass es wahrscheinlich nicht klappen wird, wenn Du nach einem "Berliner" verlangst, nutzt Du das hessische Wort "Kreppel", setzt dein gewinnbringendstes Lächeln auf und fühlst dich ziemlich siegessicher. Das Hungern wird gleich vorbei sein, denkst Du, als just in diesem Moment die Kaugummiblase besagter blondierter Ignorantenheldin mit einem lauten Knall platzt. Denn Kreppel jibbet hier nich. Unnötig zu erwähnen, dass etwa 30 Stück besagter 'jibbet-hier-nich', gefüllt mit leckerem Pflaumenmus, kichernd hinter besagter Glasscheibe sitzen.

Du wirst nervös und hast einen leicht gereizten Ton in der Stimme, als Du Frau DummBrotVerkäuferin fragst, was das sei dort - auf besagtes Objekt der Begierde deutend. "Det sind Pfannkuchen", schmatzt sie hervor, um sich direkt wieder umzudrehen und den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zu widmen. Dazu gehörst Du selbst eindeutig nicht. Soviel ist klar.

Noch während du selbst versuchst Deinen knurrenden Magen zu beruhigen, drängt sich eine neue Problematik auf: Wenn das Pfannkuchen sind, wie nennt man dann bitte in Berlin das, was in Restdeutschland unter Pfannkuchen versteht ? Du kratzt Deinen letzten Rest Überlebenswillen zusammen und fragst mit zittriger Stimme :"Tschuldigung, und wie heissen denn hier diese Crepe-artigen Fladen, die man in einer Pfanne herstellt?" Madame Bäckereifachidiotin dreht sich nicht mal um, als sie antwortet: "Det sind Eierkuchen." Gefolgt von einem lauten 'Plopp' der zerplatzenden Kaugummiunart.

Hunger macht streitlustig und dein berechtigter Einwand, was denn sei, wenn man seine Eierkuchen aber immer ohne Eier herstellt, wird galant abgeschmettert: "Det is mir doch ejal, was dann is." Plopp ...

Gepeinigt vor Hunger verlässt Du diesen Ort der Ignoranz und versuchst aufkommendes Heimweh durch dein Magenknurren zu übertönen. In dieser Verzweiflung wende dich niemals an einen vorbeihuschenden Ignoranten. Tu es nicht. Auch wenn es Dich noch so sehr nach einem freundlichen Wort dürstet. Denn er ist auch Berliner, genau wie Miss Dämlichkeit aus dem Brötchenladen.

Sie alle vereint eines: Eine Befindlichkeit nach Ignoranz.

Wenn Du es dann doch tust und ihn ansprichst: Frage ihn niemals nach der Uhrzeit. Es wird Dein sicherer Seelentod werden. Denn die Antwort wird lauten: "Es ist Viertel Acht." "Viertel vor oder Viertel nach Acht?", wirst Du fragen wollen, und in diesem Moment ein lautes 'Plopp" hören und der Uhrenträger wird entschwinden. In einer Kaugummiblase. Vielleicht hast du irgendwann Glück und vielleicht wird Dich ein eingeweihter Berliner aus einer Laune heraus in die "Viertel-Geheimnis-Theorie" einweihen. Wahrscheinlich aber nicht. Viertel Acht ist 7.15 Uhr wirst du dann erfahren und noch während du dumm guckst, wird ein Plopp ertönen und der Rest ist Geschichte ....

Und wenn du ganz besonders auf der Sonnenseite des Lebens stehst und, Aug in Aug mit deinem drohendem Hungertod, eines Tages, mit einem Baseballschläger bewaffnet, in die Bäckerei stürmst und Frau Dämlichplopprumverkäuferin anschreist: "Gib mir sofort ein Brötchen oder ich zieh Dir was mit diesem Knüppel über dein dummes, blondiertes Hirn." - dann wird sie Dir ein Weissbrot reichen, gefolgt von einem 'Plopp' und weiter das tun, was sie am Besten kann:

Ignorant vor sich hingucken.

Und so hast Du dann gelernt, dass ein Weissbrot nicht Weissbrot heisst, sondern Knüppel.

Die Spree ist tief genug an manchen Stellen um sich dann hineinzustürzen.

Und auf Deinen Grabstein werden sie meißeln:
"Hier liegt kein Berliner."