Thema: Reisepläne
Einzelnen Beitrag anzeigen
31. July 2005, 20:54   #9
Maggi
 
Benutzerbild von Maggi
 
Registriert seit: April 2002
Beiträge: 3.915
Okay, das war der Dienstag, und er war nicht schlecht. Am Abend versuchten wir verzweifelt, den Potsdamer Platz zu finden. Gegen halb neun waren wir angekommen und fanden auch gleich ein Bistro nicht fern dem Sony Center und gleich gegenüber dem Theater am Potsdamer Platz.
Eines kann man feststellen: Berlin wird nie in den Anhalter aufgenommen werden, der ja schließlich Tipps geben soll, wie man mit wenig Geld durchs Universum trampen kann. In Berlin gibt man 30 Euro für eine Schüssel Nudeln aus. Und wenn sich zu allem Unglück auch noch als ahnungsloser Schüler ein Bistro am Potsdamer Platz aussucht, dann ist man das gleiche Geld für einen halben Liter Evian los.

Der in orangegelb gehaltene Potsdamer Platz erscheint in der Berliner Abendsonne in einem rötlichen Licht. Auch nach Ladenschluss sieht man Menschen geschäftig über die Straßen laufen. Bei dem Brunnen am Theaterplatz sitzen Menschen in Gruppen herum und überlegen, was sie heute Abend noch machen wollen. Aus der Einkaufspassage heraus leuchten die Reklamen von vielen Geschäften. Aus dem McDonald’s auf der anderen Straßenseite hört man lachende Leute und die Scheinwerfer der Taxis leuchten mit diesem besonders gelben und klaren Licht, das es so nur zu Abend gibt. Kurz: Das ist Entspannung, das ist Stimmung, das ist Berlin! Und das auf meiner Gabel ist ein Salatblatt im Wert von 56 Euro …

Am nächsten Tag hatten wir andere Dinge vor. Unser Hotel war dem alten Untersuchungshaftgefängnis für politische Feinde der DDR nicht fern. Noch vor 20 Jahren ein großes Grundstück, wurde das Gebiet heute aufgeteilt. Der Kern, nämlich das alte Gefängnis und die Verhörsäle, bildet die Gedenkstätte. Die Gebäude um das Gefängnis herum sind immer noch im Originalzustand. Nach unserem Führer wohnen dort sogar immer noch die gleichen Leute. Es sei schon oft vorgekommen, erzählt er, dass verirrte Klassen, die verzweifelt Anwohner nach dem Weg zur Gedenkstätte fragten, von denen irgendwo in die Pampa geschickt wurden: Überall hin, aber nicht zur Gedenkstätte. Die politischen Meinungen der dort wohnenden ehemaligen Lagermitarbeiter haben sich wohl nicht grundlegend geändert und darum sehen sie es wohl auch nicht so gerne, dass ihr früherer Arbeitsplatz in eine Gedenkstätte für Touristen umgewandelt wurde.

Alle der im Gefängnis arbeitenden Führer sind ehemalige Gefangene und wissen daher auch viel Persönliches über das Gefängnis zu berichten.
Der alte Teil des Gefängnisses ist das Kellergebäude. Dort befinden sich viele Räume mit einer Pritsche. Wie viele Leute wohl in eine solche Zelle gesteckt wurden? Sie ist halb so groß wie mein Zimmer und würde für meine Verhältnisse etwa drei bis vier Maggis Platz bieten. War aber nicht. In diesem kleinen Raum schliefen 12 – in Worten: zwölf – Gefangene! Diese Zahlen wirken leer und man kann sich wohl nicht viel darunter vorstellen, wenn man es nicht selbst gesehen hat. Die Pritsche (aus Massivholz) war vielleicht drei Meter breit. 12 Häftlinge nebeneinander!
Die Gefangenen durften tagsüber übrigens nicht schlafen. Genauer gesagt durften sie sich nicht einmal auf der Pritsche aufhalten. Auch darauf zu sitzen war verboten und wurde bestraft.
Es gab auch Einzelkabinen. Diese boten mehr „Komfort“ als die anderen Zellen, das heißt: Sie boten mehr Platz. Sie boten allerdings keine Gesprächspartner und keine Beschäftigung und waren meist Garantie für einen längeren Aufenthalt. Manche Gefangene hielten sich bis zu zwei Jahre in diesem Gefängnis auf! Einziges Ziel war die Vernichtung jeden Widerstandes (körperlich und mental) der Gefangenen. Dazu dienten auch die Folterzellen. Gedankenlos in den Raum gestreut, direkt neben den Haftzellen; zum Beispiel die Wasserzellen, die bei völliger Dunkelheit etwa knöcheltief mit Wasser aufgefüllt werden konnten. Das einzige Licht war die Tür, solange sie offen war. Und das war sie nur, wenn etwas zum Essen hereingebracht wurde, denn die Insassen wurden nicht selten dazu gezwungen, einen Tag oder länger in der Zelle zuzubringen. Und was musste man tun, wenn sich die Körperfunktionen meldeten? Musste man aufs Klo, hatte man sich beim Wärter zu melden. Doch der hatte nicht immer Lust, die Zelle zu öffnen, manchmal war er auch gar nicht da. Und in dem gleichen Wasser musste man auch schlafen – und das bei völliger Dunkelheit, länger als einen Tag.
Die Folter, unter anderem auch die Wasserfolter, wurde in diesem Lager bis Ende der fünfziger Jahre betrieben. Danach war sie offiziell verboten; bis sich daran aber jeder einzelne Wärter hielt, verging wohl noch etwas Zeit.

Morgen mehr,
Maggi