Die Piper Alpha war eine große Bohrinsel in der Nordsee im Ölfeld Piper ca. 170 km nordöstlich von Aberdeen und gehörte den Firmen Occidental Petroleum (78%) und Texaco (22%).
Etwa 10 % der gesamten damaligen Öl- und Gasproduktion in der Nordsee wurden über die Piper Alpha an die Erdoberfläche befördert.
Die Plattform begann 1976 mit der Produktion, war als Ölplattform entworfen und gebaut worden und wurde später auf Gas umgerüstet.
Aufgrund eines Unfalls wurde die Piper Alpha am 6. Juli 1988 durch ein Feuer zerstört, wobei 167 Menschen ums Leben kamen.
Aufbau der Bohrinsel
Die Bohrinsel bestand aus vier Modulen, die durch Brandschutzwände voneinander getrennt waren. Entsprechend den Sicherheitserfordernissen waren die Module so angeordnet, dass die gefährlichsten Arbeiten möglichst weit weg von den Mannschaftsräumen durchgeführt wurden. Die Umrüstung von Öl auf Gas durchbrach jedoch dieses Konzept und hatte zur Folge, dass einige sensible Bereiche direkt nebeneinander angeordnet werden mussten, z.B. die Gaskompression neben dem Kontrollraum, was schließlich einen Unfall zur Folge hatte.
Der Brand
Entgegen der sonst verbreiten Darstellung wurde die Bohrinsel nicht durch eine einzelne Explosion zerstört. Das Unglück entwickelte sich stufenweise. Innerhalb der ersten Stunde gab es einige kritische Momente, in denen die richtigen Entscheidungen die Katastrophe verhindern oder zumindest in ihren Auswirkungen wesentlich hätten abmildern können.
Zum Zeitpunkt des Unglücks am 6. Juli 1988 befanden sich 226 (anderen Quellen zufolge 229) Männer an Bord, von denen 166 auf der Plattform starben, ein weiterer Arbeiter starb später im Krankenhaus. Diejenigen, die überlebten, waren entgegen den geltenden Vorschriften ins Meer gesprungen.
Das Management der Occidental Petroleum berief sich darauf, dass es sich um den ersten Unfall auf einer ihrer Plattformen in der Nordsee handelte. Dabei verschwiegen die Verantwortlichen, dass es bereits vier Jahre zuvor einen tödlichen Unfall auf der Piper Alpha gegeben hatte, bei dem ein Arbeiter starb. Occidental zerstörte die verbogenen Überreste der Plattform und gab innerhalb eines Jahres sämtliche Aktivitäten in der Nordsee auf. Schätzungen zufolge kostete die Katastrophe Occidental über 15 Milliarden Dollar.
Die Piper Alpha Katastrophe wurde ein Lehrbeispiel dafür, wie eine Kette aus Unfähigkeit, Missmanagement, Desorganisation, unglücklichen Zufällen und Fehlentscheidungen, in eine Katastrophe führte. Es war bislang der größte Unfall auf einer Bohrinsel. Durch Untersuchungen der Abläufe während des Desasters konnten später die geltenden Sicherheitsvorschriften auf Bohrinseln entscheidend verbessert werden.
Chronologie des Brandes
In den Wochen vor dem 6. Juli 1988 wurde eine neue Gasleitung gebaut. Diese Arbeiten führten zu Abweichungen von der gewohnten Routine, trotzdem wurde die Plattform wie gewohnt betrieben. Auch die Entdeckung einiger kleiner Gaslecks war normal und kein Grund zur Beunruhigung.
Auf der Plattform gab es zwei große Kompressoren, bezeichnet mit A und B. Diese Maschinen verdichteten das geförderte Gas, damit es zur Küste weitergeleitet werden konnte. Am Morgen des 6. Juli wurde bei Kompressor A das Überdruckventil zur Überholung entfernt. Außerdem war der Kompressor für eine vierzehntägige Generalüberholung vorgesehen, die jedoch noch nicht begonnen hatte. Die offene Röhre wurde mit einer Metallplatte provisorisch verschlossen. Weil die Arbeit bis 18:00 nicht fertiggestellt werden konnte, blieb die Metallplatte an Ort und Stelle. Der diensthabende Ingenieur füllte ein Formblatt aus, aus dem hervorging, dass der Kompressor nicht betriebsbereit war und keinesfalls eingeschaltet werden durfte.
18:00
Weil er den diensthabenden Aufseher beschäftigt fand, unterließ es der Ingenieur, ihn persönlich vom Zustand von Kompressor A zu unterrichten. Er legte bloß den Arbeitszettel im Kontrollzentrum ab und entfernte sich. Der Zettel verschwand und wurde nie mehr gefunden. Zufälligerweise gab es für Kompressor A einen zweiten Arbeitszettel, nämlich den für die Generalüberholung, die jedoch noch nicht begonnen hatte.
19:00
Auf der Piper Alpha wurden die Vorschriften ein weiteres Mal verletzt. Wie auch andere derartige Bohrinseln hatte die Piper Alpha ein automatisches Löschsystem. Mächtige Dieselpumpen saugten ausreichende Mengen Seewasser an, um jedes Feuer auf der Insel zu löschen. Diese Pumpen sollten sich im Brandfall vollautomatisch einschalten. Wenn Taucher auf der Piper Alpha arbeiteten, wurden die Pumpen auf Handbetrieb umgestellt und konnten nur von einem einzigen Punkt aus wieder eingeschaltet werden. Auf anderen Plattformen wurde nur dann auf Handbetrieb umgestellt, wenn sich die Taucher in der Nähe der Einlassstutzen befanden, um zu verhindern, dass sie mit dem Meerwasser angesaugt würden. Auf der Piper Alpha jedoch wurde grundsätzlich immer dann, wenn Taucher im Wasser waren, die automatische Löschanlage auf Handbetrieb umgestellt, unabhängig davon, wo sich die Taucher aufhielten. So konnte am Abend des 6. Juli 1988 die Löschanlage nur per Hand in Betrieb genommen werden.
21:45
Kompressor B stoppte plötzlich und ließ sich nicht mehr in Gang bringen.
Von diesem Kompressor hing die gesamte Energieversorgung der Bohrinsel ab. Wenn die Plattform stromlos würde, würde die Bohrung stecken bleiben, was enorme Kosten verursachen würde. Dem Manager der Bohrinsel blieben nur wenige Minuten, um den Kompressor wieder in Gang zu bringen, ansonsten würde die Energieversorgung komplett ausfallen. Hektisch wurde in den Unterlagen gesucht, um festzustellen, ob Kompressor A in Betrieb genommen werden konnte.
21:52
Das Arbeitsblatt über die Generalüberholung wurde gefunden, das andere Blatt, das über das fehlende Überdruckventil hätte informieren sollen, wurde nicht gefunden. Da sich das Ventil in einem anderem Bereich befand als der Kompressor wurden die Arbeitsblätter auch nicht zusammen aufbewahrt (die Ablage war nach Bereichen sortiert). Es war keinem der Anwesenden bewusst, dass ein lebenswichtiger Teil der Maschine ausgebaut worden war. Der Manager nahm aufgrund der vorhandenen Unterlagen an, dass es sicher sein würde, Kompressor A zu starten. Das fehlende Überdruckventil fiel niemandem auf, zumal sich die Metallplatte, die das Ventil ersetzte, in mehreren Metern Höhe befand und zusätzlich von Maschinenteilen verdeckt wurde.
21:57
Kompressor A wurde in Betrieb genommen. Das Gas strömte in den Kompressor und erzeugte aufgrund des fehlenden Ventils einen Druck, dem die Metallplatte nicht standhielt. Gas begann auszuströmen, entzündete sich und erzeugte eine Explosion, die vermutlich zwei Männer sofort tötete. Der Aufseher drückte den Not-Ausschaltknopf. Nun wurden die Ventile der riesigen Leitungen im Meer geschlossen, die Öl- und Gasproduktion sofort gestoppt. Theoretisch hätte damit die Bohrinsel vom Öl- und Gaszufluss isoliert sein müssen.
Da die Bohrinsel ursprünglich als Ölplattform gebaut war, waren die Feuerschutzwände nicht für die Hemmung von Explosionen ausgelegt. Das Feuer konnte sich entlang der Feuerschutzwände nach unten ausbreiten und zerstörte einige Ölleitungen.
22:04
Der Funkraum, von dem aus der Manager der Plattform die Notfallmaßnahmen koordinieren sollte, musste aufgegeben werden. Die Möglichkeit, dass der Funkraum ebenfalls beschädigt oder zerstört werden könnte, war in der Planung übersehen worden, auf der Piper Alpha brach die Organisation zusammen. Es gab keinen Versuch, das Lautsprechersystem zu nutzen oder die Bohrinsel zu evakuieren.
Die Männer waren im Training instruiert worden, die Rettungsbootstationen aufzusuchen und dort auf weitere Anweisungen zu warten. Wegen des Feuers konnten die Männer die vorgeschriebenen Stationen nicht mehr erreichen, sie versammelten sich im feuergeschützten Versorgungsblock direkt unter dem Hubschrauberdeck. Dort warteten sie auf Rettung aus der Luft. Weil der Wind aus einer ungünstigen Richtung wehte und Feuer und Rauch über den Hubschrauberlandplatz blies, konnte jedoch kein Hubschrauber landen. Die Männer erhielten keine weiteren Anweisungen, und der Versorgungsblock füllte sich langsam mit Rauch.
Zwei Männer unternahmen den Versuch, die abgeschaltete Löschanlage in Gang zu setzen. Offensichtlich hatten sie keinen Erfolg, und sie wurden nie wieder gesehen.
Das Ölfeuer hätte sich vermutlich in kurzer Zeit selbst verzehrt, wenn es nicht ständig neue Nahrung erhalten hätte. Zwar war die Ölförderung auf Piper Alpha abgeschaltet, doch die Plattform befand sich im Zentrum eines Netzwerkes von Plattformen. Zwei weitere Bohrinseln, die Tartan und die Claymore, pumpten gemeinsam mit Piper Alpha Öl in die Hauptleitung, die zur Küste führte. Das Öl von Tartan und Claymore erzeugte einen Staudruck in der Leitung von Piper, der bewirkte, dass weiterhin Öl aus den zerstörten Leitungen der Alpha nachfloss. Claymore und Tartan hätten daher ihre Ölverpumpung sofort einstellen müssen.
Tatsächlich pumpte Claymore bis zur zweiten Gasexplosion Öl durch die Leitung, weil der Manager vom Kontrollzentrum der Occidental nicht die Erlaubnis erhielt, die Bohrinsel abzuschalten. Auch Tartan pumpte weiter, deren Manager hatte diese Direktive von seinem Vorgesetzten erhalten. Die Ursache für diese Vorgangsweise lag in den exorbitanten Kosten begründet, mit denen eine Abschaltung einer Plattform verbunden ist. Es dauert mehrere Tage, die Produktion nach einem Stillstand wieder auf das Normalmaß zu bringen, mit erheblichen finanziellen Folgen. Daher konnte diese Entscheidung von den Managern der Plattformen nicht ohne weiters getroffen werden. Weil sie mit erheblichen Sanktionen ihres Dienstgebers hätten rechnen müssen, zogen sie es vor, sich bei Occidental rückzuversichern.
In der Nähe der Piper Alpha verliefen Gasleitungen mit mehreren Metern Durchmesser. Zwei Jahre zuvor hatte das Management von Occidental eine Studie in Auftrag gegeben, die vor den Gefahren warnte, die von diesen Gasleitungen ausging. Den darin enthaltenen Druck abzubauen würde wegen Länge und Durchmesser der Leitungen mehrere Stunden dauern, so dass ein Feuer auf diesen Leitungen praktisch unmöglich zu bekämpfen wäre. Obwohl dem Management die Gefahr einer verheerenden Gasexplosion bekannt war, wurden Claymore und Tartan nicht beim ersten Notruf abgeschaltet.
22:20
Die Gasleitung von der Tartan-Plattform schmolz und brach. Drei Tonnen Gas traten jede Sekunde aus und verbrannten. Auf einer Fläche von nur 75m² wurde der eineinhalbfache Gasverbrauch des gesamten U.K. abgefackelt. Von diesem Zeitpunkt an war die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten.
Trotz der Gasexplosion war ein Großteil der Männer im Versorgungsblock noch am Leben, obwohl die Lage wegen des zunehmenden Rauches zunehmend verzweifelt wurde – so effizient war die feuerhemmende Verkleidung. Einige Männer begannen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Obwohl sie gewarnt worden waren, dass es den sicheren Tod bedeute, suchten sie den Weg nach unten aus dem Versorgungsblock und riskierten den 30 Meter tiefen Sprung ins Meer.
22:30
Wie durch ein Wunder ankerte die Pharos, eine große Rettungsinsel, in unmittelbarer Nähe der Piper Alpha. Diese fahrbare Insel war von Occidental eigens für einen derartigen Notfall gebaut worden wie er jetzt eingetreten war. Doch auch hier versagte die Technik auf allen Linien. Zunächst fuhr die Pharos die Feuerwehrschläuche zu schnell aus. Das System schaltete sich ab, die Mannschaft der Insel verlor zehn kostbare Minuten, um es wieder in Gang zu bringen. Die ausfahrbare Gangway bewegte sich nur quälend langsam und benötigte über eine Stunde, um auf die volle Länge von 30 Metern auszufahren.
22:50
Die zweite Gasleitung barst und explodierte. Die Pharos wurde von der ungeheuren Hitze zurückgeworfen, die Mannschaft konnte nur mehr beobachten, wie die Plattform langsam schmolz und zusammenbrach. Nach dieser zweiten Explosion stellt Claymore endlich die Ölverpumpung ein.
23:50
Der Versorgungsblock rutschte ins Meer, der größte Teil der Plattform folgte ihm nach.
Folgen
Die Piper Alpha brannte noch drei Wochen, bevor sie von Red Adair und seiner Mannschaft gelöscht werden konnte. Der berühmte Feuerwehrmann brachte das Großfeuer unter Kontrolle, indem er Zement in die Bohrlöcher pumpte und sie dann kappte. Interessanterweise war ausgerechnet der Teil der Plattform, der als der gefährlichste angesehen worden war, stehen geblieben, nämlich ein Teil des Bohrdecks.
Von den Getöteten konnten später 135 (oder 137, die Quelle ist nicht einheitlich) geborgen werden, die restlichen Leichen blieben vermisst. Der Großteil der Opfer war an Rauchgasvergiftung gestorben, nur die wenigsten an Verbrennungen.
Ein einfaches Schild mit einem Warnhinweis an Kompressor A hätte wahrscheinlich die Tragödie vermieden. Es gab jedoch Stimmen, die behaupteten, eine Tragödie im Ausmaß der Piper Alpha hätte sich früher oder später aufgrund der mangelnden Sicherheitsmaßnahmen in der Nordsee auf jeden Fall ereignen müssen.
Die umfangreiche Untersuchung durch Lord Cullen deckte die Mängel im Management und in den Abläufen von Occidental auf. Cullen machte in seinem Bericht 106 Vorschläge, um die Sicherheit auf Bohrinseln zu verbessern. Diese Vorschläge wurden alle von der Ölindustrie akzeptiert. Die Vorschläge betrafen Verbesserungen bei der Dokumentation von Arbeiten an den Maschinen ("permit to work"), günstigere Platzierungen der Sicherheitsventile an den Leitungen, Wärmeisolierung von unterseeischen Leitungen, Verbesserungen der Evakuierungssysteme, Verringerung der Rauchgefahr sowie Einführung von Sicherheitsaudits.
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