... aus aktuellem Anlaß habe ich mir heute noch mal die Scheibe angehört, mit der alles begann: Sein 1968 (nur im Westen) erschienenes erstes eigenes Album
"Chausseestraße 131". Seine Ausbürgerung 8 Jahre später und die lauten Proteste dagegen von vielen namhaften Künstlern gelten heute als der Anfang vom Ende der DDR.
Warum das Album des schon damals "verbotenen" Dichters und Liedermachers einerseits heimlich, andererseits bei offenem Fenster in seiner Wohnung in der Berliner Chausseestraße aufgenommen wurde – übrigens auf einem "Grundig"-Amateur-Tonbandgerät - erfahrt Ihr in der angehängten "Anmerkung" von Wolf Biermann aus dem Booklet der 1996 bei "2001" erschienenen CD. Es hing tatsächlich mit dem "Sennheiser"-Profi-Mikrofon zusammen, das seine damals in Hamburg lebende Mutter unter ihrem Rock über die deutsch-deutsche Grenze schmuggelte ;-)
Leider steht der heute 70jährige nicht mehr zu den meisten seiner damaligen Texte. Er hat inzwischen auch keine Probleme damit, auf der Gehaltsliste des Springer-Verlags ("Die Welt") zu stehen, gibt heute sogar der "Bild"-Zeitung Interviews und erträgt das schleimige, geheuchelte Lob eines Franz-Josef Wagner. Neuerdings sieht er sogar Israel als seine wahre Heimat und stellt in letzter Zeit in bezug auf seinen Vater immer besonders heraus, daß er Jude war, wobei er früher immer nur betonte, daß der im KZ ermordete Hamburger Werft-Arbeiter überzeugter Kommunist war. Wolf Biermann hatte sich leider auch 1991 als Befürworter des vorletzten Angriffskriegs auf den Irak geoutet.
Bei jedem anderen hätte ich längst den Daumen gesenkt, ihn vielleicht sogar als "Wendehals" verspottet. Das mache ich bei Wolf Biermann nicht, weil ich viel zuviel Respekt vor diesem Allround-Literaten habe. Ich kenne kaum jemand, der so charismatisch und wortgewaltig mit der deutschen Sprache umgehen kann. Und das gilt nicht nur für seine meist vorzüglichen Songs und Gedichte, sondern er ist auch einer der besten deutschen Erzähler. Wer in den 90er Jahren seine Aufsätze im "Spiegel" gelesen hat, wird das sicherlich bestätigen. Ich hatte damals gedacht: Die meisten "Spiegel"-Redakteure werden jetzt sicherlich neidisch sein, weil jeder ahnt, daß keiner von ihnen besser schreiben kann.
Es ging vor allem um seine Emotionen beim Lesen der Stasi-Akten, als er nicht wußte, ob er lachen oder weinen sollte bei der Lektüre. Denn kein anderer Bürger der DDR ist so intensiv von so vielen Spitzeln überwacht und denunziert worden. So erfuhr er dann, wer seine damaligen "Freunde" in Wirklichkeit waren und daß man in den Akten nachlesen kann, daß er irgendwann vor über 30 Jahren an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit exakt soundso lange Geschlechtsverkehr mit Frau X hatte. Die DDR war in dieser Hinsicht ein Drecksstaat. Und nicht mal in der Nazi-Zeit hatten so viel freiwillige Spitzel dabei geholfen, die Nachbarn zu verraten wie in Mielkes dunkeldeutschem Stasi-Land.
Nein, per Saldo ist Wolf Biermann schon okay. Und da er immer für Überraschungen gut ist und sein Gehirn auch noch mit 70 hervorragend funktioniert, kann es gut sein, daß er irgendwann doch wieder zu seinen "linken" Wurzeln zurückkehrt. Und wenn nicht, behaupte ich dennoch trotzig, daß er zu den besten und wichtigsten deutschen Dichtern des 20. Jahrhunderts gehört. Und der "einflußreichste", wie ich in der Überschrift formuliert habe, war er sowieso: Denn nicht mal Goethe, Schiller oder Heine haben es geschafft, allein durch Dichter-Worte einen Unrecht-Staat in die Knie zu zwingen und ihn am Ende zu besiegen. Wolf Biermann, der Hamburger aus kleinen Verhältnissen, der sich damals an der deutsch-deutschen Grenze für den umgekehrten Weg entschied, kann mit Recht stolz auf sein Lebenswerk sein.
Gruß Ben
Zitat:
Diese Lieder erschienen 1968 auf meiner ersten eigenen Platte. Der Covertitel sollte sagen: Dieser Biermann ist zwar im Osten verboten - deshalb erscheint seine Platte ja auch ohne DDR-Genehmigung im Westen - aber er spielt kein Versteck, er hat Namen und Adresse mitten in Berlin, für Freund und Feind leicht zu finden.
Da ich als „Staatlich anerkannter Staatsfeind" kein Tonstudio mieten konnte, blieb mir „nichts-walter-ulbricht" - ich mußte die Lieder zuhaus in meinem Zimmer auf Band singen. Freunde aus dem Westen hatten mir ein Tonbandgerät für gehobene Laien von GRUNDIG rübergeschmuggelt. Meine Mutter Emma brachte mir dazu ein super-professionelles Kondensator-Mikrophon von Sennheiser unter dem Rock mit, als sie mal wieder durch die Kontrollen im „Tränenpalast" am Bahnhof Friedrichstraße aus Westberlin zu Besuch kam.
Dieses Mikrophon hatte einen Fehler, es war einfach zu gut: höchstempfindlich und es hatte eine Kugelcharakteristik, das bedeutet: dieses Mikro registrierte nicht nur das Husten einer Fliege, sondern auch alle Geräusche von draußen, das Quietschen der Straßenbahnen in der Kurve an der Kreuzung unterm Fenster. Jeder verdammte Lastwagen ratterte mir mitten durchs Lied, jedes Kindergeschrei kam mit aufs Band, jedes Hundegebell aus der Hannoverschen Straße.
Es war zum Verrücktwerden. Wir verhängten also die hohen Fenster dreifach mit Wolldecken. Nun allerdings nervte die Sorge, irgendwelche Spitzel könnten von der Straße aus beobachten, daß Biermann die Fenster verdächtig verhängt... Wir warteten mit den Aufnahmen aufs ruhige Wochenende. (In der stilleren Nacht geriet die Singerei zur Gitarre für die Nachbarn im Mietshaus zu ruhestörendem Lärm.) Alles nützte nichts, die Geräuschkulisse war nicht wegzukriegen.
So fand ich endlich die eleganteste Lösung für dieses unlösbare Problem: Ich riß bei den Aufnahmen die Fenster auf und sagte mir: Ok! dann müssen die Autos und Bahnen, dann sollen eben die Köter und Kinder meine Musikanten sein, dann spielen sie alle mit - und fertig!
So kreierten wir den unverwechselbaren Chausseestraßen-Sound, der ja grade deshalb so schön wurde, weil er keine gekünschtelte Masche war, sondern authentischer Ausdruck.
Wolf Biermann, Altana 1996
|