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30. March 2007, 03:33   #5
Amanda Grayson
 
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Ich hatte das auch dreimal in der Schule als Unterrichtsstoff. In der 9., 10. und 12. Klasse. Und wir waren in der Oberstufe nicht, wie es üblich ist, 3 Tage in London oder Paris, sondern 4 Wochen in Israel. Das hat unsere engagierte Geschichtslehrerin organisiert. Wir mußten da 3 Wochen auf dem Feld arbeiten, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Reise war mit 800 D-Mark nicht teurer als die sonst üblichen Luxus-Reisen der Oberstufen.

Lange Rede, kurzer Sinn... ich hätte mich niemals getraut zu sagen, ich bräuchte nichts mehr darüber zu hören. Ich habe mich viel zu sehr geschämt, obwohl ich persönlich ja gar nicht diese Verbrechen begangen habe. Nicht mal meine Großeltern haben die Nazis gewählt, und sie haben heimlich BBC gehört, damals. Meine Eltern waren noch Kinder.

Geschämt habe ich mich trotzdem. Ich war nicht in Auschwitz, ich habe in der Schule nur einen Dokumentarfilm gesehen. Man sah dort Rollen von Stoffen, die aus Menschenhaaren gewebt worden waren, und Container voll mit Schmuck, den man Menschen abgenommen hat, bevor man sie ermordet hat. Im Vorführraum war es dunkel, und als ich hinterher aus der Schultür hinausging, habe ich mich gewundert, daß die Sonne noch scheint und draußen alles normal und friedlich war und auf der Straße Menschen gelacht haben.

In Israel war ich in einem Museum, in dem Ausstellungsstücke aus dem 3. Reich gezeigt wurden. Karikaturen und Ausschnitte aus Lesebüchern für Grundschüler... "Wie es Inge bei einem Judenarzt erging" z. B. Neben mir stand ein orthodoxer Jude mit seinem Sohn, beide komplett mit Hut und Schläfenlocken und sehr ernst. Ich habe mich gefragt, ob sie diesen Text lesen können, und ob sie wissen, daß ich ihn lesen kann, weil ich Deutsche bin.

Ich habe mich in dem Moment gefühlt, als hätte ich dieses ernste Kind ermordet.

Vielleicht klingt das dramatisch und larmoyant - ich war ja erst 17, und ich schreibe, was ich damals gefühlt habe -, aber ich habe diese Kollektivschuld empfunden.

Ich verstehe nicht wirklich, wenn jüngere Leute sagen, man solle sie damit in Ruhe lassen. Ben, vielleicht hat das doch mit dem Alter zu tun. Die Leute haben Eltern eher so in meinem Alter, die sagen wirklich: Betrifft mich nicht, ist lange her, will ich nicht hören. Und es hat schon damit zu tun, ob sie auf dem Gymnasium waren, einfach, weil sie das wahrscheinlich in der Schule schon öfter gehört haben. Weil die Schulzeit länger war.

Das, was Du, Sacki, schreibst, verstehe ich aber... daß Du Auschwitz gesehen hast und keine weiteren Erklärungen mehr brauchst.

Ja, das stört mich auch, wenn man, sobald man das heutige Israel kritisiert, als Antisemit bezeichnet wird. Wenn ich eine Politik kritisiere, ist das kein undifferenziertes rassenfeindliches Statement - zumal Israelis und Araber und Inder gar keine andere Rasse sind als Deutsche - sondern eine Kritik an einem bestimmten Handeln.

Wenn ich sage, daß ich gegen das kriegerische Verhalten Israels bin, dann sage ich damit, daß ich Krieg hasse und nicht, daß ich Juden hasse.

Ich erwarte ja gar nicht, daß Juden bessere Menschen sind als andere. Das ist, wie ich in Israel gehört habe, eine ganz besonders subtile Form des Antisemitismus - das verstehe ich auch. Aber sie müssen auch nicht einen "Wir-sind-verfolgt-und-ermordet-worden-Bonus" "einklagen", um sich wie ein Barbarenstamm zu verhalten.

Obwohl, es gibt etwas, das ich nicht verstehe. Wieso gibt es muslimisch geprägte Staaten, die Israel als Staat nicht anerkennen wollen? Wieso sagt jemand sogar, Israel solle doch einen Staat in Europa aufbauen?

Ich wundere mich... wenn die so religiös sind, dann sollten die doch wissen, daß die Wurzel ihrer als auch unserer Religion im Alten Testament beruht, und daß es ohne die Juden ihre eigene Religion gar nicht gäbe. Wieso können sie dann nicht die Tradition achten und Israel dieses Stückchen Land gönnen, das vor 2.000 Jahren auch Israel war?

Mir fehlt da die Achtung vor den eigenen Wurzeln.

Ja, vielleicht ist es dumm und naiv von mir. Und 2.000 Jahre sind 'ne lange Zeit.

Ich würde aber auch den Neanderthalern einen Stadtteil von Berlin gönnen, wenn es noch welche gäbe. Wie wäre es mit Spandau? *SCHÄHÄÄÄÄÄÄÄÄÄRZ*