... an manchen Tagen will man es einfach nicht glauben, daß die derzeit beste deutsche Regional-Zeitung tatsächlich im Springer-Verlag erscheint, dessen oberster Chef, Mathias Döpfner, gleichzeitig von zwei der mächtigsten deutschen Frauen dauergeknutscht und vereinnahmt wird: Die eine, Angela Merkel, ist von Beruf Bundeskanzlerin, und der anderen, Friede Springer, einst Kindermädchen, heute milliardenschwere Witwe des Verlegers, verdankt er seinen Job. Beide sind enge Freundinnen, konservativ, der CDU verbunden, und sind sich nicht zu schade, die "Bild-Zeitung", wohl das schäbigste, bigotteste und verlogenste Massenblatt des Kontinents, schamlos für ihre Interessen auszunutzen.
Das Spiel macht Döpfner mit. Und doch muß er sich einen Rest an Anstand und Moral bewahrt haben, wenn er den Redakteuren und Kommentatoren des "Hamburger Abendblatts" erlaubt, wovon andere sogenannte "Springer-Knechte" nur träumen können. Gleich zwei vorzügliche Kommentare in der heutigen Ausgabe belegen das. Der eine ist von Hellmuth Karasek und macht auf wunderbare Weise einen der ekligsten früheren TV-Moderatoren zur "Fliege":
Fliege in der Suppe
Und der andere, sicherlich viel wichtigere, ist von Michael Spreng, dem früheren Chef der "BamS", als diese noch mehr Auflage und vor allem Niveau hatte, und erklärt aus der Sicht eines Medien-Profis, wie es Hessens durchtriebener Ministerpräsident Roland Koch wieder einmal geschafft hat, durch ein willkommenes ausländerfeindliches Thema kurz vor der Wahl, der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen - "Agenda-Cutting" nennt man diese Strategie in PR-Profikreisen:
Spreng - "Kyrill" Koch und die Stunde der Zyniker
Beides sind äußerst lesenswerte Artikel. Und sie passen in ein Blatt, in dem schon morgen auch wieder ein USA-kritischer Bericht abgedruckt sein könnte - denn auch das gehört erstaunlicherweise zum "Abendblatt", was auch für hervorragende investigative Recherchen gilt, für die "HA"-Redakteure in den letzten Jahren zu Recht mit Preisen ausgezeichnet wurden, weil sie zum Beispiel mutig die Schattenseiten der deutschen Justiz aufgezeigt haben - egal, ob es dabei um eine hilflose alte Frau ging, deren staatliche "Betreuer" sich an ihrem Besitz bereichern wollten oder um den mächtigen "Osmani"-Clan, von dem sich auch hochrangige Politiker jahrelang vereinnahmen ließen. Daß den Rotlicht-Brüdern jetzt endlich der Prozeß gemacht werden konnte, ist eben auch ein Verdienst des "Hamburger Abendblatts".
Man wundert sich wirklich, daß so etwas im heutigen Springer-Verlag möglich ist und wie Mathias Döpfner den extremen Spagat schafft, sowohl dem schmierigen "Bild"-Boß Kai Diekmann als auch dem so ganz anderen "Abendblatt"-Chef Menso Heyl jeweils volle Souveränität zu gewährleisten. So schlecht kann daher Döpfner, immerhin einer der derzeit mächtigsten deutschen Medien-Tycoons, also nicht sein. Und dann muß er sich ja auch noch immer wieder gute Ausreden für seine nicht minder einflußreichen Zwangsfreundinnen Angela und Friede einfallen lassen ;-)
Gruß Ben