Oktober 1945: Diplom-Ingenieur Gerhard Kienbaum ist mit dem Fahrrad im Bergischen Land unterwegs. Der 26 Jahre alte Kriegsheimkehrer besucht stillliegende Firmen zwischen Engelskirchen und Wipperfürth, um Kunden zu akquirieren. Wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat er sich selbständig gemacht. In seinem Gummersbacher Büro bietet er "Beratung, Übersetzungen, Vertretungen" an. Der erste Auftrag: In Engelskirchen ist einer Firma der Heizkessel im letzten Kriegswinter durch Frost geborsten. Kienbaum analysiert die Lage, entwirft eine Lösung, findet den Fachmann - und drei Tage später ist die Arbeit getan. Kienbaum hat seine Marktlücke als Berater gefunden: "Diese Betriebe müssen flottgemacht werden und wieder den Markt beliefern; das schafft einerseits Arbeitsplätze und lindert andererseits die Not."
Am 12. Oktober 1919 in Wuppertal geboren geht Gerhard Kienbaum nach der Schule zur Marine. Auf dem Panzerschiff "Schleswig Holstein" erlebt er den deutschen Angriff auf Polen. In seiner Zeit als Kadett studiert er Maschinenbau und Betriebswirtschaft an der Technischen Hochschule in Danzig. Ein Studium, das ihm nach dem Krieg zum Erfolg verhilft: Während des so genannten Wirtschaftswunders wächst seine Firma stetig. Mitte der 50er Jahre hat er neben der Zentrale in Gummersbach bereits Zweigbüros in Düsseldorf, Hamburg und Frankfurt am Main. Parallel dazu macht er Politik: In Stadtrat, Kreis- und Landtag engagiert er sich für die FDP. 1962 wird Kienbaum Wirtschaftsminister unter CDU-Ministerpräsident Franz Meyers. Themen seiner Amtszeit sind Kohlenkrise und Zechensterben im Ruhrgebiet. Kienbaum will den Bergbau nicht subventionieren, sondern andere Jobs schaffen. Das macht ihn für die Opposition zur Zielscheibe. SPD-Chef Heinz Kühn attackiert Kienbaum: "Er hat für die Kohle kein Herz." Als die FDP in NRW 1966 mit der SPD koaliert, geht Kienbaum in die Bundespolitik und zieht drei Jahre später ins Bonner Parlament ein.
Viel Zeit für die Familie bleibt nicht. Seine drei Kinder sieht er meistens nur, wenn er zusammen mit ihnen sonntags vor dem Fernseher sitzt und "Bonanza" guckt. Oder wenn die Handballer des VfL Gummersbach ein Heimspiel haben, wie sich Sohn Jochen erinnert: "Er war ein Patriarch, der klare Standpunkte hatte, aber grundsätzlich sehr fürsorglich war." Vor dem Konstruktiven Misstrauensvotum gegen Willy Brandt (SPD) erklären im April 1972 drei FDP-Abgeordnete, sie würden Rainer Barzel (CDU) zum Bundeskanzler wählen. Einer von ihnen ist Kienbaum. Nach dem Scheitern der Abstimmung zieht er sich aus Partei und Parlament zurück. Drei Jahre später schließt er sich zwar der CDU an, konzentriert sich jedoch wieder auf den Ausbau seines Unternehmens. 1986 übernimmt Sohn Jochen die Leitung der mittlerweile international agierenden Wirtschaftsberatung. In den letzten Lebensjahren muss Gerhard Kienbaum wegen Nierenproblemen kürzer treten. Er stirbt am 24. Februar 1998 im Alter von 78 Jahren in Köln.
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