Als am 9. März 1888 in Berlin die Kirchenglocken den Tod des Kaisers verkünden, geht eine lange Ära zu Ende: Wilhelm I. war 27 Jahre lang preußischer König und 17 Jahre zugleich Kaiser des neu gegründeten Deutschen Reichs. Sein Tod bringt Unsicherheit: Zunächst besteigt sein Sohn Friedrich III. den Thron, stirbt aber drei Monate später. Das macht den Weg frei für seinen Enkel, Wilhelm II. Politisch ändert das so genannte Drei-Kaiser-Jahr wenig, übersteht doch Kanzler Bismarck, der Architekt des jungen Staates, beide Thronwechsel.
Wilhelm I. stammt noch aus einer anderen Epoche: 1797 während der französischen Revolution geboren, nimmt er als junger Offiziersanwärter an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil. Später erlebt er, wie die demokratischen Revolutionäre "Einigkeit und Recht und Freiheit" für die deutschen Kleinstaaten fordern und damit die Fürstenherrschaft bedrohen. Als preußischer Prinz führt er 1848/49 in Berlin und später im Rheinland die Truppen gegen die Aufständischen an. Sein gewaltsames Vorgehen bringt ihm den Schimpfnamen "Kartätschenprinz" ein. Auf dem Höhepunkt der glücklosen Revolution weicht er zeitweise nach Großbritannien aus.
Als Gouverneur des Rheinlandes gilt Wilhelm dann als eher liberal. Seine Frau Augusta von Sachsen-Weimar beeinflusst ihn in diese Richtung. Als er jedoch 1861 nach dem Tod seines älteren Bruders den preußischen Thron besteigt, bestimmt wieder der Gegensatz zur Volksvertretung seine Politik. Jahrelang regiert er ohne genehmigten Haushalt, weil das machtlose Parlament die Ausgaben für das Militär nicht genehmigen will. Wilhelm macht Otto von Bismarck zu seinem Regierungschef, und der verfolgt konsequent den Weg, für Preußen die Führung Deutschlands zu erkämpfen - durch Krieg. Eher widerwillig lässt sich Wilhelm in mehrere Kriege treiben: 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen Österreich und schließlich 1871 gegen Frankreich. Alle werden gewonnen.
Was Bismarck anstrebt, ist Wilhelm zutiefst suspekt: einen deutschen Nationalstaat. Für den König war das stets der Plan der Revolutionäre und eine Gefahr für das Feudalsystem. Bismarck aber will die Einheit von oben, Nationalismus ohne Revolution. Als er Wilhelm nach dem Sieg gegen Frankreich drängt, die Kaiserkrone anzunehmen, lässt der erst alle Fürstenkollegen im Norddeutschen Bund um ihr Einverständnis fragen. Dann wird feierlich das Deutsche Reich aus der Taufe gehoben, zur Demütigung Frankreichs ausgerechnet im Schloss von Versailles. Genau hier wird das deutsche Kaiserreich 57 Jahre später auch enden: mit dem Versailler Friedensvertrag von 1919.
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