Einen derartigen Wirbel hat in Deutschland zuletzt 1963 Ingmar Bergmans "Das Schweigen" verursacht. Schon Wochen vor der Premiere sitzen Kritiker und Zensoren in den Startlöchern, um über einen Film zu urteilen, den die italienische Justiz als "rüde, widerwärtige, naturalistische und sogar unnatürliche Darstellung der fleischlichen Vereinigung" verdammt. Für den sie Regisseur Bernardo Bertolucci vier Monate Gefängnis auf Bewährung und die Aberkennung der Bürgerrechte für fünf Jahre aufbrummt. Der auch in Spanien und Portugal komplett verboten und in Großbritannien stark beschnitten wird. Pariser Kinos warnen ihr Publikum an den Kassen immerhin vor "einer gewissen Anzahl heikler und delikater Szenen". Am 30. März 1973 geht "Der letzte Tango in Paris" auch in der Bundesrepublik an den Start - ungeschnitten, frei ab 18 und ausgezeichnet mit dem Prädikat "Besonders wertvoll".
Der "heißeste Film des Jahres" entpuppt sich als herausragendes, sperrig-kaltes Kammerspiel um zwei Menschen, deren einzige Kommunikationsebene seelenloser, von Lebensverachtung geprägter Sex ist. Paul, ein heruntergekommener, verzweifelter Amerikaner in Paris trifft die blutjunge Jeanne. Er hat Angst vor Einsamkeit und Alter, sie drückt sich vor dem Erwachsenwerden. In einer leerstehenden Wohnung fallen beide übereinander her und beginnen eine verhängnisvolle, anonym-brutale Sex-Affäre. "Was mache ich eigentlich mit dir in dieser Wohnung?" fragt Paul. "Liebe? Sagen wir lieber, wir machen einen Schnellfick auf einem schwankenden Floß." Doch am Ende entdeckt Paul seine Liebe für das Mädchen und öffnet sich. Jeanne erkennt hinter Pauls anziehend-mysteriöser Maske den ausgebrannten, alten Mann und befreit sich aus dessen Umklammerung. Mit einem tödlichen Schuss beendet sie die gefährliche Liebschaft.
Eigentlich will Bernardo Bertolucci das ungleiche Paar mit Jean-Louis Trintignant und Dominique Sanda besetzen. Mit beiden hatte er zuvor schon "Der große Irrtum" gedreht. Doch Sanda ist schwanger und Trintignant will vor der Kamera nicht die Hose herunterlassen. So wählt er aus 100 Bewerberinnen die 20-jährige, unerfahrene Maria Schneider aus. Als Paul kann er Marlon Brando gewinnen, der seinen Karrieregipfel allerdings schon hinter sich zu haben scheint. Mit "Der letzte Tango von Paris" und dem zuvor abgedrehten Mafia-Epos "Der Pate" gelingt dem "angry young man" der 50er ein grandioses Comeback als "dirty old man" der 70er. Auf Bertolucci ist Brando allerdings jahrelang nicht gut zu sprechen. Allzu sehr hatte der Regisseur den Hollywood-Star dazu verführen können, im Film seine verborgene dunkle Seite zu entblößen. Die einzige Regieanweisung, die Brando vor Drehbeginn von Bertolucci erhalten hatte, lautete: "Spiel einfach nur dich selbst."
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