Thema: Stichtage
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8. April 2008, 21:56   #91
Jules
 
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31. März 1948: Todestag von Egon Erwin Kisch

Bevor sich die Vagabunden und Penner im Londoner Obdachlosenheim Whitechapel schlafen legen, holen sie ihre Habseligkeiten aus dem Schnappsack: Fundstücke aus dem Rinnstein. Der Reporter Egon Erwin Kisch ist unter ihnen und beobachtet alles, um es zu einer Reportage zu verdichten. "Einer bindet sein Bruchband zurecht", werden Zeitungsleser in Deutschland später lesen können, "einer wickelt seine Fußlappen ab, einer verdaut hörbar - alle Sinne werden gleichzeitig gefoltert".

Kisch wird 1885 als Sohn eines jüdischen Tuchhändlers in Prag geboren. Nach einem Volontariat beim "Prager Tagblatt" besucht er ab 1905 eine Journalistenschule in Berlin. Nach Anstellungen als Lokalreporter wird er 1913 berühmt, als er den Skandal um den russischen Spion Oberst Redl, der nach seiner Enttarnung Selbstmord begeht, publik macht. Selbst der Kaiser erfährt von dem Fall erst durch ihn aus der Zeitung. Im Ersten Weltkrieg liefert Kisch erschütternde Reportagen von den Schlachtfeldern. Noch während seiner Arbeit für das Wiener Kriegspressequartier wird er Mitglied in einem illegalen Arbeiter- und Soldatenrat und beteiligt sich am Wiener Januarstreik, um Friedensverhandlungen zu erzwingen. 1924 gibt er sich mit der Artikelsammlung "Der rasende Reporter" selbst seinen Beinamen. "Der Reporter hat keine Tendenz", beschreibt Kisch seine Arbeitsauffassung, die zahllose Journalisten beeinflusst. "Er hat unbefangen Zeuge zu sein und hat unbefangen Zeugenschaft zu geben". Dass man diesen Grundsatz auch mit Leidenschaft und Engagement verknüpfen kann, beweist der überzeugte Kommunist immer wieder.

Ihm könne eigentlich nichts passieren, behauptet Kisch einmal. "Ich bin ein Deutscher. Ich bin ein Tscheche. Ich bin ein Jud. Ich bin aus gutem Hause. Ich bin Kommunist. Ich bin Corpsbusch. Etwas davon hilft mir immer." Als er diese Sätze niederschreibt, ist er schon lange auf der Flucht. 1933 wollten ihn die Nationalsozialisten gleich nach dem Reichstagsbrand inhaftieren, später wird er nach Prag abgeschoben. Dorthin kehrt er nach rastlosen Aufenthalten in Paris, Madrid, den USA und Mexiko 1946 zurück. Er stirbt am 31. März 1948, einen Monat vor seinem 63. Geburtstag, an einem Herzschlag.

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