Eine Kartoffel, ein Handtuch und etwas warmer Sand. Mehr braucht die junge Käthe Kruse nicht, um zur Jahrhundertwende eine Puppe für ihre Tochter zu basteln. Es ist eine schlichte Puppe, aber doch so viel weicher und wärmer als die harten, zerbrechlichen Porzellanfiguren, mit denen kleine Mädchen sonst spielen müssen. Zwar rieselt bald der Sand aus dem Eigenbau, doch für Kruses Tochter wird das anschmiegsame Wesen zum heiß geliebten Spielpartner. Es ist der Urahn von "Schlenkerchen" und "Träumerchen", von "Dorli", "Mimerle" und "Däumelichen" - handgefertigte, knuddelige Persönlichkeiten mit echtem Haar und ernstem Blick für kleine Puppenmütter.
Katharina Simon wird am 17. September 1883 in Breslau als uneheliches Kind einer Näherin in eine ärmliche und lieblose Umgebung hinein geboren. Mit sechzehn zieht es sie zum Theater; schon ein Jahr später wird sie unter dem Künstlernamen Hedda Somin am Berliner Lessing-Theater engagiert. Sie taucht tief ein in die Berliner Boheme-Szene und verliebt sich 1901 in den berühmten, 30 Jahre älteren Bildhauer Max Kruse. Rasch werden zwei Töchter geboren, die das Ende der Schauspielkarriere bedeuten. 1910 heiratet Hedda ihren Max, heißt fortan Käthe Kruse und genießt eine weitgehend glückliche Künstlerehe jenseits der bürgerlichen Konventionen. Während die 20-jährige Mutter mit ihren beiden Kindern ins Tessin übersiedelt, hält sich Max meist in seinem Berliner Atelier auf. Eines Tages bittet Käthe ihn, der älteren Tochter Marie, genannt Mimerle, in Berlin eine Puppe zu kaufen. Max findet in den Geschäften aber nur steife, kühle Porzellanfiguren. "Nee, ick koof euch keene", schreibt er zurück. "Ick find se scheißlich. Macht euch selber welche."
Mimerle ist fasziniert von der ersten Sandpuppe, die ihre Mutter ihr bastelt. Damit nichts mehr rausrieselt, stopft Käthe die folgenden Modelle mit feinem Rehhaar aus und gibt ihren Geschöpfen echte Zöpfe, blaue Augen, Stupsnase und Schmollmund. Es dauert nur Monate, bis ganz Berlin verrückt ist nach Mimerle. Kurz darauf trifft ein Telegramm aus den USA ein: "Auftrag zur Lieferung von 150 Käthe-Kruse-Puppen". 1912 ziehen die Kruses nach Bad Kösen und bald beschäftigt die unternehmungslustige Käthe in ihren Werkstätten 150 Mitarbeiter. Später wird die Kollektion um Aufsehen erregende Schaufensterpuppen erweitert.
Auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs muss Käthe Kruse drei Schicksalsschläge überwinden. Zuerst stirbt Sohn Jochen an einem Gehirntumor, dann 1942 der inzwischen 88-jährige Max und kurz vor Kriegsende fällt ihr Sohn Friedebald in Russland. Nach dem Krieg eröffnet Käthes Sohn Max in Donauwörth ein neues Werk, während der alte Stammsitz im thüringischen Bad Kösen zum Volkseigenen Betrieb umfunktioniert wird. Käthe Kruse bleibt bis ins hohe Alter kreativ und als Firmenpatriarchin im Dienst. Am 19. Juli 1968, wenige Wochen vor Vollendung ihres 85. Lebensjahres, stirbt die weltbekannte Puppenmutter im bayerischen Murnau.
Klick