Lendenlahm?
Als Schuljunge sah ich einer Dame, die bei meinen Eltern zu Gast war, auf die Brosche. Die Dame hieß Vogel, und die Brosche stellte einen Vogel dar. Ich schaute also auf die Brosche, die auf dem Busen von Frau Vogel schwebte und sagte, dieser Vogel ist ja sehr sinnlich. Alles errötete, und meine Mutter verbesserte in "sinnig". So geht es einem.
Aber auch das Alter kann sich irren. Ich hörte eine ältere Dame, die aus ihrer Jugend den Ausdruck "schnäbeln" kannte, in aller Unschuld von "vögeln" sprechen, als sie von einem jungen Pärchen sprach, das sie im Wald gesehen hatte. Ich wagte nicht, sie auf die Verwechslung aufmerksam zu machen.
Ich wundere mich auch, wieviele Menschen freimütig ein harmloses Stück Papier als "Wisch" bezeichnen, ohne daran zu denken, dass man nicht jedes Papier zum Wisch machen sollte. Und wie oft wollen sich Leute eine Bemerkung "verkneifen", wo es doch eindeutig ist, was allein man sich verkneifen kann und muss. Worte jedenfalls und ähnliche mündliche Äußerungen kann man ja durch bloßes Schweigen unterdrücken.
Und da wir gerade bei den ganz unschuldigen Zweideutigkeiten sind: Ich habe zarte Mädchen, die sich gewiß nichts dabei dachten, schon Jungen als Schlappschwänze bezeichnen hören, obwohl diese allenfalls als tanzunlustig oder als bierselig gelten konnten. Im gleichen Sinne nannte uns ein Griechischlehrer schlicht lendenlahm. Hätte der sonst so gelehrte Mann uns doch auf berlinisch "lahmarschig" genannt. Aber nein, ausgerechnet die Lenden hielt er für unverfänglicher.
Mir fällt auch auf, mit welcher Großzügigkeit man heute einen einflussreichen Mann als potent bezeichnet. Mag seine Potenz auch die eines Potentaten sein, ich halte das doch für potentiell missverständlich und bin nur froh, dass sich "impotent" nicht auch schon ausgebreitet hat. Und wenn seit dem Film "Zur Sache Schätzchen" ein junger Mann als "abgeschlafft" gilt, so mag man es so unschuldig nehmen, wie es gelegentlich gemeint sein mag.
Das ist ja alles nichts gegen die Gewohnheit davon zu sprechen, jemand habe sich gesund gestoßen. Das ist nun so eindeutig wie die Stoßzeiten des Stoßverkehrs zweideutig sind. Es sind gewiss die gleichen Leute, die von "poussieren" sprechen, wenn sie eine Liebelei meinen oder allenfalls ein Petting. Wobei doch "poussieren" auf deutsch ganz unverblümt "stoßen" heißt. Früher nannte man sogar einen flotten Jüngling Poussierstengel, sozusagen pars pro toto. Das ist zum Glück aus der Mode, und nur sein Gegenstück, besagter Schlappschwanz, ist noch in aller Munde. Hat man einmal verstanden was diese Wörter bedeuten, so kann man ja vor Schrecken kein Glied mehr rühren.
entnommen
HIRSCH,E.C. 1988,
"Deutsch für Besserwisser"
<center><FONT COLOR="red"><FONT size="3">Andrea
"Miss Encarta"
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