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26. May 2002, 00:08   #1
quentin
 
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Die Schwankungen der Großbourgeoisie

Leo Trotzki - 1930

Die Schwankungen der Großbourgeoisie



Bei jeder Wendung der Geschichte, bei jeder sozialen Krise muß man immer wieder die Frage der gegenseitigen Beziehungen der drei Klassen der gegenwärtigen Gesellschaft
überprüfen: der vom Finanzkapital geführten Großbourgeoisie, der zwischen den beiden Hauptlagern schwankenden Kleinbourgeoisie und des Proletariats.

Die Großbourgeoisie, eine kleine Minderheit der Nation, kann ihre Macht nicht halten, wenn sie sich nicht auf die Kleinbourgeoisie in Stadt und Land, d.h. auf die Reste des alten und auf
die Masse des neuen Mittelstandes stützen kann. Sie hält ihre Herrschaft gegenwärtig wesentlich mit Hilfe zweier Organisationen aufrecht, die politisch einander entgegengesetzt sind,
historisch aber einander ergänzen: Sozialdemokratie und Faschismus. In der Sozialdemokratie führt die Kleinbourgeoisie, die dem Finanzkapital folgt, Millionen von Arbeitern hinter sich.

Gegenwärtig schwankt die deutsche Großbourgeoisie und ist zersplittert. Ihre Zwiespältigkeit besteht in der Frage, welche der beiden Heilmethoden sie in der gegenwärtigen sozialen
Krise anwenden soll. Die sozialdemokratische Therapie stößt einen Teil der Großbourgeoisie wegen der Unbestimmtheit ihrer Ergebnisse und des Risikos allzugroßer Unkosten zurück
(Steuer, soziale Gesetzgebung, Arbeitslohn usw.). Der chirurgische Eingriff der Faschisten erscheint dem anderen Teil als der Lage nicht entsprechend und allzu riskant. Mit anderen
Worten: die Finanzbourgeoisie als ganze schwankt in der Einschätzung der Lage und sieht noch keinen hinreichenden Grund, das Eintreten ihrer »dritten Periode« zu verkünden, in der die
Sozialdemokratie gänzlich durch den Faschismus ersetzt wird und bei dieser Gelegenheit - zum Lohn für die von ihr geleisteten Dienste - einem allgemeinen Pogrom zum Opfer fällt. Das
Hin-und-her-Schwanken der Großbourgeoisie zwischen Sozialdemokratie und Faschismus bei gleichzeitiger Schwächung ihrer wichtigsten Parteien ist das eindeutige Symptom einer
vorrevolutionären Situation. Bei Eintritt einer wirklich revolutionären Situation würden diese Schwankungen natürlich sofort aufhören.
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gibts da zu heute Parallelen?

mfg