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29. May 2002, 10:48   #12
tw_24
 
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Bevor ich auftragsgemäß ;-) abschweife noch einmal zum Threadtitel.

Gerhard Schröder sieht das "Ansehen Deutschlands im Ausland" durch Vorgänge gefährdet,
die unterhalb der ausländischen Regierungsebenen kaum jemand wahrnimmt. Das kann der
Sozialdemokrat und Genosse der Bosse eigentlich gar nicht ernsthaft als Argument vor-
bringen.

Läge ihm das "Ansehen Deutschlands" am Herzen, als Kanzler soll er ja "Schaden vom
deutschen Volke" abwenden, hätte er nicht den Stabilitätspakt im Zusammenhang mit der
Einführung des Euro aus reinen wahlkampftaktischen Gründen geopfert.

Dagegen sind hauptsächlich nationale Verstimmungen über einen Politiker, der aus al-
len Wolken fällt, wahrlich eine Bagatelle, an die in zwei, drei Monaten niemand mehr
denken wird. An die Erpressung der Europäischen Kommission, ja keine "blauen Briefe"
ins Wahlkampfjahr zu schicken, dagegen werden sich besonders ausgabenfreudige Staats-
verschuldner immer wieder gern erinnern ...

Im Wahlkampf ist den Genossen auch ein rechtspopulistisch irrlichternder Möllemann
willkommener als die Erinnerung an gewisse Versprechen - Versprecher? -, an denen man
sich messen lassen wollte.

Es geht Schröder nicht um das "Ansehen Deutschlands im Ausland", sondern um schnöden
Machterhalt. Und dazu ist ihm und seinem Generalsekretär jedes Mittel recht, wenn es
darum geht, vom eigenen Scheitern abzulenken.

Also wird schnell eine "Ansehen" konstruiert, das sich von einem Möllemann so wenig
erschüttern lassen wird wie China von einem umfallenden Sack Reis - aber, gäbe es da
echte Wahlen, würde die regierende Partei bestimmt eine Kampagne starten: "Umfallen-
der Sack Reis gefährdet das Vertrauen des Auslands in Chinas Zuverlässigkeit" ...

Schröder und seine Genossen mißbrauchen das Thema für ihren einfalls- und substanzlo-
sen Wahlkampf - ohne Möllemann wären sie doch beinahe aufgeschmissen.

Wenn wenigstens einmal aus der Wahlkampfzentrale der SPD käme, warum eine in einer
Demokratie ja auch nicht unübliche kontroverse Auseinandersetzung über Grundwerte,
in diesem Fall also "unser" Verhältnis zu Israel im Angesicht der historischen Ver-
antwortung, dem "Ansehen" der bundesrepublikanischen Demokratie schadet, könnte man
weiter über die Genossen diskutieren.

Zitat:
Zitat von quentin
Das Thema, als ich getern im gEb war und den Mist von Rom - Guru gelesen hatte, wurde
mir klar, dass das Wort ' Demokratie ' fur Juden in Deutschland eine andere Bedeutung
hat, als sie mir geläufig ist.
Rom-Guru ist so wenig wie Michel Friedman der "Musterjude". Von dem einen auf den an-
deren zu schließen, halte ich für wenig sinnvoll. Rom-Guru würde aber vermutlich den
ultrarechten Netanjahu wählen und "Frieden" nur dann finden, wenn Israel rasserein und
von einer sehr, sehr hohen Mauer umgeben und einem dicken, dicken Dach bedeckt
wäre ;-) ... Ich habe mich ja früher mit ihm angelegt, aber in einen Thread einzustei-
gen, der bei Friedman begann und sich nun um Arafat dreht, reizt mich einfach nicht,
obwohl man ihn mal fragen könnte, wie er wohl all die hunderttausend vertriebenen Pa-
lästinenser für ihr Leid entschädigen würde, das eindeutig von Israel verursacht wur-
de ...

Zitat:
Zitat von jupp11
Selbst mit Friedman gehe ich in einigen Punkten einig, allerdings erscheinen mir Deine
Erklärungsversuche für den Friedman-Satz oben ziemlich daneben.

Du erklärst nicht den Satz Friedmans, sondern versuchst zu rechtfertigen, warum er ihn
gesagt hat.

Und eine derartige Rechtfertigung zieht bei mir nicht. Jemand der derartiges von sich
gibt, muss damit rechnen, dass er als Demagoge gebrandmarkt ist.

Sätze wie der von Friedmann müssten auch "standalone" kritischer Nachfrage standhalten,
genauso, wie Friedman selbst es von Möllemann und Co. fordert.
Hier also Versuch #2, obwohl ich schon ahne, daß er auch nicht ganz überzeugen wird ;-):

"Er hat die jüdische, zionistische Lobby und ihren Welteinfluss kritisiert, und da sind
wir wirklich mitten im Dritten Reich." hat Michel Friedman erklärt, und er bezog sich
dabei auf Jamal Karsli, der eine "zionistische Lobby" ins Spiel gebracht hatte.

Möllemanns Schützling redet von einer zionistischen Lobby mit Weltbedeutung/-einfluß und
sieht sich zugleich als Opfer derselben. Das dachte Adolf Hitler auch. Und ein paar
Millionen Deutsche folgten seinen Erklärungsversuchen für das "Unglück" Deutschlands, die
das Deutsche Reich immer in einer Opferrolle sahen. (Hierzu sei auch Martin Walser vom
08.05.2002 empfohlen, der Hitler und Holocaust als Folge des Vertrages von Versailles zu
erklären versucht, alle Schuld also den damaligen Siegermächten in die Schuhe schiebt.)

Karsli in Kombination mit Möllemann, letzterer jedoch auch als Solist, hängen gleichen
Erklärungsmustern an wie der deutsche Nationalsozialismus.

Nun ist diese Art des Antisemitismus nicht von Hitler erfunden worden, man muß also
nicht zwangsläufig das Dritte Reich bemühen. Doch in diesem wurde mit typisch deutscher
Präzision die "Problemlösung" betrieben. Wenn da nun sechzig nach dem Ende des Dritten
Reiches wieder Verschwörungstheorien gepflegt werden, die sich gegen Juden als solche
richten ("zionistische Lobby" kann ja schwerlich "nur" auf die Regierung Scharon gemünzt
sein), und das ausgerechnet in Deutschland, dann ist es angebracht, das "Dritte Reich"
zu erwähnen.

Allerdings könnte man da vielleicht tatsächlich auch von einer Übertreibung/Dramatisie-
rung sprechen, denn ein Viertes Reich scheint nicht unbedingt zu drohen. Dennoch, wenn
in den Köpfen erst einmal (alte) Feindbilder wiederauferstehen, dann ist das gesell-
schaftliche Klima vergiftet, dann mag den hunderttausend deutschen Juden zwar keine kör-
perliche Vernichtung drohen, aber die alte Stigmatisierung, sie seien irgendwie "andere"
Lebewesen, wäre wieder da. Sie wären wieder einmal Fremde in der eigenen Heimat.

MfG
tw_24