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3. June 2002, 23:56   #1
jupp11
 
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Der Afghanistan-Krieg ist nicht zu gewinnen

Zitat:
Die am besten ausgerüstete Armee der Erde kämpft in Afghanistan gegen Bauern und leicht bewaffnete Guerilla. Und die USA werden den Kampf gegen die Taliban verlieren.

Von Kai Biermann
In den ersten Kämpfen haben die Vereinigten Staaten gesiegt. Ihre Langstreckenbomber, Kampfflugzeuge, Hubschrauber und ferngelenkte Raketen haben jedes Ziel in Afghanistan angegriffen, das einen Angriff auch nur halbwegs lohnte und es zerstört.

Der Kampf ist jedoch noch lange nicht vorbei. Immer wieder werden in den Bergen Offensiven begonnen, strategisch wichtige Punkte gestürmt, oder Höhlen durchsucht. «Buzzard» heißt die Operation, die am Mittwoch in Ostafghanistan begonnen wurde, eine von vielen in den letzten Wochen.

Aber die milliardenteuren Waffensysteme sind dabei nutzlos. B2-Bomber, Cruise Missiles, M1A1-Panzer sind zu groß, zu schnell und zu unhandlich, um verstreute Kämpfer in den zerklüfteten Bergen zu jagen. Sie sind hervorragend geeignet, um überschallschnelle Flugzeuge vom Himmel zu holen oder verbunkerte Raketensilos zu knacken, aber in solch schwerem Gelände gibt es keine eindeutigen Ziele, dort sind ein paar Soldaten mit Gewehren sehr viel schneller als ein Bataillon Panzer. Die amerikanischen Soldaten müssen in dieser neuen Schlacht zu Fuß kämpfen.

Auch führt die technologische Überlegenheit zu einem Problem: Die Drohnen in der Luft können große Areale überwachen, aber in einem unübersichtlichen Gelände sind ihre Informationen trügerisch. Fehlinterpretationen sind nicht selten – so trafen ferngelenkte Raketen auch Stammesführer auf dem Weg zur neuen Regierung und ein Sonderkommando machte Regierungsmitarbeiter nieder, die Waffen einsammelten.



Geländegewinn bedeutet nichts

Durch den Nachteil des Geländes ist die große amerikanische Armee nicht einmal stärker als die der Taliban. Zwei Drittel der 16.500 in Afghanistan stationierten alliierten Soldaten werden dazu benötigt, die Maschinerie in Gang zu halten, sie mit Wasser, Essen, Treibstoff und Munition zu versorgen. Die tatsächlich kämpfenden Infanterie-Einheiten sind wahrscheinlich nicht viel größer als die der Taliban.

Sie sind zwar besser ausgerüstet und besser ernährt, aber sie kämpfen gegen eine Guerilla, und der geht es nicht darum, ein Gelände zu halten oder ein Gebäude zu verteidigen. In einem solchen Gefecht würde eine «irreguläre» Truppe gegen eine «reguläre» Armee immer verlieren und hohe Verluste erleiden. Da die Taliban aber alles fast kampflos preisgeben, bleiben sie flexibel, sind schwer zu finden und kaum zu treffen.

Große Operationen wie «Anaconda» oder «Snipe» brauchen Wochen an logistischer Vorbereitung und Tage, bis sie ein Gelände wirksam kontrollieren können. Die Standing Operation Procedure der US Armee basiert auf der Annahme, dass ein Armeekorps in der Lage ist, maximal zwei bis drei Befehle innerhalb von 24 Stunden auszuführen. Gegen einen beweglichen und kaum berechenbaren Gegner ist das, als wollten Schnecken Fliegen fangen.

Jedes Dorf, das die US Armee erobert, ist nur ein weiteres Stück Land, das besetzt und überwacht werden muss und ein weiterer wunder Punkt, an dem die Taliban einen Anschlag verüben können, um anschließend wieder zu verschwinden.

Große Operationen können den Gegner nur aus einem Gebiet verdrängen, ein entscheidender Schlag ist kaum möglich, zu verteilt agieren die Taliban, zu wenig koordiniert. Und wird das Gebiet nicht mehr verteidigt, kommen sie wieder.



Wer gegen Schwache kämpft, wird schwach

In jedem Krieg seit 1945, in dem ein «zivilisierter» Staat seine moderne und gut trainierte Armee gegen eine nationale Bewegung, gegen Warlords oder Guerillas eingesetzt hat, wurde diese geschlagen. Das lernte die Rote Armee in Afghanistan, die bis dahin siegreiche vietnamesische Armee in Kambodscha, die indische in Sri Lanka, oder die südafrikanische, die am längste von allen durchhielt, in Namibia.

Das Problem sei immer das gleiche, schreibt Martin van Creveld, ein Militärtheoretiker, der an der Hebrew Universität in Jerusalem lehrt: «Wer gegen die Schwachen kämpft, wird selber schwach; derjenige, der sich wie ein Feigling verhält – und das Bekämpfen von Schwachen ist per Definitionem feige – wird ein Feigling.»

Das meint nicht, dass es den USA an Entschlossenheit fehlt. Doch je härter und brutaler sie in den Bergen Afghanistans kämpfen, umso mehr ähneln sie ihrem Gegner und umso mehr nutzen sie ihm. Wer einen schmutzigen Krieg führt, wird schmutzig. Dabei haben die USA und jedes andere Land, das nicht auf eigenem Boden kämpft, zwei entscheidende Probleme – die Moral ihrer Truppen und die Meinung der Bevölkerung.

Army Rangers, Green Berets, Delta Forces – sie alle sehen Kameraden und Freunde im Kampf fallen in einem Land, dessen Sprache sie nicht einmal verstehen. Die Taliban verlieren keine Freunde, sie bekommen Heilige, Märtyrer und Helden. Für die Taliban, die Paschtunen oder die Al Qaeda ist diese Art Krieg ein Teil ihrer Geschichte, ihrer Kultur. Für die USA ist er ein zeitlich begrenztes Engagement in einem fernen Teil der Welt. Je länger er dauert und je härter er wird, umso lauter werden die Proteste des amerikanischen Militärs und die der Presse sein.



Verschwinden, so schnell es geht

Nicht umsonst versucht die US-Regierung, die Presse zu kontrollieren, beschwört immer wieder die Gefahr, die vom Terrorismus der Al Qaeda ausgeht und versucht gleichzeitig, die Opfer und Helfer der Anschläge auf das World Trade Center und die kämpfenden Soldaten zu heroisieren.

Langfristig vereint aber nur der Kampf gegen einen stärkeren Gegner Volk und Truppen, der Kampf gegen einen offensichtlich Schwächeren entzweit.

Die USA können diesen Krieg nicht gewinnen und das wissen auch die amerikanischen Generale, sie haben aus dem Vietnam-Konflikt gelernt. Irgendwann werden sie den Kampf in Afghanistan für gewonnen erklären und aus dem Land verschwinden, sobald die dortige Regierung auch nur halbwegs stabil und arbeitsfähig scheint.
Soviel dazu...