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5. June 2002, 13:24   #6
tw_24
 
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Der einleitende Artikel ist interessant und - unvollständig, weil er die Erfolgskriterien dieses Krieges in und gegen Afghanistan nicht nennt. Damit beschränkt sich die Analyse, was sicher auch löblich ist, einfach auf die theoretische Frage, ob mit einer hochgerüsteten Militärmaschinerie überhaupt erfolgreich gegen eine mehr oder weniger gut organisierte privatisierte Gewalt (bzw. Terrorismus) vorgegangen werden kann.

So wenig wie die israelische Armee mit ihrem gewalttätigen Vorgehen dauerhaften Frieden für Israel erreichen kann, so wenig wird die us-amerikanische "Materialschlacht" gegen vermutete und eingebildete "Terroristen-Nester" den USA zukünftige terroristische Anschläge ersparen.

Mit Armeen kann individueller Terrorismus nicht besiegt/kontrolliert werden. Der Krieg in Afghanistan ist in dieser Hinsicht schon mit seinem Beginn am 07. Oktober 2001 verloren. Hinzu kommt, daß sich mit jedem unschuldig Getöteten die moralische Legitimation dieser "Verteidigung" der "zivilisierten Welt" mehr und mehr verflüchtigt.

Mindestens 4.000 durch US/NATO-Angriffe getötete Zivilisten in Afghanistan sind dokumentiert, hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung hat Afghanistan einen ungleich höheren Blutzoll entrichten müssen als die USA, die zuvor ja auch noch die Taliban nach Kräften unterstützten, als es darum ging, Afghanistan den Sozialismus auszutreiben.

Zitat:
Zitat von quentin
denkbar, dass die Analyse stimmt, aber auch wünschenswert? Wohl kaum, wenn man die Taliban und ihre Schreckensherrschaft zugrunde legt.
Was der eigentliche Grund war, warum Amerika da Krieg führt, relativiert sich für mich zunächst, wenn eine hoffentlich in Ansätzen demokratische Struktur aufgebaut wird.
Nun ja, vergleichen wir "Talibanistan" mit dem Afghanistan von heute, so könnte man sicher sagen, daß zumindest in Kabul - vermutlich aber auch nur dort - bessere Verhältnisse herrschen. Allerdings halte ich nicht viel davon, den Krieg gegen Afghanistan nachträglich damit zu rechtfertigen, zumal die "Sieger" von heute jahrelang das Taliban-Regime stützten, also direkt oder indirekt mitverantwortlich sind für die miserable Menschenrechtslage unter den "Gotteskriegern".

Demokratische Strukturen werden in Afghanistan nicht errichtet werden. Einerseits nämlich ist es ziemlich schwierig, einem Land eine fremde, vielleicht auch bessere Gesellschaftsordnung aufzuzwingen, andererseits geht es gerade den USA doch gar nicht um einen Aufbau einer Zivilgesellschaft in Afghanistan, da sie sich nicht an der "Schutztruppe" beteiligen, die selbst auch nur in Kabul wirkt und dort so nette Leute wie den Usbeken-General Dostum als stellvertretenden Verteidigungsminister beschützt, statt ihn zu verhaften.

Es geht der westlichen "Wertegemeinschaft" einzig darum, in Afghanistan stabile Verhältnisse zu schaffen, egal, ob das eine (Militär-) Diktatur oder einer Demokratie sein wird. Nur dann nämlich lassen sich dort Geschäfte machen, Erdölpipelines errichten, die a) Bestand haben und b) nicht von Rußland kontrolliert werden können. Die Taliban waren in dieser Hinsicht eine ganze Weile hervorragende Geschäftspartner, die nebenbei auch noch recht erfolgreich gegen den Mohnanbau in ihrem Herrschaftsgebiet vorgingen, die neue Marionettenregierung in Kabul dagegen scheint noch weitgehend machtlos zu sein.

Selbst unserem Menschenrechtsfreund Joseph Fischer waren die Taliban offenbar recht sympathisch, denn im Bartzwang für Männer und der Unterdrückung von Frauen sah sein Ministerium keinen Grund, die Menschenrechtslage dort so zu beurteilen, daß Flüchtlingen aus Afghanistan Asyl gewährt würde.

"Bei Anpassung an die Regeln für die Aufrechterhaltung der ´Ordnung´ im Verständnis der Taliban (etwa zur Verwirklichung der Geschlechtertrennung oder zur Haar- und Barttracht von Männern) ist in Afghanistan - auch für Rückkehrer aus dem Ausland - die persönliche Sicherheit des Einzelnen gewährleistet. [..] Im Übrigen stellen die strengen Verhaltensmaßregeln der Taliban und die damit einhergehenden Einschränkungen in der Lebensführung letztlich nur eine Ausprägung fundamentalistisch-islamischer Anschauungen und eines entsprechenden Gesellschaftsverständnisses dar. Bei der Ahndung etwaiger Verstöße handelt es sich mithin nicht um eine asylrelevante, d.h. aus der übergreifenden Friedensordnung ausgrenzende Verfolgung." formulierte der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten, der Joseph Fischer unterstellt ist, noch im vergangenen Jahr in schönstem Beamtendeutsch.

Wenn dieser nun heute behauptet, der Krieg sei zur Verwirklichung der Menschenrechte geführt worden, gestern aber nicht einmal Asylgründe sah, ist das nichts als verlogene Heuchelei. Und das trifft wahrlich nicht nur auf Joseph Fischer, sondern auch all die Schröders, Blairs und Bushs zu, die nun die Kriegshelden spielen.

Zitat:
Zitat von jupp11
ne nette Frage darknesz, hast Du vielleicht ein paar Lösungsansätze parat.

Ich denken nämlich das eben nicht alle ihre Probleme mit Gewalt lösen wollen.
Das ist die Frage, die Pazifisten gar nicht mögen ;-). Aber im konkreten Fall gäbe es schon friedlichere Alternativen.

Zunächst einmal die "Strafverfolgung" der angeblichen Attentäter vom 11. September 2001: Die USA hätten den ganz normalen Weg durch die Mühlen der internationalen Justiz gehen können. Die Beweise für die Verstrickung der Taliban in die Terroranschläge hätte man einem US-Richter vorlegen können, der sodann von Afghanistans Regierung die Auslieferung der Verantwortlichen hätte fordern können - die Taliban hatten das übrigens sogar selbst angeboten. Wäre die Auslieferung nicht erfolgt, wäre die UNO als zwischenstaatliche Instanz ins Spiel gekommen, die durchaus über ein ziviles Instrumentarium verfügt, um Recht zu erzwingen (oder es zu versuchen). Hätte auch das nichts gebracht, dann wäre eine internationale Polizeitruppe denkbar gewesen, die - mit militärischen Mitteln - die Täter/Verantwortlichen hätten suchen und verhaften können.

"Befreiung" Afghanistans von der Schreckensherrschaft der Taliban: Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe der UNO (oder anderer Staaten), die inneren Verhältnisse von Staaten gewaltsam zu ändern. Gehörte dies zu den Aufgaben der UNO oder wäre es völkerrechtlich erlaubt, müßte an vielen Ecken des Globus Krieg herrschen. In Suadi-Arabien zur Befreiung der Frauen, in den USA, um die unmenschlichen Verfechter der Todesstrafe zur Strecke zu bringen, in Rußland, um die Meinungsfreiheit in den Medien durchzusetzen, in der BRD, um der Genfer Konvention zum Schutz minderjähriger Flüchtlinge zu ihrem Recht zu verhelfen.

Überhaupt gehörte dann die westliche "Wertegemeinschaft" auf die Anklagebank, weil sie die Vorgänger der Taliban mit deren Hilfe bekämpfte, die aus Afghanistan einen sozialistischen Staat machen wollten und gegen den Terror der CIA-Freunde die UdSSR schließlich um militärische Unterstützung baten. Denn auch wenn es vielen nicht passen wird - mindestens in den afghanischen Städten ging es den Afghanen und Afghaninnen unter dem Schutz sowjetischer Truppen besser als jemals zuvor oder danach. Die heutigen Ärztinnen sind in Moskau ausgebildet worden, während Washington Koranschüler mit Waffen "sponsorte", um von Pakistan aus die "freie Welt" zu verteidigen. (* quentin, leg los! Wenn das keine Steilvorlage für Dich ist ... ;-) *)

MfG
tw_24