Einzelnen Beitrag anzeigen
10. June 2002, 11:14   #5
zeus2212
 
Registriert seit: November 2001
Beiträge: 4.800
Deutschland will drohende EU-Sanktionen abwenden

Deutschland will drohende EU-Sanktionen abwenden

Mit einem Eilbericht über den Nitrofen-Skandal wollen Bund und Länder drohende EU-Sanktionen gegen Deutschland in letzter Minute abwenden. Die EU-Kommission will an diesem Montag über Folgen aus den Vorgängen um das Krebs erregende Pflanzenschutzmittel Nitrofen beraten. Diese könnten bis zu einem befristeten Verkaufsverbot für deutsche Öko-Lebensmittel reichen. Belgien will zugleich im Alleingang bestimmte deutsche Einfuhren ohne das Zertifikat "Nitrofen-frei" sperren. Die Agrar-Staatssekretäre von Bund und Ländern kamen in Berlin zu einer Krisensitzung zusammen und wollten den Bericht über ihre Maßnahmen nach Brüssel schicken.
Jeder hätte Bescheid wissen müssen
Der Vermieter der Gifthalle von Malchin (Kreis Demmin), der Neustrelitzer Steuerberater Bernd Walte, hat nun sein Schweigen gebrochen. "Alle Dokumente, die ich besitze, beweisen, dass jeder Eigentümer und auch jeder Mieter seit 1990 ganz genau wusste, dass hier zu DDR-Zeiten Pflanzengifte gelagert wurden", sagte Walter in einem am Montag vorab veröffentlichten Interview der Zeitschrift "Super Illu".

Gifte wurden bis 1995 in der Halle gelagert
Die frühere Nutzung der Halle könne man auch im Grundbuch, im Treuhandvertrag und in den Mietverträgen nachlesen. Walte, der seit 1999 der Konkursverwalter für das betreffende Gelände ist, soll jetzt von der Neubrandenburger Staatsanwaltschaft zum Nitrofen-Skandal befragt werden. "Ich frage mich, warum ich erst jetzt vorgeladen werden soll. Alle Unterlagen habe ich ja da." Daraus gehe hervor, dass die letzten Pflanzenschutzgifte in Malchin erst 1995 entsorgt worden seien. Die Rechnung über den Preis von 300.000 Mark liege ihm vor.

Ermittlungen in Deutschland verstärkt
Unter dem Druck der EU waren die Ermittlungen in Deutschland noch einmal verstärkt worden und hatten neue Erkenntnisse ans Licht gebracht. Aus einer verseuchten Lagerhalle in Malchin (Mecklenburg- Vorpommern) wurde schon einen Monat früher als angenommen Futtergetreide an Öko-Betriebe ausgeliefert. Damit erhärtet sich nach Ansicht des Berliner Ministeriums die Annahme, dass Malchin die einzige Quelle für Nitrofen-Verseuchung ist.

Entwarnung bei Geflügelwurst
Das Berliner Verbraucherschutz-Ministerium sah sich durch neue Informationen aus Niedersachsen in seiner Auffassung bestärkt. Zuvor hatte das Land für die Geflügelwürstchen der Firma "Meica" eine Entwarnung gegeben. Agrar-Staatssekretär Alexander Müller (Grüne) äußerte sich am Rande der Berliner Krisensitzung zuversichtlich, dass die EU-Kommission nun keinen Grund mehr habe, eine generelle Sperre zu erwägen. Bereits im Vorfeld sprach Müller sich gegen ein generelles Verkaufsverbot aus. Er verwies darauf, dass in Deutschland bereits 90 Öko-Betriebsstätten gesperrt seien und eine Reihe von Betrieben mit selbst produziertem Futter arbeiteten.

Brüssel wartet auf weitere Informationen aus Berlin
Zuvor erklärte, Beate Gminder, Sprecherin von Verbraucherschutzkommissar David Byrne, dass Brüssel zunächst weitere Informationen aus Berlin abwarten wolle. "Es ist noch nichts entschieden." Ein befristetes Verkaufsverbot, das auch für Deutschland selbst gelten würde, kann von der Kommission beschlossen werden. Dazu ist eine einstimmige Entscheidung der Kommissare nötig. Eine Sondersitzung ist nicht geplant, doch könnte eine Entscheidung auch im schriftlichen Verfahren fallen. Die Kommissionssprecherin sagte, angesichts der verworrenen Informationslage könnte es sinnvoll sein, "eine Pause einzulegen". Diese Überlegung schließe die Möglichkeit eines Verkaufsstopps ein. Da es Nitrofen-Funde bislang nur in Öko-Produkten gegeben habe, liege es nahe, Konsequenzen zunächst für diese Produkte zu ziehen.
Belgien will deutsche Produkte streng kontrollieren

Die EU-Kommission wird sich auch mit der Ankündigung Belgiens befassen, Getreide, Getreideprodukte und tierische Erzeugnisse aus Deutschland streng zu kontrollieren. Die belgische Regierung hätte die EU-Behörde zuvor konsultieren müssen, hieß es. Belgien begründete den Schritt mit verwirrenden Informationen. Gesundheitsministerin Magda Aelvoet sagte: "Welch ein Durcheinander. Mal erzählen uns die Deutschen, sie kennen die Quelle der Verseuchung, dann wieder nicht. Mal sagen sie uns, es seien nur Bioprodukte betroffen, dann wieder nicht."

Buchprüfung liefert neue Erkenntnisse
Neue Erkenntnisse über den Nitrofen-Skandal lieferte nach Angaben des Bundesministeriums die Buchprüfung eines Zwischenhändlers. Danach waren 19,8 Tonnen Futtergerste aus der Halle in Malchin bereits am 31. Juli an die niedersächsische Futtermittelfirma GS agri geliefert worden. Bislang hatte es geheißen, die Malchiner Halle sei erst am 1. August 2001 angemietet und Getreide erst ab 6. September an GS agri geliefert worden.

Krebsrisiko für Menschen gering
Das Unkrautvernichtungsmittel Nitrofen ist bei Tieren Krebs erregend und Embryo schädigend. Bei Menschen halten Wissenschaftler das Krebsrisiko im aktuellen Fall aber für gering.