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Gertrud Höhler schreibt....
Zitat:
Krieg zwischen Leben und Arbeit
Das Wertvollste an den Menschen im Unternehmen ist nicht ihre Funktion, sondern ihre Würde.
Zwischen Arbeit und Leben herrscht Krieg - so empfinden es viele Mitarbeiter. Der Krieg wandert nach innen und rüttelt an den inneren Verteidigungsmauern, hinter denen die Menschen vor der Übermacht ihrer Karrierepflichten Deckung suchen. Der Konflikt wandert mitten in die Identität hinein, denn natürlich spüren die Opfer; dass sie selbst an der Balancestörung mitwirken, die sie heilen möchten. Sie können sich aber gar nicht an eine Zeit erinnern, es sei denn in ihrer Kindheit, vielleicht noch als Studenten, in der es anders war.
Als sie anfingen, ernsthaft mitzuspielen im großen Poker um Chancen, Aufstiege und Überholmanöver, da gab es nur noch Vorbilder, die ihnen überdeutlich vorlebten: Der Preis ist hoch. Die Opfer sind beträchtlich. Wer am meisten opfert, kommt am weitesten. Werde mit einem Schlage erwachsen, sonst verlierst du den Anschluss. Karriere muss wehtun. Wer siegen will, muss hart sein, vor allem gegen sich selbst. Männergedanken und Männerprogramme - denen Männer sich bereitwillig unterwerfen. Demütig, wie Frauen es niemals wären, steigen die Männer ein auf das alte Spiel: Karriere ist Krieg gegen das Leben. Wer "nur" das Leben hat, der bleibt unwichtig. Als Fußvolk können Leute ohne Karrierewünsche nützlich sein: Sie stellen den Tross. Familienmitglieder, vor allem Ehefrauen, gehören oft dazu.
Die Spaltung von Arbeit und Leben entspricht dem Weltbild der Industriegesellschaft. Kurzerhand wurden Lebensläufe zerlegt in Beruf und Freizeit, Arbeit und Leben, und der Mensch in Kopf und Hand. Für die Aufsteiger wurde daraus schnell Arbeit oder Leben. Die Spannung zwischen beiden Sphären zu bewältigen blieb Aufgabe des Einzelnen. Über Jahrzehnte war die Sehnsucht nach Harmonie zwischen Arbeit und Leben, zwischen Selbstausbeutung und Regeneration kein Thema. Was die Maschinenzeit zerrissen hat, fügt die Informationsgesellschaft jedenfalls nicht spielend wieder zusammen.
Arbeit oder Leben, das nehmen viele junge Leute als maßgebliche Alternative mit auf ihren Karriereweg. Sie fügen sich von Anfang an in die angebliche Wahrheit, dass man nicht beides haben könne, obwohl sie heute mehr als nur Berufserfolg wollen. Und doch rennt keiner durch die Firma und schreit: "Das kann doch nicht sein! Ich habe ein Recht auf beides! Wenn das Leben selbst in einem lebendigen Organismus wie dieser Firma, die für lebendige Kunden ein attraktiver Partner sein möchte, zum knappen Gut wird, dann stimmt etwas nicht - mit der Firma, mit der Führung." Keiner schreit. Auch die Frauen nicht. Dennoch: Ihre Annäherung an die Gipfel der Macht fällt auch deshalb so zögernd aus, weil sie die Alternative für verfehlt halten. Sie ist menschenfeindlich, lebensfeindlich und erfolgsfeindlich. Frauen aber weichen eher zurück, als ihre Wahrnehmungen intellektuell unwiderstehlich zu verkaufen. Darum geht alles so langsam. Ihr Einspruch fehlt. Obwohl die Dramatik des Bruchs zwischen dem "wirklichen Leben" und dem Berufsalltag von immer mehr Menschen quälend erlebt wird, sind die "Angebote" von einer ebenso dramatischen Dürftigkeit. Alle Teilzeit- und Gleitzeitprojekte, alle Job-Sharing-Versuche haben die Balance zwischen Leben und Arbeit nicht herstellen können. Je knapper die Ressource Arbeit, desto mehr opfert man das Leben?
Wie kann sie nun aussehen, die Philosophie der neuen Balancen? Das Wertvollste an den Menschen im Unternehmen ist nicht ihre Funktion, sondern ihre Würde. Die Würde der Menschen, mit denen wir arbeiten und leben, beruht auf ihrer Einzigartigkeit. Jede Führung muss diese Einzigartigkeit und Vielfalt der Menschen achten: Intellektuelles und emotionales Leistungsvermögen sind für die Firma unentbehrlich. Schafft den Begriff des "Arbeitnehmers" ab! Alle müssen mit anderen teilen, was sie können und wissen. Der Generationenmix in seiner Produktivität und Kreativität muss kultiviert werden. Zum lebendigen Organismus Unternehmen gehören Kunden und Mitarbeiter nicht als Funktionen, sondern als Menschen. Human Economy meint, eine Symbiose zwischen den Lebensmodellen der Großväter und Väter, zwischen Leistungs- und Genussmoral zu finden: freundschaftliche Rituale, Integration der Kinder und Lebenspartner in den Berufsalltag.
Die Balance zwischen Arbeit und Leben wiederzugewinnen, das kann nicht Mitarbeiterprogramm sein, wenn es nicht Führungslektion ist. Deshalb benötigte man auch eine Selbsttherapie der Führungskräfte. Moderne Führung muss es anstimmen, das Wunschziel aller: Arbeit soll Leben sein, und beide sollen den Hunger nach dem befriedigen, was über Lob und Lohn, über Achtung und Vertrauen, über Leistung und Nutzen hinausgeht: Sinn. Es ist die Welt, in der die rechenbaren Erfolge nicht mehr wichtig sind.
geschrieben in der "Welt"
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Besonders der, von mir rot markierte Abschnitt, zeigt mir, dass die Höhler durchaus in der Lage ist, ihre sämtlichen Diskussionen mit Philosophiegrössen und auch den Geschichtsunterricht zu negieren und schlicht Stuß zu schreiben.
Wann in der bisherigen Menschheits-Geschichte gabe es eine Balance zwischen Arbeit und Leben, etwa im Mittelalter zur Zeit der Leibeigenschaft, oder während der Industriealisierung, als die Menschen in die Städte strömten um für Hungerlöhne sich und ihre Kinder zu verdingen.
Ist es nicht tatsächlich so, dass es noch nie soviel Freizeit und Selbstbestimmung für Viele gegeben hat, wie heute?
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