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9. February 2006, 08:57   #48
Ben-99
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... der seit Jahrzehnten weltweit angesehene deutsche Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter (82) nimmt in einem "Spiegel"-Interview Stellung zu den Karikaturen und dem geplanten Angriffs-Krieg gegen den Iran. Er mahnt die westlichen Staaten, nicht ständig die ärmeren muslimischen Länder zu demütigen und somit auf eine gefährliche Art zu reizen und erinnert daran, daß es auch im Iran einmal eine demokratische Regierung gegeben hat, die allerdings vom US-Geheimdienst CIA gestürzt wurde, als man die Ölgesellschaften verstaatlichen wollte. Die USA installierten daraufhin den Schah Reza Pachlevi, mit dem das ganze Unheil überhaupt erst anfing.

Auszüge aus dem Gespräch:

Zitat:
Der Westen sollte alle Provokationen unterlassen, die Gefühle von Erniedrigung und Demütigung hervorrufen. Wir sollten die kulturelle Identität der islamischen Länder mehr achten. (...) Wir kennen doch solche Temperamentsausbrüche in diesen Ländern. Wir sollten die Randale und den Vandalismus rasender Massen nicht mit der Verfassung der Mehrheiten gleichsetzen, die den Terrorismus genau so verabscheuen wie wir und sich mehr Besonnenheit wünschen. Darauf muß der Westen mehr eingehen.

Natürlich erkennen die islamischen Völker die Armutskluft und ihre Entwicklungsrückstände. Aber deshalb brauchen sie eben Unterstützung und eine Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe. Die Palästinenser stoppten die Intifada, als Rabin ihnen einen eigenen Staat versprach, und jetzt vorläufig wieder, als Scharon mit der Freigabe des Gaza-Streifens ihnen neue Hoffnung machte. Für die Muslime ist wichtig, als ebenbürtig anerkannt und gewürdigt zu werden.

(...)

Als Psychoanalytiker kann ich meinen Verdacht nicht unterdrücken, dass die Verschärfung der Konfrontation, insbesondere durch den Irakkrieg, nicht nur aus Versehen passiert ist. Was jetzt den Karikatur-Streit anbetrifft, so wussten doch alle, dass die Religion für die Muslime eine zentrale identitätsstiftende Rolle spielt, und dass das vielfache Nachdrucken der Karikatur, die Mohammed als Bomben-Terroristen zeigt, als trotzige Verhöhnung verstanden werden musste.

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut der Demokratie. Aber sie verlangt auch eine demokratische Reife der Menschen, die den Freiraum nicht zu religiösen Beleidigungen missbrauchen. Mit den Karikaturen haben die Verantwortlichen sich selbst entwürdigt, nicht etwa Zeugnis für ein höheres Demokratie-Niveau abgelegt.

(...)

Der Irakkrieg sollte uns eine heilsame Lehre sein. Wir sollten nicht der Illusion George W. Bushs verfallen, mit überlegener Stärke das Böse ausrotten zu können. Auch der Ohnmächtigste behält immer noch genügend Macht, um den Rest Ohnmacht des Mächtigsten zu treffen. Als lebende Bomben sind radikale Muslime imstande, selbst den größten militärischen Vorsprung des Westens wett zu machen. Bushs Hoffnung, mit Krieg den Terrorismus auszulöschen, ist komplett gescheitert.

Iran war ein Beispiel für die Demokratisierung eines islamischen Landes. Schon nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Iran eine funktionierende Demokratie mit Mossadegh als Premier. Doch weil der das Öl verstaatlichen wollte, haben ihn die Amerikaner mittels der CIA gestürzt und dem Volk Schah Reza Pachlevi vor die Nase gesetzt. Das war 1953. Den Älteren ist dies noch sehr präsent. Mit der damaligen Zerstörung der Demokratie haben die USA den antiamerikanischen Hass in Iran entzündet, der später zu der Mullah-Revolution führte und bis heute weiter wirkt.

Hätte sich der Westen in den letzten 20 Jahren mehr um die kritischen reformwilligen Kräfte in Iran gekümmert, wäre dieser unsägliche Ahmadinedschad kaum an die Macht gelangt. Geholfen hat ihm auch Bushs Irakkrieg, der das Feindbild USA wieder sehr erstarken ließ. Ich höre, dass nun viele im Lande nichts mehr wünschen, als ihn los zu werden, weil ihnen dämmert, welches Unheil er herauf zu beschwören droht. Aber dieser Prozess kann nur von innen kommen.

http://www.spiegel.de/politik/deutsc...399575,00.html
Gruß Ben