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26. September 2005, 01:47   #1
Ben-99
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Der neue Billy Joel heißt Jamie Cullum.

... dabei ist das Original noch gar nicht tot und hat erst vor gar nicht langer Zeit, okay, genau genommen vor 5 Jahren, mit seiner exzellenten Doppel-CD "The Millennium Concert" einmal mehr bewiesen, daß er live auf der Bühne fast unschlagbar ist.

Privat, im stillen Kämmerlein, sieht es jedoch ganz anders um ihn aus. Da war immer wieder der Blues "The Devil called Alc", der ihm zu schaffen machte und er die internationalen Konzertsäle, die jahrzehntelang stets ausverkauft waren, mit den tristen Krankenzimmern diverser Drogenentzug-Kliniken tauschen mußte. Ein Jammer für alle Fans von Billy Joel, zu denen ich mich auch schon seit mindestens 20 Jahren zähle.

Als Trost wurde uns nun vor der Plattenindustrie ein Milchbubi namens Jamie Cullum an die Backe gehängt, der seit kurzem immer und überall in den Medien auftaucht. Als neulich zum Beispiel auf Arte die famose Dokumentation über die Mafia-Verstrickungen von Frank Sinatra gezeigt wurde, tauchte auch er wie Kai aus der Kiste unter den Prominenten auf, die sich über "The Voice" äußern durften. Das fiel schon auf, denn alle anderen Interviewten waren wirklich prominente Weltstars.

Aber so wird es eben gemacht, wenn ein neuer Retorten-Star weltweit gepusht werden soll. Und irgendwann glaubt das Volk dann wirklich, daß er "dazu" gehört, kauft seine Platten, und schon ist das Kalkül der Produzenten aufgegangen.

Also hatte auch ich heute nacht brav eingeschaltet, als der Kommerz-Sender Sat.1 die Aufzeichnung eines Live-Konzertes von Jamie Cullum übertrug. Und was soll ich sagen? So schlecht war es gar nicht mal, weil der Junge tatsächlich Talent hat, in seiner quirligen Art nicht unsympathisch wirkt und auch für manche Performance-Gags gut ist.

Bleibt nur die Frage, warum man ihn immer unbedingt als "Jazz"-Musiker verkaufen will. Diese Ausflüge auf dem Klavier gibt es zwar bei ihm, alles in allem ist er aber ein reiner Pop-Musik-Interpret, der sich vor allem für Cover-Versionen anderer Künstler feiern läßt. Nicht schlecht seine Version von "Wind Cries Mary", die mir allerdings im Original von Jimi Hendrix nach wie vor besser gefällt. Und wenn ich "Singin' In The Rain" von ihm höre, bekomme ich schon nach den ersten Takten Lust, mir zum 20. Mal das 1951 gedrehte wunderschön kitschige Gershwin-Musical "An American in Paris" reinzuziehen, weil der Song bisher von niemandem anders als Gene Kelly jemals besser gesungen und getanzt wurde.

Und der Rest klingt eben einfach nur nach Billy Joel. Drücken wir ihm also die Daumen, daß er seine persönliche Krise hoffentlich schnell meistern wird. Der Unterschied zwischen ihm und einem Jamie Cullum besteht übrigens darin, daß er es nie nötig hatte, die Songs anderer Stars abzukupfern, sondern der Menschheit mindestens ein Dutzend selbst komponierter genialer Songs schenkte, die man wohl auch noch in 50 Jahren als Evergreens hören wird, wenn sich kein Schwein mehr an einen "Jamie Cullum" erinnert, dessen Scheiben wir zur Zeit, aus welchen Gründen auch immer, alle unbedingt kaufen sollen.

Billy, der Meister selbst, spielt bei seinen Live-Konzerten hin und wieder auch gern mal Songs von Musiker-Kollegen. Die sind aber meist als heitere Parodien gedacht, wodurch er seinen Konzerten oft auch einen bissig satirischen Anstrich verleiht. Ich hoffe, daß er bald wieder so fit sein wird, um auf der Bühne auch Jamie Cullum zu parodieren, wenn dieser gerade mal wieder nicht nur die Stimme, sondern überhaupt die ganze Art von Billy Joel kopiert ;-)

Gruß Ben