Thema: Selbstmord
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10. February 2007, 00:06   #18
Ben-99
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... in all den Jahren habe ich bisher im Netz nur Legastheniker kennengelernt, die ich nicht darauf ansprechen wollte, weil ich genau wußte, daß sie es empört abstreiten würden. Jeder geht halt anders mit seinen Unzulänglichkeiten um, die die meisten von uns, was ich verstehen kann, gern verbergen würden.

Natürlich fällt eine Lese- Rechtschreibschwäche im Internet viel mehr auf als in einer gemütlichen Real-Life-Kneipe, weil wir uns hier auf den Boards fast ausschließlich in schriftlicher Form austauschen. Um so mutiger finde ich es, wenn sich neuerdings Boardies dazu offen bekennen. Zumal die meisten Legastheniker alles andere als "dumm" sind. Ganz im Gegenteil: Oft gehören die betroffenen Kinder, die in der Schule dadurch auffällig wurden, zu den Intelligentesten in ihrer Klasse, und nicht wenige von ihnen können später studieren. Und sogar Legastheniker mit Doktor-Titel sind heute keine Seltenheit.

Ich unterhalte mich im Netz viel lieber mit einem intelligenten, sympathischen Menschen, auch wenn seine Art zu schreiben, na ja, etwas von der Norm abweicht, als daß ich mich mit Usern langweile, die auf penetrante Art immer wieder ihre genauso angeborene Gabe nutzen, inhaltsleere Luftblasen in manierierte, gestelzt wirkende Texte zu verpacken, um gedankliche Nichtigkeiten zu einer vermeintlichen "Wortkunst" aufzublasen, für die sie dann auch noch gelobt werden wollen. Und von solchen eitlen, obwohl offensichtlich erheblich gestörten Pseudo-Intellektuellen mangelt es auf den Boards ja nun wirklich nicht.

Legastheniker sind dagegen nicht "krank". Aber auch die von mir erwähnten nervigen Turbo-Schwurbler könnten gegen ihre Gebrechen einiges tun. Schon mancher von ihnen würde wieder gesund werden, wenn er mal ein paar Geschichten vom guten alten Ernest Hemingway liest und dann endlich begreift, daß man "große Gedanken" auch in sehr einfachen, für jeden verständlichen Worten ausdrücken kann. Und weil genau das eine Kunst ist, möglichst viel Inhalt in möglichst wenig Verpackung zu den Leser zu transportieren und eben nicht umgekehrt, wie man es von vielen literarischen Schnöseln gewohnt ist, hätte er nicht nur einen, sondern gleich ein Dutzend Literatur-Nobelpreise für seine Geschichten verdient. Aber es reicht ja schon, daß seitdem bis heute weltweit Tausende Reporter seinen Stil kopieren.

Wer allerdings auch mal die Original-Manuskripte und vor allem seine später veröffentlichten Briefe gelesen hat, wird feststellen, daß er es mit der Orthographie auch nicht so genau genommen hat - so wird zumindest unter Anglistik-Experten gemunkelt. "Legastheniker" war er deshalb zwar nicht. Aber er könnte auch heute noch viele Menschen dazu ermutigen, so zu sprechen - und eben auch zu schreiben - wie ihnen der Mund gewachsen ist, weil halt nach wie vor nur der Inhalt und eben nicht die glänzende Verpackung zählt.

Gruß Ben