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9. July 2005, 17:41   #5
Ben-99
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... äußerst lesenswert dazu auch die Gedanken des Schriftstellers A.L. Kennedy ("Für viele sind wir die Terroristen") die von der FAZ ins Deutsche übersetzt und online gestellt worden sind. Dagegen ist mein ach so schlimmer angeblicher "Anti-Amerikanismus" ja noch richtig harmlos ;-)

http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF41...~Scontent.html

Gruß Ben

Zitat:
Tony Blair erschien im Fernsehen und sah aus wie ein Mann, dem gerade eine Erkenntnis gekommen war: daß nämlich, wenn man auf genügend Menschen schießt, einige vielleicht zurückschießen könnten.

Er sprach sehr langsam und mit großer Sorgfalt. Man meinte wieder einmal, er sei am Rande der Tränen - sein Markenzeichen, das er sonst eher Staatsbegräbnissen vorbehält. Aber vielleicht dachte er auch an Aznar, der sich bei den Anschlägen von Madrid so ungeschickt verhalten hatte. Ganz sicher war da auch etwas Berechnendes: Würde diese Sache gut für ihn ausgehen oder schlecht?

Wie stets bei solchen Anlässen verfielen die Medien in ihren chauvinistischsten Tonfall. Man holte ältere Londoner aus ihren Wohnungen, die über den „Blitz” redeten, und ich erwartete schon, den alten Spruch aus Kriegszeiten zu hören: „London Can Take It.” Vielleicht weil die Fernsehleute keinen Zugang zu pittoresk hilflosen Angehörigen hatten, verschob sich der Brennpunkt in merkwürdiger Weise auf die Führer der G-8-Staaten.

Fernab in ihren Luxushotels waren sie vollkommen sicher, aber es schien, als sollten wir Mitgefühl mit ihnen haben wegen des Schocks, den sie erlitten haben mußten, da sie doch gerade noch einmal davongekommen waren. Ein Gipfel, der eigentlich den Fortbestand der Armut und der Umweltzerstörung sichern sollte, erschien plötzlich als Treffen von Giganten, die sich aufgemacht hatten, die Welt zu retten, nun aber vielleicht etwas zu abgelenkt waren, um damit Erfolg zu haben. Das Mitgefühl mit den tatsächlichen Opfern der Anschläge wirkte merkwürdig dünn.

Niemand erwähnte, daß die Zahl der Opfer, so schrecklich sie war, in Bagdad an den meisten Tagen als recht gemäßigt gelten würde. Niemand erwähnte, daß Blair mit seinem Entschluß, unsere Soldaten für Profite in den Krieg zu schicken, auch sein Land in Gefahr gebracht hat, und zwar das ganze Land und zu jeder Zeit. Niemand erwähnte, was alle Einschätzungen unserer Sicherheitslage seit Beginn des Krieges gegen den Terror ergeben haben: daß unsere Aktionen die Häufigkeit und Intensität der Terroranschläge und die Gefahr weiterer Anschläge nur erhöht haben.

Niemand erwähnte, daß wir selbst das Foltern von Gefangenen mit der Behauptung gerechtfertigt haben, dadurch könnten Anschläge wie diese verhindert werden. Niemand erwähnte, daß unsere Folterpraxis nicht nur moralisch unentschuldbar ist und nur weitere Terroristen hervorbringt, sondern auch Fachleuten des Geheimdienstes zufolge gar nichts bringt, weil die Gefolterten am Ende genau das sagen, was wir von ihnen hören wollen. Niemand erwähnte, daß für weite Teile der Welt wir die Terroristen sind.

(...)

George Bush sprach nun von denen, „die so Böses in ihrem Herzen tragen, daß sie dafür unschuldigen Menschen das Leben nehmen”. Neben dem üblichen Ekel, den der amerikanische Präsident mir einflößt, erinnerte er mich damit an einen Brief, den ihm Cindy Sheehan, die Mutter des Soldaten Casey Austin Sheehan, einmal geschrieben hat. Casey kam wegen Bushs Ölkrieg im Irak ums Leben. Cindy Sheehan schrieb ihm: „Einen politischen Pflock in Ihr schwarzes Herz zu schlagen wird die Erfüllung meines Lebens sein...”

Das erinnerte mich daran, daß Habsucht nicht alles ist. Sie ist mächtig, sie kann Leben und ganze Kontinente zerstören, aber sie ist nicht mächtig genug. Denn die Liebe zu Macht und Geld wird niemals so lange und so heiß brennen wie die Liebe zwischen Menschen, die Liebe einer Mutter für ihren Sohn, eines Mannes zu einer Frau.

Wer die Welt mit Trauer und Verlust füllt, der wird bald keinen Ort mehr finden, an dem er sich verbergen kann. Und am mächtigsten von allem ist die Art von Liebe, die Cindy Sheehan empfindet. Eine Liebe, die nicht Auge um Auge, Blut für Blut fordert, sondern lediglich Gerechtigkeit verlangt. Cindy und all die anderen in der Welt, die wie sie fühlen, und alle, die stolz darauf sind, ihr zur Seite zu stehen, fordern Gerechtigkeit. Und ich habe das Gefühl, damit werden wir nicht aufhören.