Thema: Stichtage
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4. August 2006, 07:39   #248
Jules
 
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04. August 1931: Kurt Tucholskys Aussage „Soldaten sind Mörder" erscheint

Die Aussage „Soldaten sind Mörder“ stammt ursprünglich aus der Glosse „Der bewachte Kriegsschauplatz“, die Kurt Tucholsky in der Zeitschrift Die Weltbühne Nr. 31, vom 4. August 1931 publizierte. Unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel schrieb er:

„(...) Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder. (...)“
Der verantwortliche Redakteur Carl von Ossietzky wurde 1932 wegen „Beleidigung der Reichswehr“ angeklagt, jedoch freigesprochen, da keine konkreten Personen gemeint seien und eine unbestimmte Gesamtheit nicht beleidigt werden könne. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurde der Satz zur Parole von Pazifisten und Gegnern von Reichswehr und Bundeswehr und tauchte immer wieder in den verschiedensten Zusammenhängen auf. Die spätere Diskussion um diesen Ausspruch wurde und wird in Deutschland vor allem von der Tatsache bestimmt, dass es im Zweiten Weltkrieg vielfach zu Kriegsverbrechen durch die beteiligten Armeen kam.

Entwicklung der öffentlichen Diskussion
Tucholsky, der selbst Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen war und 1919 den Friedensbund der Kriegsteilnehmer mitgründete, zielte mit seiner Aussage vorrangig auf das „organisierte Töten“ im Krieg ab. Er übte Kritik daran, dass allein wegen nationaler Interessen die wehrfähigen Männer von der Regierung zum Töten gezwungen wurden und folgerte, dass der Krieg ein angeordneter, kollektiver Mord sei. Der Satz „Soldaten sind Mörder“ wurde zu einer Parole von Friedensaktivisten und Antimilitaristen.

Vor allem ab 1984 mussten sich bundesdeutsche Gerichte immer wieder mit dieser Aussage beschäftigen; das Ergebnis war dabei immer eindeutig: Die Aussage als solche fällt unter die Meinungsfreiheit, wird sie aber auf bestimmte Personen angewandt, die nicht im Verdacht des Mordes stehen, so wird sie als Verleumdung oder Beleidigung geahndet.

1995 erreichte die Diskussion um die Aussage einen Höhepunkt. In diesem Jahr feierte die Bundeswehr ihren 40. Geburtstag. Hierzu ordnete die damalige Regierung unter Helmut Kohl unter anderem einen Großen Zapfenstreich mit Rekrutenvereidigung in Berlin an, auf einem Gelände auf dem 1991 während des Zweiten Golfkrieges Friedensdemonstrationen stattfanden. Die Wahl des Platzes wurde von Pazifisten als Provokation angesehen. Viele Menschen nahmen an den Demonstrationen gegen diese Veranstaltung und die ebenfalls stattfindenden Zapfenstreiche in Bonn und Erfurt teil.

In der Nachbereitung dieser Geschehnisse forderten die regierenden Parteien, einen Schutz der Bundeswehrsoldaten gegen die Bezeichnung „Mörder“ im Gesetz zu verankern. Konkret sollte ein Paragraph 109b StGb nach erster Lesung im März 1996 lauten:

„Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften (§ 11 Abs. 3) Soldaten in Beziehung auf ihren Dienst in einer Weise verunglimpft, die geeignet ist, das Ansehen der Bundeswehr oder ihrer Soldaten in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (BT-Drs. 13/3971)
Hierauf erhob sich fast allgemeiner Protest in Deutschland. Besonders kritisch wurde aufgenommen, dass hier ein Grundrecht - das Recht auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG - angetastet werden sollte, um Kritik einer Minderheit an einer Institution der BRD einzudämmen. Besondere Brisanz erhielt der Vorstoß auch durch die Tatsache, dass 1930 die NSDAP eine Gesetzesvorlage ähnlichen Namens einbrachte. Aus diesen Gründen empfahlen Juristen fast einstimmig eine Ablehnung des Paragraphen. Als im Oktober 1999 die Regierung dem federführenden Rechtsausschuss folgte und die Gesetzesänderung ablehnte, gab der Bundestag als Begründung an:

„Nach Ansicht der Mehrheit des Hauses ist ein besonderer strafrechtlicher Ehrenschutz für die Bundeswehr weder gerechtfertigt oder erforderlich, noch werde dieser von den Streitkräften selbst gewünscht.“ Blickpunkt Bundestag Oktober 1999
Die öffentliche Debatte hatte sich allerdings schon Ende 1996 bis Anfang 1997 weitgehend gelegt, als niemand mehr mit einer Verabschiedung des umstrittenen Paragraphen rechnete.

Zitate
„Ich bin ein anständiger Mörder. Ich weiß, der Mord hat keinen guten Ruf. Aber deshalb muß man sich als Mörder noch lange nicht mit Soldaten vergleichen lassen. Der Mörder hat doch immer einen Grund und ein konkretes Opfer. Mag der Grund auch subjektiv, bösartig und voller Habgier sein, mag das Opfer auch nicht immer so schuldig sein, daß es die Hinrichtung verdiente. Immerhin geht der Mörder zielgerichtet vor. Dagegen ein Soldatenschwein drückt auf den Knopf und aus dem Himmel fallen Bomben - wahllos.
Wer mit seinen Granatwerfern, Maschinenpistolen und Raketen einfach in die Menge hält, trifft Unschuldige ohne Zahl, Zivilisten, die er vorher nie gesehen, die ihm nie etwas zuleide getan. Hingegen ein Mörder, der sein Weib umbringt, ertrug Demütigung und Wunde lang zuvor. Man darf doch nicht gleichsetzen solch sensiblen Menschen mit megabrutalen Massenkillern ohne Scham und Reue. Unehrlich und verlogen sind sie auch noch, die Soldatenschweine. Ein geständiger Mörder sagt in der Regel: „Ja, ich habe getötet“. Der Soldat sagt: „Ich habe ein Weichziel fixiert“. Oder er versucht, sich mit schamlosen Ausreden herauszumogeln: „Ich habe mein Vaterland verteidigt“, selbst wenn es ölig irgendwo auf einem Scheichtum liegt.
Der Mörder ist in der Regel Laie. Ein Laie, dem aus Wut und Zorn ein Mord mal unterläuft. Hinterher tut es ihm vielleicht noch leid.“
- Auftritt des Kabarettistenduos Volkmar Staub und Reiner Kröhnert, 1995
„Wie die GIs der US-Armee, die man als 'Babykiller' bezeichnen darf, sollten sie die innere Größe haben, eine Verunglimpfung mit einem Lächeln wegzustecken. Nonsens bleibt nonsens, und die Bundesrepublik ist ein freies Land.“ - Egge Weers in der Frankfurter Neuen Presse vom 8. November 1995, zitiert nach Soldaten sind Mörder
„Warum werden immer nur die Millionen Ausführenden Mörder genannt, die auch millionenfach sterben durften und dürfen, während die Kriegsplaner, Propagandisten und Befehlsgeber zu 'historischen Gestalten' aufsteigen?“ - Heinrich Giegold in der Frankenpost vom 30. September 1994, zitiert nach Soldaten sind Mörder

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