Thema: Stichtage
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6. September 2006, 07:41   #281
Jules
 
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06. September 1970: Jimi Hendrix spielt sein letztes Konzert

Das Love-and-Peace-Festival war ein Musikfestival mit insgesamt etwa 25.000 Besuchern, das vom 4. bis 6. September 1970 auf der Ostseeinsel Fehmarn beim Leuchtturm Flügge stattfand. Auf dem chaotisch verlaufenden Festival hatte Jimi Hendrix seinen letzten Auftritt.

Vorbereitungen der Veranstalter
Die Veranstalter Helmut Ferdinand (damals 33, Ingenieur), Christian Berthold (damals 28, Gastwirt) und Tim Sievers (damals 30, VWL-Student) planten 1970 eine europäische Antwort auf das legendäre Woodstock-Festival. Da ihnen das Konzept gefiel, wie beim Isle of Wight Festival das Festival auf einer dem Festland vorgelagerten Insel durchzuführen, kam die kürzlich infrastrukturell und touristisch hervorragend angeschlossene Ostseeinsel Fehmarn in den Blickpunkt ihres Interesses. In der Hoffnung, einige Künstler des im August stattfindenden Isle of Wight Festivals direkt danach für ihr eigenes Festival engagieren zu können und die Sonnentage der im September wettersicheren Insel Fehmarn auszunutzen, wurde der Termin auf den 4. bis 6. September 1970 festgelegt.

Es wurde die Fehmarn-Festival GmbH gegründet, um ein Festival vorzubereiten, an dem 30 bis 40 Musikgruppen auftreten sollten und zu dem bis zu 60.000 Besucher erwartet wurden. Beate Uhse gab den Veranstaltern einen Vorschuss von 200.000 DM und stellte ihre deutschlandweit damals 20 Sexshops als Vorverkaufsstellen zur Verfügung.

Ein geeignetes Gelände wurde gefunden: Eine 50 ha große Wiese des Bauern Störtenbecker nahe des Flügger Leuchtturms samt den 55 vorhandenen Toiletten des nahegelegenen Campingplatzes wurden angemietet. 100 weitere mobile Toiletten wurden besorgt; in der Schule in Puttgarden sollte ein 140-Betten-Hilfskrankenhaus installiert werden. Eine überdachte Schlafgelegenheit für 4000 Personen wurde geplant. Nachdem ein Vertrag mit der Firma Dr. Oetker über die Gesamtverpflegung des Festivals nicht zustandekam, sollten Brauereien und Molkereien aus der Umgebung die Getränkeversorgung sichern. Das Deutsche Rote Kreuz sollte mit einer mobilen Großküche für die warmen Mahlzeiten sorgen. Um das Festivalgelände wurden zwei Zäune gezogen und einige Telefonzellen auf dem Gelände istalliert. Die Veranstalter mieteten für 30.000,- DM eine riesige Tonanlage in England, die mit 150 Phon aus 32 Boxen das Festivalgelände beschallen sollte. Eine Drehbühne mit 20 Metern Breite und 10 Metern Tiefe sollte Umbaupausen vermeiden. Die Festivalleitung residierte in zwei übereinander gestapelten Wohncontainern ca. 500 Meter von der Bühne entfernt.

Zehn psychedelisch bemalte Kleinbusse starteten von Kiel aus, um in ganz Mitteleuropa und in Skandinavien 100.000 Plakate aufzuhängen, Autoaufkleber zu verteilen und eine in sechsstelliger Auflage gedruckte Festivalzeitung zu verkaufen. Große Namen wie Ginger Baker, Canned Heat, Sly and the Family Stone, Ten Years After, Procol Harum, Keef Hartley, Rod Stewart und Jimi Hendrix sollten die Rockfans und Hippies aus ganz Europa nach Fehmarn locken.

Inzwischen waren die Kosten des Unternehmens auf 500.000,- DM angestiegen, während die insgesamt 600 Vorverkaufsstellen erst 10.000 Karten zu je 12,- DM verkauft hatten. Einige Künstler wie John Mayall und Joan Baez sagten ihre Teilnahme ab. Die Hoffnungen der Veranstalter ruhten jedoch auf Hendrix, dessen Management eine Gage von 70.000,- DM und eine besondere Behandlung (Transfers zum Festival mit einem Mercedes, ein Luxus-Wohnwagen auf dem Festivalgelände) ausgehandelt hatte. Hendrix war auf dem Höhepunkt seiner Popularität in Deutschland, nachdem der Woodstock-Film gerade in den Kinos angelaufen war.

Am 2. September begingen die Behörden und die beteiligten Organisationen mit den Veranstaltern das Festivalgelände und stellten erhebliche Mißstände fest: Die Müllentsorgung war nicht geregelt, der Schutz und die Sicherung von Deichen und Straßen nicht sichergestellt. Zudem kamen unheilvolle Nachrichten von der Isle of Wight: dort hatten Rowdies für Ausschreitungen gesorgt, und man befürchtete, dass die Störer sich auf den Weg nach Fehmarn machen könnten.


Das Festival
Bereits am 3. September bevölkerten ca. 4000 von weit angereiste Fans das Gelände und die Versorgungsstände öffneten ihren Betrieb. In der Nacht zum Freitag, den 4. September kamen Wind und Regen auf. 180 Rocker der Hells Angels kamen in dieser Nacht mit ihren Motorrädern aus Hamburg, erzwangen in Gremersdorf kostenlose Tankfüllungen und lieferten sich in Petersdorf mit Hippies und einigen als Ordner vorgesehenen persischen Studenten eine Schlägerei, bei der vier Perser durch Messerstiche verletzt wurden. Wohl durch den Aufbau eines Bedrohungsszenarios schafften es die Rocker, von der Festivalleitung als Ordner engagiert zu werden.

Freitag, der 4. September 1970
Der Tag war stürmisch und es regnete ununterbrochen. Um die Mittagszeit strömten die Besucher massenhaft zu Fuß auf das Festivalgelände, wo sie die „Eingangskontrolle“ der alkoholisierten und mit Ketten und Messern bewaffnteten Rocker über sich ergehen lassen mussten. Leute wurden getreten und verhöhnt, Autos mit Tritten beschädigt, von den Besuchern mitgebrachter Alkohol von den selbsternannten „Ordnern“ konfisziert.

Kurz vor Beginn des Festivals erschien Beate Uhse mit ihren drei Söhnen, machte Werbung für ihr Unternehmen und gab Autogramme.

Alexis Korner, der als Moderator die Fans in deutsch und englisch in den nächsten drei Tagen durch das Programm führen sollte, eröffnete das Konzert mit einer halben Stunde Verspätung gegen 16.30 Uhr. Den Anfang machte die Band Cravinkel, deren Auftritt in Tonproblemen unterging. Die dänische Formation Burnin Red Ivanhoe folgte mit einem einstündigen Auftritt und kämpfte gegen den Sturm und die Tücken der regennassen Technik. Der darauf folgende Auftritt von Renaissance musste wegen technischer Probleme abgebrochen werden. Korner hatte die undankbare Aufgabe, dem Publikum die weiteren Ausfälle des Abends zu erklären: Taste mussten wegen Terminproblemen weg, Colosseum steckten im Stau und Cactus waren gar nicht erst angereist. Lediglich die Elektronikformation Kluster absolvierte ihren Auftritt. Gegen 23.00 Uhr wurde der Festivaltag den unzufriedenen Fans als beendet erklärt.

Zeitgleich absolvierten Jimi Hendrix, Ten Years After und Canned Heat ihren Auftritt beim von Fritz Rau veranstalteten Berlin Super Concert 70 in Berlin, das wegen ähnlicher Wetterprobleme von der Waldbühne in die Deutschlandhalle verlegt worden war. Ein solche Ausweichmöglichkeit hatten die Fehmarner nicht.

Die Rocker demolierten in der Nacht einen Wagen der Festivalleitung, die sich gezwungen sah zu versuchen, das „Ordnerproblem“ zu lösen: die Rocker wurden ausbezahlt und sollten mit Bussen vom Festivalgelände entfernt werden.

Samstag, der 5. September 1970
Es hatte aufgehört zu regnen, aber es war immer noch kalt und stürmisch. Der Tag begann in friedlicher Stimmung, da die Rocker nur noch vereinzelt zu sehen waren. Pünktlich um 12.00 Uhr eröffnete Inga Rumpfs Bluesrockformation Frumpy den Festivaltag und begeisterte erstmals die durchgefrorenen Zuhörer. Nach der englischen Rockband Aardvark gelang es Ginger Baker und seiner Gruppe Ginger Baker's Airforce mit ihren treibenden Afrorythmen, die Fans weiter in Stimmung zu bringen. Der nachfolgende Peter Brötzmann und seine Band traf jedoch mit seinem Free Jazz weniger den Geschmack des Publikums, zumal es wieder zu regnen begonnen hatte.

Alexis Korner bemühte sich, den Fans schonend beizubringen, dass Procol Harum und Ten Years After nicht auftreten würden. Die Menge verlangte nach dem Superstar Jimi Hendrix. Der war jedoch gerade erst, müde und abgespannt, im Strandhotel Dania in Puttgarden eingetroffen. Es wurde beschlossen, Jimis Auftritt auf den Sonntag zu verlegen.

Die Shows von Mungo Jerry, deren In the Summertime gerade ein Hit war und Canned Heat entschädigten das Publikum für das Warten auf die Rocklegende Hendrix. Die Woodstock-Veteranen Sly and the Family Stone beendeten den zweiten Festivaltag.

Nachts kampierten die übriggebliebenen Rocker an einem Lagerfeuer, das sie mit Bühnenbrettern befeuerten, unter der Bühne. Die Türen der Latrinen wurden in der Dunkelheit demontiert, um den Besuchern als Wind- und Regenschutz zu dienen.

Sonntag, der 6. September 1970
Der Tag war klar und sonnig, aber trotzdem windig und kalt. Um die Wartetzeit bis zum Auftritt von Hendrix zu überbrücken, waren vormittags einige eilig gebuchte Gruppen wie Witthüser & Westrupp auf der Bühne zu sehen. Korner lud die Besucher ein, in der Art eines Happenings selbst auf die Bühne zu kommen und Musik zu machen. Gegen 11.00 Uhr traf dann Hendrix und seine Gefolgschaft auf dem Festivalgelände ein, wo er sich sofort in seinen bereitsgestellten Wohnwagen zurückzog. Um 12.56 Uhr war es dann soweit: Hendrix betrat unter dem Jubel des Publikums die Bühne und spielte mit seiner Begleitband A Cry of Love seinen Auftritt. Müde und uninspiriert spulte Hendrix seine Hits wie Hey Joe und The Wind Cries Mary herunter. Nach 75 Minuten beendete Killing Floor seinen Auftritt. Die trotzdem begeisterten Fans forderten eine Zugabe, doch Hendrix verließ sofort das Gelände und brach nach London auf, wo er wenige Tage später am 18. September 1970 verstarb.

Die meisten Besucher brachen ebenfalls auf, sobald Hendrix die Bühne verlassen hatte, zumal die noch folgenden Bands keine Steigerung versprachen. Floh de Cologne machten Politkabarett, Limbus 4 und Embryo Krautrock. Vor den verbleibenden ca. 4000 Besuchern hatten Ton Steine Scherben, noch unter dem Namen Rote Steine, ihren ersten großen Auftritt. Inzwischen war die Stimmung unter den 500 freiwilligen Helfern immer gereizter geworden: die Festivalleitung hatte die Auszahlung ihrer Entlohnung immer weiter hinausgezögert, bis gegen 19.45 Uhr die Veranstalter mitsamt der Tageskasse verschwunden waren. Zu den Klängen von Ton Steine Scherbens „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ ging das Veranstalterzentrum in Flammen auf. Der Polizei gelang es jedoch, die aufrührerische Stimmung in den Griff zu bekommen. Einige hundert Besucher übernachteten noch auf dem Platz, bevor das Festivalgelände am nächsten Vormittag komplett geräumt wurde.

Nachwirkungen
Die Zerstörungen und Flurschäden gingen weit über die an die Behörden geleistete Garantiesumme von 5.000,- DM hinaus. Insgesamt war das Festival ein finanzielles Desaster, bei dem viele Gläubiger auf ihren Forderungen sitzenblieben. Besonders betroffen war die Deutsche Bundespost (Telefongebühren und Installationskosten), Verleihfirmen und Hotels.

Seit 1995 finden auf Fehmarn wieder alljährlich am ersten Samstag im September Jimi-Hendrix-Revival-Festivals statt.

Seit 1997 erinnert ein ca. 2,5 m hoher Gedenkstein aus rotem Granit, der an der Stelle der ehemaligen Bühne aufgestellt ist, an das Love-and-Peace-Festival und Jimi Hendrix letzten Auftritt (Aufschrift: "Jimi Hendrix - Fehmarn - Love and Peace Festival - 4. - 6. September 1970").

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