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26. September 2006, 01:55   #4
Ben-99
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... wow! Das war eine grandiose Sendung mit einem im Interview noch nie so starken Helmut Schmidt und einem diesmal sogar auch gar nicht mal so schlechten Reinhold Beckmann. Denn es wurde weiß Gott nicht nur über Belangloses geschwafelt. Vielmehr hat man locker und gelassen noch mal all die Punkte Revue passieren lassen, woran Deutschland heute krankt. Und ich bin wohl nicht der Einzige, der dabei nicht nur Erstaunen, sondern vor allem Wut empfand.

Der Rücktritt von Willy Brandt: Völlig überflüssig nach Schmidts Meinung. Und er hat ihn damals sogar angeschrieen, damit er den Blödsinn nicht macht. Denn daß Spione eingeschleust und später entdeckt wurden, kam weltweit schon oft vor, aber nie ist deshalb ein belauschter Staatschef zurückgetreten. Durch Helmut Schmidt wurde jetzt klar: Willy Brandt wollte es so, weil er schon monatelang vorher ein kranker Mann war – auf tragische Weise in sich eingeschlossen und unfähig zu handeln, weil ihn während seiner Depressions-Schübe niemand erreichen konnte. Fatal für einen Mann, dem die Verantwortung für einen ganzen Staat obliegt. Und obwohl sich Helmut Schmidt nie nach dem Job gedrängt hat, war er dann doch zur Stelle, weil es außer ihm ganz einfach keine Alternative gab. Denn Herbert Wehner, den er überraschend als überaus verläßlich beschrieb, konnte man nicht ein zweites Mal als Kanzlerkandidaten präsentieren.

Danach hat Helmut Schmidt 8 Jahre lang einen, zumindest aus heutiger Sicht betrachtet, verdammt guten Job gemacht. Bis sein angeblicher "Partner" namens Hans-Dietrich Genscher, in Wirklichkeit einer der übelsten Heuchler und Intriganten, die jemals im deutschen Parlament saßen und der sich später sogar als ewiger Außenminister feiern lassen durfte, den einzigen wirklich guten Bundeskanzler stürzen durfte, den unser Land je hatte.

Das politische Kind dieses Herrn Genschers, der auch heute noch in Interviews gern den lockeren ehemaligen Star-Minister des Kohl-Kabinetts im gelben Pullover spielt, heißt Guido Westerwelle und versucht auch jetzt wieder, sich mit der ewigen Nutten-Partei FDP an die Macht zu schleimen.

Helmut Schmidt kümmert es nicht mehr. Er ist sich bewußt, daß der Herrgott ihm nur noch kurze Zeit gewährt. Dabei glaubt er gar nicht mal an Gott, sondern fürchtet sich nur noch davor, daß ihn seine gleichaltrige Frau Loki vor ihn verlassen könnte und ihm dann seine wichtigste Schach-Partnerin fehlen würde.

Großartig auch der Schluß des Interviews, als einer der besten Politiker des 20. Jahrhunderts erklärt, warum er keinen Bock hat, so wie alle anderen eitlen Männer der großen Politik, seine Memoiren zu schreiben. Ein Altkanzler zum knuddeln. Nur wählen können wir ihn heute leider nicht mehr. Aber so lange er noch lebt und solche wunderbaren Interviews geben kann, sollte sich das dumme deutsche Wahlvolk auch immer daran erinnern, wie es dazu kam, daß nach ihm 16 Jahre lang ein korrupter CDU-Kanzler für unser Land verantwortlich war, der am Ende als krimineller Strolch, dem man die Beuge-Haft großzügig erließ, jämmerlich im Parteispenden-Skandal unterging und aus dessen schäbigen Resten sich später seine Zieh-Tochter Angela Merkel ihren für sie viel zu großen Kanzler-Rock nähte.

Und die ebenso triebhafte wie machtgeile Königsmörder-Partei FDP mit ihren ewigen lächerlichen 5 oder mehr Prozentpunkten, mit denen sie in die Parlamente einziehen darf und die damals verhindert hat, daß Helmut Schmidt weiter unser Land in der Welt vertritt, kann sich auch jetzt wieder auf die Macht in Berlin freuen, weil der Deutsche halt nun mal vergeßlich ist.

Viele, auch ich, hatten damals geglaubt, Helmut Schmidt sei arrogant. Das Ende des TV-Interviews verlief übrigens so:

Zitat:
Was sind denn Ihre Pläne für die Zukunft?

Ich habe keine großen Pläne. Mit 88 macht man keine Pläne mehr.

Das heißt, daß die Lebensentwürfe, die Ideen jetzt kurzfristiger angedacht sind?

Das war mein vorletztes Buch. Ich hoffe noch, ein letztes fertigzukriegen. Ich bin aber nicht ganz sicher. Das ist der einzige Plan, den ich noch habe.

Was wäre das Thema des letzten Buches?

Also, über ungelegte Eier sollte man nicht gackern.

Sie als rastloser Schreiber, haben nie eine Autobiographie geschrieben. Kommt da noch was?

Ne.

Warum nicht?

Autobiographien sind eine Verleitung, sich selber schöner zu malen, als man ist. Und dieser Verleitung unterliegen fast alle, die eine Autobiographie schreiben. Da gibt es eine Reihe von Beispielen. Das soll man nicht tun. Es sei denn, man ist Bismarck oder man ist Churchill. Dann kann man sich das leisten.
Ach, ja, und geraucht hat er auch wieder fürchterlich viel und damit bewiesen, daß auch er nicht fehlerlos ist. Er läßt in letzter Zeit auch seine berühmten rhetorischen Pausen beim Reden weg, die die Dramatik steigern sollen, als hätte er es auf einer New Yorker Actors-School gelernt. Ich glaube, daß sich Helmut Schmidt in den wenigen Jahren, die ihm noch bleiben, einfach nur noch so zeigen will, wie er wirklich ist und wohl auch immer schon war.

Gruß Ben