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6. December 2005, 20:27   #15
Ben-99
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... ich staune in letzter Zeit immer mehr über das auch sonst in jeder Hinsicht gut gemachte "Hamburger Abendblatt". Denn für eine Regionalzeitung, dazu auch noch aus dem Springer-Verlag, ist es eher unüblich, derart kritisch über die US-Regierung zu schreiben. Schließlich hatte Springer-Boß Döpfner erst letztes Jahr noch einmal betont, daß die Redakteure mit Entlassung rechnen müßten, wenn sie sich nicht an die im Arbeitsvertrag enthaltene Klausel halten, den "amerikanischen und israelischen Freunden" stets wohlwollend zu begegnen.

Zumindest die Springer-Knechte bei BILD machen das auch weiterhin brav. Aber beim "Abendblatt" weiß man anscheinend, daß man es mit einer anderen Leserschicht zu tun hat und will die Abonnenten nicht durch platte Propaganda-Parolen vor den Kopf stoßen. Viel mehr erwarten sie Aufklärung von der Redaktion – zum Beispiel über die Diskrepanz zwischen der blutigen Realität im heutigen Irak und den Märchen, die uns Rumsfeld & Co. über den angeblichen "Sieg" und das angeblich heute so "friedliche" Land erzählen wollen.

Also hat das "Abendblatt" heute einen weiteren Artikel veröffentlicht, der beschreibt, mit welchen plumpen – vor allem sprachlichen - Mitteln die US-Regierung versucht, das Volk zu verdummen. Sehr lesenswert, wie ich meine.

Gruß Ben

Zitat:
Die Wortwahl macht's: Wie die USA den Irak friedlich- und sicherreden

Anti-Terror-Krieg: Die Gewalt wird nicht weniger - jetzt sollen Worte vorspiegeln, was die Soldaten nicht erzwingen konnten

Von Cornel Faltin

Washington - Was Hunderttausende von US-Soldaten seit der Invasion des Irak vor 32 Monaten nicht geschafft haben, will jetzt der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in Sekundenschnelle erledigt haben - dank einer, wie er sagte, "Offenbarung". Den "Krieg gegen den Terrorismus" gebe es nicht mehr, und auch alle "Aufständischen" im Irak, die täglich jede Menge Leute - und oft auch sich selber - in die Luft gesprengt haben, sind laut Rumsfeld nun "eine Sache der Vergangenheit".

Damit sollten eigentlich die mehr als 160 000 GIs und die Minikontingente einiger anderer Länder, die seit knapp drei Jahren im Irak ihr Leben riskieren, packen und in Ruhe nach Hause gehen können. Einziges Problem: "Rummy" hat nicht "mission accomplished (Auftrag ausgeführt) gesagt, so wie es - etwas verfrüht im Mai 2003 - sein Boß, US-Präsident George W. Bush, getan hat. Denn im Irak wird wie eh und je erbittert gekämpft. Die Zahl der Selbstmordattentäter und Aufständischen hat sich laut Geheimdienstberichten nicht verringert. Was sich jedoch dramatisch ändert, ist die Semantik des Irak-Kriegs, also die Lehre von der Bedeutung sprachlicher Zeichen.

Rumsfeld meint, daß man den Aufständischen im Irak "zuviel Ehre antue, wenn man sie so nenne, und erklärte, daß sie in Zukunft "ELIGs" heißen sollen. Das steht für "Enemies of the legitimate Iraqi government" (Feinde der legitimen irakischen Regierung). Der "Krieg gegen den Terrorismus" soll, wenn es nach dem US-Verteidigungsminister geht, von nun an "GSAVE" heißen. Das ist die Abkürzung für "Global struggle against violent extremism" (globaler Kampf gegen gewalttätigen Extremismus).

Zum Glück ist es nicht immer so schwer verständlich, wenn die US-Regierung, allen voran George W. Bush, dem Volk zu erklären versucht, daß der Krieg im Irak eine unglaubliche "Erfolgsgeschichte" ist, die eigentlich nur von "linksradikalen Journalisten und oppositionellen Politikern" schlechtgeredet werden soll. Wenn der US-Präsident, so wie Mitte dieser Woche, über den Zustand im Irak berichtet, wiederholen sich Worte und Wortverbindungen wie "größtenteils friedlich", "frei und sicher", "solide Fortschritte", "positiv" und "verdammt gute Arbeit" einem Mantra gleich.

Bush, Rumsfeld und natürlich auch Vizepräsident Dick Cheney sind stets voll des Lobes über die "wachsende Erfahrung und Einsatzfähigkeit der irakischen Truppen". Daß 62 Prozent der US-Bürger die amerikanische Irak-Politik für falsch halten und gerne einen Abzug der US-Truppen sehen würden, kann Bush nicht verstehen und läßt da auch nicht mit sich handeln. So verriet der Texaner jetzt, daß man keine Zeit damit verschwenden werde, an eine Exit-Strategie zu denken, da er sein Augenmerk "einzig und allein auf die Siegesstrategie" richte. Und Leute wie den ehrenwerten Kongreßabgeordneten und Vietnam-Veteran John Murtha, der unlängst einen sofortigen Abzug aller US-Truppen forderte, läßt die Regierung wissen: "Abhauen ist keine Exit-Strategie", und "nur Feiglinge laufen weg".

Auch auf die Frage, warum täglich US-Soldaten sterben, wenn alles so "friedlich" ist und sich so "positiv" entwickelt, haben Bush und Cheney, die sich beide erfolgreich um einen Einsatz im Vietnamkrieg gedrückt haben, eine Antwort. "Das ist ein kleiner Preis für die Freiheit, die wir dafür in unserem Land genießen dürfen." Nicht alle Angehörigen der bisher 2133 gefallenen GIs (hinzu kommen über 27 000 getötete irakische Zivilisten) schließen sich dieser Meinung an.

Obwohl die USA immer die "fortschreitende Demokratie" im Irak loben, gibt es mit der Pressefreiheit dort noch einige Probleme. Wie Reporter der "Los Angeles Times" jetzt herausfanden, zahlt das US-Militär der "freien" irakischen Presse Millionen Dollar, um Nachrichten ins Blatt zu heben, die berichten, wie "positiv" und "größtenteils friedlich" alles in ihrem Land verläuft.

In den USA und vermutlich auch im Irak rätseln viele Leute darüber, ob Bush, der laut eigener Aussage nur Sport und Filme im Fernsehen anschaut, von seinen Ministern und Beratern bewußt über die Lage im Irak im unklaren gelassen wird. Denn nur eine einzige CNN-Nachrichtensendung müßte dem amerikanischen Präsidenten eigentlich schon die Augen öffnen.

Vielleicht sollte er sich auch ein Beispiel an seinem Vorgänger John F. Kennedy nehmen. Dieser schickte Anfang der 60er Jahre, weil es noch kein CNN gab und er seinen engsten Beratern nicht vertraute, zwei Vertreter nach Vietnam, um ihm zu berichten, was sich dort im Krieg so tut.

Als sie zurückkamen und erzählten, fragte "Jack" Kennedy geschockt: "Waren Sie denn auch im richtigen Land?"

http://www.abendblatt.de/daten/2005/12/06/510544.html