Thema: Stichtage
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7. November 2006, 00:00   #343
Jules
 
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07.11.1940: Vier Monate nach ihrer Eröffnung stürzt die Tacoma-Narrows-Brücke ein

Die Tacoma-Narrows-Brücke (englisch Tacoma Narrows Bridge) ist eine Hängebrücke im US-Bundesstaat Washington. Sie führt über die Tacoma Narrows, einen Seitenarm des Puget Sounds und verbindet damit Tacoma im Osten mit Gig Harbor im Westen.

Insgesamt muss man drei verschiedene Brücken unterscheiden. Die erste, 1940 gebaute Brücke ist wenige Monate nach ihrer Eröffnung eingestürzt und wurde 1950 durch einen Neubau ersetzt. Parallel zu dieser zweiten Brücke entsteht zur Zeit eine dritte Brücke, die dem gewachsenen Verkehrsaufkommen Rechnung tragen soll.

Die Brücke von 1940

Mit einer Mittelspannweite von 853 Metern war die erste Tacoma-Narrows-Brücke zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung die drittgrößte Hängebrücke der USA. Sie wurde am 1. Juli 1940 eröffnet, stürzte jedoch vier Monate später spektakulär ein.

Die Brücke wurde von dem Ingenieur Leon Moisseiff entworfen. Moisseiff sah eine äußerst schlanke Konstruktion des Fahrbahnträgers als Stahl-Vollwandträger vor – extrem flach und mit nur zwei Fahrbahnen und zwei Fußwegen auch sehr schmal. Diese Entwicklung hatte Fritz Leonhardt mit der Planung der Rodenkirchener Brücke in Köln angestoßen. Bis dahin waren Hängebrücken immer mit wesentlich höheren Fachwerkträgern versteift worden. Das neue Konzept war noch vor Baubeginn an der Rodenkirchener Brücke von Othmar Ammann für die Bronx-Whitestone-Brücke in New York City übernommen und weitergeführt worden, an der auch Moisseiff mitgearbeitet hatte. Moisseiff ging diesen Weg bei der Tacoma-Narrows-Brücke noch weiter.

Diese Schlankheit führte zu einer sehr niedrigen Steifigkeit und einem sehr niedrigen Gewicht. Zusammen mit einer aerodynamisch ungünstigen Form des Trägers machte das die Brücke sehr windempfindlich.

Schon bei leichtem Wind bildete sich hinter dem Träger eine Kármánsche Wirbelstraße, deren Wirbel sich mit annähernd der Eigenfrequenz der Brücke ablösten, so dass die Brücke in Resonanz geriet. Bald erhielt sie wegen ihres Auf- und Abschwingens den Spitznamen „Galloping Gertie“ und wurde zum Touristenmagneten. Manche Autofahrer kamen extra zum „Achterbahnfahren“, andere nahmen lieber weiter den zeitaufwändigen Umweg über Olympia im Süden in Kauf, den die Brücke eigentlich ersparen sollte.

Am 7. November 1940 schließlich wurde es windiger. Die Brücke geriet in einen anderen Schwingungsmodus und führte jetzt Torsionsschwingungen aus. Bei diesem Modus handelte es sich, wie später festgestellt wurde, um eine so genannte selbsterregte Schwingung. Die Brücke sorgte ohne eine von außen vorgegebene Frequenz selbst dafür, dass sie sich immer weiter aufschaukelte. In gewisser Weise wäre das vergleichbar einem Menschen auf einer Schaukel, der immer im richtigen Moment einen Schild gegen den Wind hält oder wegklappt. Nach weniger als einer dreiviertel Stunde rissen bei einer Windgeschwindigkeit von 67 km/h (Windstärke 8) die Seile und die Fahrbahn stürzte mit zwei noch eilig verlassenen Autos und einem Cockerspaniel in die Tacoma Narrows. Menschen kamen bei dem Unglück nicht zu Schaden.

Aufgrund der Schwingungen stand die Brücke schon vor dem Einsturz unter ständigen Beobachtungen durch Überwachungs-Kameras, die den Einsturz schließlich filmten. Es ist der einzige bekannte Film eines Brückeneinsturzes.

Nach dem Einsturz

Die Bronx-Whitestone-Brücke wurde im Anschluss mit zusätzlichen Gitterträgern verstärkt, das geschah allerdings mehr aus psychologischen Gründen. Zehn Jahre nach ihrem Einsturz wurde die Tacoma-Narrows-Brücke neu gebaut, diesmal mit einem konventionellen Gitterträger. Die neue Brücke wurde (mit neuen Pylonen) auf den Fundamenten der alten Brücke aufgebaut. Die Eröffnung fand am 14. Oktober 1950 statt.

Die Bauweise mit Gitterträgern sollte sich weltweit sehr lange halten. Obwohl es möglich gewesen wäre, auch bei großen Hängebrücken richtig ausgelegte Vollwand- oder Kastenträger zu verwenden, wurde erst wieder 1981 mit der Humber-Brücke in England eine solche Brücke fertig gestellt.

Der Film des Einsturzes wird häufig als Anschauungsmaterial für die aerodynamischen und schwingungstechnischen Vorgänge verwendet. Er ist heute regelmäßig in Dokumentationen über Brücken im Fernsehen zu sehen und macht den Einsturz der Tacoma-Narrows-Brücke wohl zum berühmtesten Brückeneinsturz überhaupt. Bedeutendste Folge der Katastrophe war, dass seither neben der Statik auch die Dynamik bei der Konstruktion von Brücken berücksichtigt wird und dass sämtliche größeren Brücken als Modell im Windkanal getestet werden.

Die Überreste der abgestürzten Fahrbahn liegen auch heute noch an Ort und Stelle unter Wasser; sie wurden 1992 unter Denkmalschutz gestellt.

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