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24. July 2003, 12:12   #1
Akareyon
 
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Da rastet das Sprachgefühl aus!

...titelt die Westdeutsche Zeitung. Hier ein paar Ausschnitte aus dem Artikel von Sophia Willems, dem ich 100% zustimmen möchte.
Zitat:
Der Dichter Reiner Kunze bekämpft die Rechtschreibreform als "Barbarei", die die Kulturleistung des Volkes zerstöre und das Sprachniveau schändlich nivelliere.
[...] Denn das kostbarste, weil ureigene Gut eines Volkes ist seine Sprache. In ihr wurzelt sein Denken, ist sein Fühlen verborgen, seine Identifikation behaust. Aus gutem Grund heißen andere Sprachen als die, in der man aufwächst, denn auch "Fremd"-Sprachen.

Seit der Reform aber tritt uns diese ureigene Sprache gegenüber, als sei sie neu und fremd gewandet worden. Keiner spürt das so extrem, keiner leidet so darunter wie die Schriftsteller, deren Handwerk und Kunst sich in der Sprache vollzieht. Ich selber gestehe gerne, dass ich verunstaltete Wörter wie "aufwändig" oder "Stillleben" plötzlich meide - ein brutal verordneter Sprachverlust. [...]

[Kunzes] Erachten reden die Kultusminister allesamt einer schandbaren Nivellierung und Faulheit des Geistes das Wort. "Das Argument, die Kinder hätten es damit 'leichter', ja würden entlastet, entlarvt sich von allein. Soll es wirklich genügen, wenn Kinder nur zurecht kommen? Oder sollen sie vielgestaltig und hochdifferenziert schreiben, sprechen und denken lernen?" Er vermag in dieser Reform nichts als eine ungeheuerliche Verarmung zu erkennen.

[...]

Zwei Beispiele zur Zusammen- und Getrenntschreibung: "nachschauen gehen" etwa will sagen, dass man sich an einen anderen Ort begibt, um nachzuschauen. Es geht also um zwei Handlungen, die getrennt voneinander ausgeführt werden - eben auch sprachlich.

Anders aber das so ähnlich scheinende "spazieren gehen". Kunze: "Man geht nicht fort, um etwas zu tun. Vielmehr bewegt man sich auf eine bestimmte Weise fort, und so bezeichnet das Wort ein einziges Geschehen, es ist eine Einheit." [...] Vor hundert Jahren habe man "spazierengehen" noch getrennt, doch das Volk habe im Laufe der Zeit von selbst und völlig korrekt die Zusammenschreibung durchgeführt: "So fein hat das Volk nämlich differenziert und - ohne Bürokratie! - Sprachintelligenz bewiesen. Die Reform ignoriert und vernichtet diese immense kulturelle Leistung."

[...] so das das vernichtende Urteil: "Die Rechtschreibreform zieht unsere Sprache vom Hochentwickelten zum Primitiveren, vom Unmißverständlichen zum Mißverständlicheren, vom Feinen zum Gröberen."
Der Artikel enthielt auch einen Verweis auf das Buch Deutsch. Eine Sprache wird beschädigt...

Wie steht ihr fünf Jahre nach Einführung der neuen Rechtschreibung zu dem Humbug? Ich für meinen Teil bin nach wie vor ziemlich sauer - und weiterhin der persönlichen Überzeugung, mit der alten schreiben zu müssen. Auch, wenn ich mal Kasperkram mache, zum Beispiel "aufwëndig" schreibe, so gehe ich doch mit dem guten Herrn Kunze konform. Die Reform war, ist und bleibt absoluter Hirnfick.