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6. February 2004, 16:10   #3
Akareyon
 
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Die Scheiße an der tollen Demokratie Deutschlands ist: man kann nichts dagegen machen. Das Rezepteheftchen Stern, das ich sonst eigentlich nur wegen der genialen Cartoons vom Haderer zur Hand nehme, titelte zuletzt mit der "Arroganz der Mächtigen" und lieferte in dem Artikel eine recht böse, wenn auch reichlich populistisch durchzogene Analyse des Verhaltens "unserer" Volksvertreter. Auzug (doch auch der Rest ist interessant):
Zitat:
Unten ist oben. Ganz oben auf der Palme, wo Enttäuschung, Entfremdung und Empörung sprießen. "Die Macht ist obszön", spottet der Dichter Hans Magnus Enzensberger, "das freut die Wut." Die Obszönität ist groß. Die Wut auch.

[...]

"Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes", urteilt das Bundesverfassungsgericht, auf der Rangliste des Vertrauens bei den 60 Prozent für Deutschlands Gerichte ganz oben auf Platz fünf. "Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich." Die da unten begreifen nicht mehr, was die da oben treiben. Also zerbricht das Fundament der Demokratie. Und mehr. Die Nation steckt in einer Vertrauenskrise, und die wuchert weit über die Politik hinaus. Gemessenes Vertrauen: siehe oben. Gefühltes Vertrauen: null Komma noch was.
Hey, hallo, ich verstehe nicht viel von Politik. Aber Demokratie hat man mir so erklärt: unsere Vertreter tun das für uns, was die Mehrheit von uns will. Okay, Mädels, wo bleibt die Mehrheit für das Dosenpfand und die Praxisgebühr? Die Universaldilettanten, Quereinsteiger, Ex-Lehrer ohne politische Vorbildung reden sich Fransen an den Sabbel, debattieren und beglücken das Volk mit niveaulosen Sticheleien untereinander, wie man sie sonst nur aus der Boardszene kennt. Von Reformen à la Merz, Harz und Kirchhof will keiner was wissen, die Opposition schleift so lange daran herum, bis von der ursprünglich genialen Idee nichts mehr übrig ist und verkauft dann einen Klon der urpsprünglichen Idee als ihre eigene. Dazu noch etwas publikumswirksame Taktiererei und nichtssagende Worthülsen in Reportermikrofone, die immer aufs gleiche hinauslaufen: "Wir würden ja gerne, aber die Regierung / die Opposition hat sich nicht durchringen können...".

Und, wen wähle ich das nächste Mal, wer hat noch nicht gelogen und betrogen? Ich wähle doch nicht das geringere Übel. Wenn mein Lieblingsdönerfritze schon zu hat, gehe ich nicht zu dem in der Unterführung, der ist unfreundlich, der Döner schmeckt scheiße und es ist kein Fleisch drauf, also gehe ich nach Hause und mache mir lecker Spaghetti.

Das Problem am Wahlsystem in Deutschland ist: es bringt nichts, wenn ich gar nicht wähle oder ungültig wähle. Ich verliere automatisch das Recht, mich über den Dünnschiß der oberen Reihen beschweren zu können, wenn ich NICHT wähle. Protestschreiben auf dem Wahlzettel (bewegt euern Arsch und tut was für MICH/für UNS/für Deutschland) gelangen gerade mal zum Wahlhelfer. Das deutsche Wahlsystem sieht nicht vor, daß es eine Mehrheit geben könnte, die keiner der vorstelligen Parteien ihr Vertrauen aussprechen kann.

Übrigens endet der Stern-Artikel mit diesem Absatz: Die Zeit für eine Revolution ist reif, wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen, heißt es. Die oben können nicht mehr, und die unten wollen nicht mehr. Revolutionäre werden die Deutschen dennoch nicht. Die Bahnsteigkarten - Lenin ist mausetot - sind einfach zu teuer. Und Jürgen Möllemann, der den Zorn mit einer neuen Partei hätte ausbeuten können, hat den Fallschirm nicht geöffnet.

Viva la Revolucion! Hasta la victoria siempre! Harakiri, Alabama und Bonsai! Ich bin dabei. Bezüglich Revolutionen habe ich ja eine Theorie: zwar will jeder mitmachen, aber keiner fängt an. Man müßte einfach mal ein Datum festlegen, an dem jeder auf die Strasse geht, nach Berlin, und eine kleine, friedvolle Revolution auf die Beine stellen. Keiner arbeitet, Fernsehkanäle zeigen Testbild, Radiosender geben in Endlosschleife die Adresse vom Gebäude mit der Aufschrift "Dem deutschen Volke" über dem Portal durch, und nur Lokführer, Busfahrer und Krankenschwestern unterstützen den Kampf gegen das System. Ei, das wär fein.

Natürlich nicht, während die zweite Staffel vom Dschungelcamp läuft, sonst haben alle wieder einen guten Grund, zuhause zu bleiben.