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13. October 2003, 02:03   #55
Akareyon
 
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Ben99 betrat das Flachdach seines Palastes und ließ seinen Blick ringsum, über die Hauptstadt seines gigantischen Reiches, schweifen. Die beiden Sonnen gingen im Westen unter, warfen ihre doppelten Schatten in die vielen engen und verwinkelten Gassen und auf die breiten Hauptverkehrswege, die die Metropole in Nord-Süd-Richtung durchspannten; das Licht gleißte vom weißen Marmor des Zikkurrats des Dokwaipah-Tempels, es glitzerte von den zahl- und namenlosen silbergedeckten Türmchen und Brücken aus Marmor und Gold und Lapis, es tauchte den Ska'at-Strom in seine warmen, goldenen Strahlen - bis hin die Simof-NyuYok-Bucht, wo die ehrfurchtgebietende Brandung des Jerm'Eneli'Te-Meeres sich an den Klippen der Küste brach, es spielte mit den aufwendigen Stickereien seines Gewandes, und es schien in SEIN Gesicht. Für einen Moment schloß er die Augen und atmete die kühle Abendluft ein, in die Lungen des Imperators, des Ersten Imperators der gesamten Galaxis.

Ein Glühwürmchen schwebte kurz über der Balustrade und entschwand dann in den Blättern einer Jauyplpa-Rose.

Sein Diener trat hinter ihn. Er war ganz in weiß gekleidet, und auf einem Tablett voller Silberziselierungen trug er einen güldenen Becher, der mit dem Wein der Trauben von den Reben des Aldee-Systems gefüllt war. Ein edler und seltener Tropfen, der Imperator hatte die Weinberge nach der 99'er Ernte vernichten lassen, um die Einzigartigkeit seiner beiden Flaschen zu wahren.

Der Diener blieb im angemessenen Abstand stehen und schwieg. Er mochte vierzig sein, er strahlte diese gewisse Ruhe aus, die allen verdienten Kapitänen der Imperialen Sternenflotte zu eigen war. Man hatte ihm und einem halben Dutzend anderer handverlesener Helden, die sich unter Einsatz ihres Lebens und ohne Furcht um den Ruhm und die Stärke des Imperiums und die Ehre des Imperators verdient gemacht hatten, die Wahl gelassen: sich als hochdekorierter Gouverneur und Statthalter eines ganzen Planetensystems zur Ruhe zu setzen und eine Fortpflanzungserlaubnis zu erhalten - oder ein Jahr lang als Mundschenk des Imperators dienen, an einem Tag in der Woche sich dem Imperator auf fünfzig Schritte nähern zu dürfen.

"Komm ruhig näher", sprach der Imperator plötzlich. Der Diener zögerte. Das Flackern in seinen Augen hatte er nur schwer verbergen können. "Herr..." wollte er einwenden, doch Ben unterbrach ihn. Mit sanfter, wohlwollender Stimme wiederholte er seine Einladung: "Komm."

Zögernden Schrittes näherte sich der Mann, voller Eifer, zu gefallen, voller Furcht, einen Fehler zu begehen. "Schau dir das an", sagte Ben, als der Diener neben ihm stand, und breitete die Hände aus, als könne er den ganzen Planeten darin betten, "dies alles ist mein Reich, jeder Stern dieses Nebels, jeder Planet. Jede Seele hört auf meinen Befehl. Das, das, mein junger Padawan, ist Macht, wahre Macht. Und du wirst dich fragen, wie ich all dies erreicht habe. Ich will es dir sagen. Mit dem untrüglichen Wissen, das richtige zu tun. Vergiss, was du auf der Akademie gelernt hast über den Beginn dieses Reiches. Und höre mir gut zu.

Es war zu Beginn des dritten Jahrtausends, da brauchte ein Posting von hier zu jener Strasse dort länger als jetzt von einem Ende der Galaxis zum anderen. Ich war ein Nichts, ein Niemand. Du wirst dich wundern, warum ich dir das erzähle, doch höre mir zu. Ich schrieb Postings, doch niemand vermochte, mich wahrhaft ernst zu nehmen. Sie verstanden nicht, was ich ihnen mitteilen wollte. Daß ich die göttliche Berufung hatte, der Welt zu Eintracht und Frieden zu verhelfen. Und daß nur ich, ich allein im Besitze jener absoluten Wahrheit war. In einer Diskussion mit einem jungen Spinner - du verzeihst, daß ich den Namen dieses unwichtigen Opfers seiner eigenen Meinung nicht mehr nennen kann, da die Jahre an meiner Erinnerung gezehrt haben - kam mir plötzlich die Idee, die umzusetzen mir nur allzuleicht fiel. Ich würde ihm einfach beweisen, daß alles, was er sagt, falsch ist. Daß nur ich Recht haben kann. Und es funktionierte! Es fehlte ihm zwar noch die Einsicht, doch ich kümmerte mich nicht mehr um ihn. Mit der Hilfe der jetzigen 'Bolagomalen Anstalt für Nino-Dlaptoskie und Wurbeskopale IP-Überwachung in Raum und Materie', kurz, B.A.N.D.W.Ü.R.M., erstellte ich eine Datenbank mit den Meinungen aller Menschen des Terra-Planeten. Daraufhin schrieb ich ein 492 Megabyte langes Posting mit dem Namen 'Ein letztes Wort an die Menschheit', in dem ich die Meinung eines jeden einzelnen widerlegte. Im letzten Kapitel erklärte ich, warum nur meine Meinung die einzig richtige sein kann und jeder, der was anderes behauptet, nur impotenter, pilzerauchender, hirnresektionierter Abschaum des Universums sein kann. So wurde ich zum König der Erde gekrönt. Ich veranlasste, daß mein Posting in die Sprache der Mathematik übersetzt und in das All hinausgestrahlt würde. Und bald legten die Oberhäupter anderer Sternensysteme ihre Szepter, Kronen und Computermäuse vor meinen Thron, boten mir ihre Dienste an und unterwarfen sich mir.

Der Rest nun ist dreitausendjahre alte Geschichte, und sie steht in den Lehrbüchern. Noch bis in das dritte Jahrhundert meiner Amtszeit gab es Rebellen, unbesonnene Aufständische, die was von 'Recht auf eigene Meinung' faselten - doch nun, nun endlich ist das Ziel erreicht; die Noyeraka-Truppen wurden vernichtend geschlagen. Frieden, Einigkeit, Vernunft und Die Einzig Richtige Meinung regieren nun die gesamte Galaxie. Unter meiner Hand!"

Er schlug seine zur Faust geballte Rechte in die Handfläche seiner Linken - es mußte dem eifrigen Diener wie der Schlag eines Schmiedehammers auf den Amboss der Hölle vorkommen, denn er zuckte leicht zusammen. Und als oben am funkelnden Firmament der Andromeda-Nebel von den Sonnensegeln eines aus dem Llilli Interstellar Spaceports auslaufenden Forschungsschiffes voller mutiger, junger Kadetten überstrahlt wurde, griff er nach dem Wein, leerte den Becher und begab sich auf den Weg in seine Schlafgemächer.

"Ach, bitte hilf mir doch aus dem Gewand", sprach der Imperator sanft, und der Diener beeilte sich eifrig, dem Wunsch nachzukommen.

Der Pfleger zog "Imperator Ben" sanft vom vergitterten Fenster weg, nahm ihm den Bademantel ab, führte ihn zum Bett, schmiss den leeren Baldrianbecher weg, löschte das Licht und wünschte eine gute Nacht. Ein bisschen taten ihm die Patienten der halboffenen Station schon leid. Aber als er die Tür zum Zimmer 17564 der Alsterdorfer Anstalt hinter sich schloss, mußte er schon ein bisschen schmunzeln...
Mit Dank an Tetsche, Lucas und Williams für die Inspiration - und einem lieben Gruss an alle, ich geh jetzt pennen :-) Möge die Macht mit Euch sein.