Einzelnen Beitrag anzeigen
11. July 2005, 02:57   #18
Akareyon
 
Registriert seit: November 2001
Beiträge: 2.823
Danke für's Lob. Und giftet Euch gefälligst woanders an.

In der Zwischenzeit bringe ich Euch mal die verschiedenen Grundtypen Kunde näher.

Vorab sei dazu jedoch richtiggestellt, daß ich eigentlich gar nicht an einer Aral-Tankstelle arbeite. Es handelt sich eher um eine Art Kiosk mit blau-weißer Leuchtreklame und angeschlossener Tankmöglichkeit. Es gilt also grundsätzlich zu unterscheiden zwischen jener Kundschaft, die kommt, um ihr Auto zu tanken und sich dabei noch ein Eis, 'nen Schoppen, die Tageszeitung oder 'ne Packung Lungenbrötchen kauft, und jener Kundschaft, die kommt, um sich ein Eis, 'nen Schoppen, die Tageszeitung oder 'ne Packung Lungebrötchen kauft und - wenn vorhanden - dabei noch das Auto tankt.

Dazu sei auch gesagt, daß im Einzugsgebiet meiner institutiongewordenen Tanke so ziemlich jede Art von Volk aus fast jeder (a)sozialen Schicht fleucht und kreucht. Es ist nicht ungewöhnlich, daß der reichste Mann der Stadt gerade einhundert Liter SuperPlus in seinem Bentley versenkt, während einer meiner Lieblingspflegefälle gerade versucht, mir "nur bis morgen" eine Flasche Wodka aus den Rippen zu leiern: "Bitte, mein Freund. Mein Bruder. Du mußt mich doch verstehen. Du bist doch auch ein Mann."

Wißt Ihr, als ich noch Zivi war, habe ich auf einer gastroenterologischen Krebsstation gedient, sprich: Magen, Darm, Leber, Schilddrüse, das ganze Programm zwischen Scheiße, Pisse, Blut, Kotze und Exitus halt; ich kenne die Macht des Alkohol aus der Perspektive desjenigen, der den monatelang gepflegten Patienten zum Schluß kleine Schildchen an den großen Zeh binden und Bettentransportbestellungen in den Kühlkeller machen durfte. Ich komme mir an der Tankstelle daher manchmal so vor, als würde ich nun auch die Genese des ethanolinduzierten Siechens studieren dürfen. Als ich vor drei Jahren anfing, begrüßte mich beispielsweise jede Woche ein gesunder, fröhlicher, gewitzter, stämmiger Mann und bestellte seinen "Grünen" (Jägermeister). Jetzt begrüßt mich nur noch ein kranker, mürrischer, total verpeilter und abgemagerter Mann und bestellt seinen Grünen - verdammt, hätte er stattdessen etwas "Grünes" gewollt, dann wär' er jetzt gesund und nur ein bisschen verpeilt. Selber schuld. Und in irgendeinem Krankenhaus bindet ihm irgendein Zivi demnächst ein kleines Schildchen... lassen wir das.

Wie bereits erwähnt, habe ich natürlich auch Kundinnen, und nicht etwa nur verbitterte, unfreundliche, alte Schrapnellen - nein! Nicht selten erfrischt auch der Anblick eines zarten, anmutigen Geschöpfes meine vom eigentlich konstanten Zeitunglesen wunden Traumguckkugeln. Eine solche Erfrischung will natürlich - so nämlich schuf Gott der Männer feinen Sinn für die Details der Kurvungen - wohlgenossen sein. Anders als auf der Straße muß man sich nichtmal auffällig nach der schönen Blonden umdrehen und sich dabei der Gefahr einer Kollision mit zufällig umherstehenden Laternenpfeilern oder in den Weg springenden Litfaßsäulen aussetzen - nein! Die Beschaffenheit einer Tankstelle, die Position der Kasse relativ zur Eingangstür und die eine große Schaufensterfront erlauben das perspektivenreiche Betrachten schöner Frauen beim Betreten der Hütte und wenn sie sich nach den viel zu hoch gelagerten Kaugummis recken, sowie ungeniertes Auf-den-Arsch-Gucken, wenn sie wieder gehen.

Dann sind da die Typen, die haben einfach keine Freunde. Die haben nichtmal einen Frisör, dem sie von ihren Lebensleiden erzählen können. Und so lassen sie all das, was sich zwischen Formel-1-Gucken und BamS-Lesen in ihrem beschränkten Geiste an berichtenswertem aufstaut, an einem vollkommen harm-, leider auch wehrlosen Tankstellenfuzzi ab. Okay, nach einiger Zeit weiß man, wie man mit einem Ohr zuhört (damit man weiß, wann man nicken und "hmmm" machen muß) und mit dem anderen Auge den interessanten Artikel aus der FHM weiterlesen kann. Und es ist ja auch nicht uninteressant. Drei Jahre Tankstelle, und man kennt sämtliche Verwandschaftsverhältnisse der 30.000-Seelen-Gemeinde. Buchführen ist nicht unangesagt, weil da echt jeder mit jedem verwandt ist.

Und das merkt man zuweilen, insbesondere an der jüngeren Generation. Ich habe sie ein bisschen auf Trab gebracht. Mittlerweile rechnen sie ihre Einkäufe zusammen, kontrollieren das Wechselgeld, grüßen, danken, und wissen, wann es besser ist, zu gehen. Sie lernen bei mir für's Leben. Grundregel eins: komplett schwarzgekleidete Typen mit langen Haaren, zwei Metern Körpergröße und bösem Blick sollte man niemals dreimal hintereinander nach dem Preis für Mentos Kirsch, Mentos Lakritz und Mentos Fruit fragen ("Was kostet das?" - "Steht dran. Siebzig Cent." - Rumgrabbeln, diskutieren, tuscheln, flüstern, in die Hand nehmen, fallenlassen, zurücklegen, streiten - "Und das?" - "Auch siebzig Cent." - Rumgrabbeln, diskutieren, tuscheln, flüstern, in die Hand nehmen, fallenlassen, zurücklegen, streiten - "Das auch siebzig Cent?" - "Jap." - Rumgrabbeln, diskutieren, tuscheln, flüstern, in die Hand nehmen, fallenlassen, zurücklegen, streiten - "Äh, und..." - "Das nicht. Das kostet Dich das Leben.")

Da lobe ich mir doch die vom Wolfe abstammende Vierbeinerschaft unter meinen Kunden, die Chizous und Schäferhunde und Rottweiler und Hush Puppies und die sonstigen spitzverdackelten Pudelmopspinscher, Trethupen, Kampfratten und reißenden Bestien, die - blind, taub, alt, gliedamputiert oder als Welpe - voll ehrlich gemeinter Freude schwanzwedelnd hinter die Theke propellieren, um sich ihr Leckerli abzuholen. Raubtierfütterung. Max heißen sie, oder Alf, Timmy, Pepita, Mephisto, Jupp, Gino... Gino ist 'ne besondere Kröte. Der nimmt das Leckerli immer mit und legt es dann seinem Frauchen auf's Kopfkissen. Und man sollte es nicht glauben - aber so, wie man bei seinen Kunden genau wissen sollte, welche Zigarettenmarke sie bevorzugen, welches Handynetz sie benutzen, welche Biersorte im Kühlschrank ist und wie groß dabei die Markenfixierung bzw. Kaufflexibilität ist, so sollte man auch wissen, daß Alf die roten Kekse lieber mag als die braunen Knochen und daß Amy keine Butterkekse darf, wegen Zucker und so.

Einer meiner besten Freunde wohnt direkt um die Ecke - Beziehungstechnisch gesehen könnte man sagen, er ist ein Teller, von dem frau nicht alleine ißt. Er macht sich bei jeder frischen Disco-Aquisition einen Spaß daraus, mich ihr als einen der ersten vorzustellen, und das freilich an der Tankstelle. Naja, vorstellen ist der verkehrte Begriff... sagen wie vorführen. Einkaufen bei Aka ist nämlich nicht bloß einkaufen. Es ist Show, es ist Entertainment, Akrobatik, Kabarett und Slapstick, es ist Wochenmarkt, Kirmes und Hamburger Fischmarkt in einem. "Ey,", sagt mein Freund dann, und seine Freundin giggelt noch über die Begrüßungsfloskel "Shalömchen" oder "Friede sei mit Dir und Deinen Hausgenossen bis in die zehnte Generation auf ewige Zeiten und immerdar" (Antwortcode: "Amen"), "ey, mach nochma n Spruch." Oder: "Ey, erzähl nochmal das mit dem Typen, der dich hier ausrauben wollte." Ja, lustige Geschichte, das. Hab' ihm erzählt, daß ich Karate kann, da ist er gelaufen wie der Teufel. Dabei kann ich nichtmal einer Fliege was zuleide t...

...halt, das stimmt nicht ganz. Letzten Sommer habe ich die Scheißviecher immer eingefangen, kurz in der hohlen Hand geschüttelt und ins Schöller-Eisfach geschmissen, wo sie sich nach kurzem orientierungslosen Torkelflug (können Fliegen kotzen?) irgendwo hinsetzten. Und sitzenblieben. 'Ne ganze Zeit lang *g* Traut keinem, der sagt, ich könnte keiner Fliege und so... ich bin zu unvorstellbaren Grausamkeiten fähig. Nehmt Euch in Acht. Wechselt die Straßenseite. Meidet meine Stadt im Dunkeln, nehmt Kinder an die Hand und Hunde an die Leine. Salutiert, steht stramm.

Als Cheffe die Truhe dann im Herbst abgetaut hat, soll's ganz schön geblitzt haben im Laden. War leider in einer anderen Schicht, ich hätte gern mitgelacht.

Apropos Blitz im Laden: klimatisiert ist er tatsächlich. Beneidet mich um meinen Arbeitsplatz. Es geht ja sommerlich eigentlich um den Schutz der Schokolade vor temperaturbedingter Deformation zu handlichen, aber appetitlindernden Zuckerbarren; aber verdammt, es ist schon cool, wenn jeder zweite reinkommt und meint: "Oh, ist das angenehm hier..." Ja, Mann! Wochenends umschiffe ich notorisch überfüllte Freibäder und sengende Nachmittagshitze bei angenehmen 19° Celsius, und nachts lasse ich mit meinen Leuten die Party auf unserem Flachdach steigen. Was will ich mehr?

Einen Kunden, der jeden Tag fünf bis zehn Minuten nach Beginn meiner Schicht in den Laden kommt, eine Packung "Zündkerzen" (Boonekamp-Viererpack) kauft, mir von seinem Fischteich erzählt und dann mit erschreckender Genauigkeit das Wetter für die nächste Woche prognostiziert. Aber so einen habe ich ja auch schon.

Chef meinte neulich, Kunde hätte sich beschwert: wenn ich Schicht habe, wären andauernd irgendwelche Mädels hinter der Theke und würden mit mir Klönschnack treiben.

Gut, daß die Kunden nach Feierabend nicht ins Lager gucken können.