Einzelnen Beitrag anzeigen
9. July 2006, 23:39   #5
Ben-99
Ungültige E-Mail Angabe
 
Registriert seit: June 2003
Beiträge: 5.899
... das ist natürlich immer die Kehrseite der Medaille – aber es wird nun mal auch immer einzelne Berufsgruppen geben, die unter solchen Neuerungen zu leiden haben. Ich habe damals, Ende der 70er, noch miterlebt, wie die Drucker und Schriftsetzer in den Verlagen plötzlich überflüssig wurden. Aber hätte man deshalb auf den Einsatz der ersten Computer-Programme verzichten sollen, mit denen so etwas viel schneller und vor allem auch viel weniger arbeitsintensiv verrichtet werden konnte?

Und man kann auch nicht alle traditionsbehafteten und früher wohl auch mal sehr wichtigen Produktionszweige, ich denke zum Beispiel an den Bergbau oder auch Teile der Landwirtschaft, noch jahrelang auf völlig sinnlose Art subventionieren. Der Fortschritt fordert halt seinen Preis. Denn wenn Produkte billiger werden, weil sie mit weniger Lohnkosten hergestellt werden können, greifen wir doch alle dankbar sofort zu, ohne uns noch lange Gedanken über die Leidtragenden des rigorosen Personalabbaus zu machen.

Das gilt auch für die Verkäufer in den großen Warenhäusern. Heute ist man doch schon froh, wenn man bei Karstadt & Co. überhaupt noch mal einen dieser selten gewordenen Spezies trifft. Nur bei den Kassiererinnen in den Supermärkten ist das anders. Denn sie werden auch weiterhin gebraucht. Aber anstatt mehr Mitarbeiter einzustellen, bürdet man den vorhandenen Angestellten längere Arbeitszeiten auf. Und deshalb wird auch diese Berufsgruppe jetzt wieder unter der Abschaffung der festen Ladenschlußzeiten ganz besonders zu leiden haben.

Wir als Kunden und somit Nutznießer der Reform, können aber auch ein wenig dazu beitragen, den Beschäftigten des Einzelhandels das Leben nicht noch schwerer zu machen. Als neulich mal bei Penny ein arroganter Typ, der vor mir in der Reihe stand, versuchte, eine Kassiererin, die ich immer als besonders freundlich und fleißig kannte, runterzuputzen, nur weil sie sich mal am Ende eines verdammt langen und anstrengenden Arbeitstages aus Versehen vertippt hatte und sie gleichzeitig wohl auch nicht schnell genug seine gammligen Pfand-Leergutbehälter in den Container neben der Kasse beförderte, habe ich das Arschloch mit ein paar wenigen, aber äußerst deutlichen Worten so zusammengefaltet, daß er anschließend mit hochrotem Kopf und unter dem Gelächter aller wartenden Kunden den Laden verließ.

Aber auch sonst könnten und sollten die Kunden viel mehr Einfluß auf die Großkonzerne nehmen. Wer zum Beispiel noch immer bei Wal Mart kauft, nur weil dort irgendein Produkt vielleicht um 50 Cents billiger ist, der hat überhaupt kein Recht, sich jemals über die Auswirkungen des sogenannten Raubtier-Kapitalismus in seiner übelsten Form zu beklagen. Denn schließlich wurde in den letzten Jahren häufig genug über die Ziele und ekelhaften Methoden des US-Giganten in den Medien berichtet, nicht nur durch Dumping-Preise langfristig die deutsche Konkurrenz auszuschalten, sondern auch hierzulande auf dem Schleichweg die Unternehmer-"Moral" der USA einzuführen, wo man es seit langem gewohnt ist, Angestellte wie Leibeigene zu gängeln und wie Dreck zu behandeln.

Und in Schlecker-Filialen, in denen es auch bei uns zeitweilig ebenso zuging, kaufe ich erst wieder, seitdem mir einige Verkäuferinnen hinter vorgehaltener Hand berichtet haben, daß sich das Arbeitsklima in letzter Zeit tatsächlich wieder verbessert habe und die Angestellten sehr dankbar gegenüber den Journalisten sind, weil ihre Berichte über die schlimmen Zustände am Ende dann doch bei den verantwortlich Bossen die erhoffte Wirkung gezeigt haben. Denn ein Image-Schaden größeren Ausmaßes kann sich heute kein Unternehmen mehr leisten.

Also, warten wir mal ab, wie die ersten Monate der theoretisch zeitlich unbegrenzten Ladenöffnungszeiten verlaufen werden. Denn schließlich hat es in den anderen europäischen Ländern ja auch langfristig geklappt. Und kein(e) Angestellte(r) muß befürchten, daß der Chef auch dann noch immer seinen Laden bis spätabends geöffnet hält, wenn er merkt, daß er dadurch kaum mehr Umsätze erzielt. Und wenn es bei einigen anderen Geschäften doch so sein sollte, müssen die Inhaber eben auch künftig ihr Personal an den positiven Profit-Auswirkungen teilhaben lassen. Machen sie es nicht, sind die Politiker aufgefordert, über Wege nachdenken, wie man sie gesetzlich dazu verpflichten könnte.

Gruß Ben