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11. July 2002, 16:55   #39
tw_24
 
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Zitat:
Zitat von tschubbl
Derjenige,der da Toleranz predigt,müßte das auch einem ehemaligen persischen Student,der mein Nachbar war,erklären,dessen Verlobte man beide Arme amputierte und zwar da,wo die Ärmel des T-Shirts aufhörten.
Was soll ich darauf antworten? Was hat das mit Ferestha Ludin zu tun? Wenn ich zynisch sein wollte, würde ich mich auf den Asylbeauftragten der BRD, angesiedelt und informiert im Auswärtigen Amt des Joseph Fischer, berufen, der noch Ende 2001 messerscharf schlußfolgerte, daß das "bei Anpassung an die Regeln für die Aufrechterhaltung der ´Ordnung´" wohl nicht passiert wäre.
Zitat:
Zitat von Asylbeauftragter
Bei Anpassung an die Regeln für die Aufrechterhaltung der ´Ordnung´ im Verständnis der Taliban (etwa zur Verwirklichung der Geschlechtertrennung oder zur Haar- und Barttracht von Männern) ist in Afghanistan - auch für Rückkehrer aus dem Ausland - die persönliche Sicherheit des Einzelnen gewährleistet. [..] Im übrigen stellen die strengen Verhaltensmaßregeln der Taliban und die damit einhergehenden Einschränkungen in der Lebensführung letztlich nur eine Ausprägung fundamentalistisch-islamischer Anschauungen und eines entsprechenden Gesellschaftsverständnisses dar. Bei der Ahndung etwaiger Verstöße handelt es sich mithin nicht um eine asylrelevante, d.h. aus der übergreifenden Friedensordnung ausgrenzende Verfolgung.
(Aktenzeichen: 2611259-423, Kl. 1305/01)

Nachzulesen u.a.: hier.
Da verwundert es auch nicht mehr, daß die Shariah in Afghanistan als Rechtsordnung nun unter dem Schutz deutscher Soldaten steht, aber das ist ein anderes Thema ...

quentin "will keinen moslemischen Staat, fertig" und das will auch ich nicht. Will dagegen vielleicht Fereshta Ludin einen moslemischen (Gottes-) Staat? (Denn das ist ja wohl die Frage, um die es geht.)

Wenn das so wäre, gäbe es ja in der Tat noch einige in diesem Sinne attraktivere Staaten als die BRD. Fereshta Ludins Bleiben in Deutschland könnte da schon als erstes Indiz dafür gewertet werden, daß ihr die freiheitlich-demokratische Grundordnung ganz gut gefällt, die es ja auch ihr ermöglicht, frei an das zu glauben, an was sie glauben will. Hier wird sie nicht gezwungen sich zu verhüllen, tut sie es dennoch, dann geschieht dies - als Erwachsene - allein aus eigener Entscheidung. Insofern ist es auch zweitrangig, ob ein Kopftuch "offiziell" vorgeschrieben wird oder nicht. Sie will es, weil das ihrer Auslegung des Koran entspricht. Und da sie zweifellos auch ein paar Jährchen an einer deutschen Universität verbracht hat, kennt sie alternative Weltanschauungen, hat sich aber bewußt für die ihre entschieden, die von einigen wohl als rückständige Bedrohung empfunden wird, weil es auf diesem Planeten leider noch ein paar Staaten gibt, in denen ein mit westlichen Freiheits- und/oder Menschenrechtsvorstellungen nur schwer zu vereinbarendes Rechtssystem gepflegt wird.

Fereshta Ludin ist aber doch keine offizielle Vertreterin dieser Regimes. Und ich weiß auch nicht, ob es sinnvoll ist, den moslemischen Glauben einfach gleichzusetzen mit solchen Staaten, von denen einige ja auch hervorragende Geschäftsbeziehungen mit dem "ungläubigen" Westen pflegen, sich also selbst irgendwie untreu werden, aber auch das hat mit Fereshta Ludin nichts zu tun.

Sie wird, so scheint es mir, für all das Unrecht - das im jeweiligen System aber durchaus Recht sein kann - quasi stellvertretend in Geiselhaft genommen, weil sie ein Kopftuch tragen will (!), das anderswo zweifellos Ausdruck der Unterdrückung von Frauen ist. Auf ihrem Kopf ist es aber doch eher Ausdruck einer Emanzipation - eben weil sie sich nicht für das "Hausfrauendasein" entschied, sondern studierte (noch dazu an einer deutschen Uni) und somit überhaupt nicht dem Rollenbild entspricht, das die fanatischen Religionswächter in Kairo oder Saudi-Arabien möglicherweise predigen. Sie ist vielleicht sogar eine Art Ketzerin, die mit ihrer Entscheidung für den Lehrerberuf in Deutschland sich ja ganz bewußt auf glaubenstechnisch "feindliches" Territorium begeben hat, womit sie aber auch deutlich macht, daß sie sehr wohl zu trennen weiß zwischen privatem Glauben und öffentlichem Bildungsauftrag. Nur geht dann ihre "Selbstverleugnung" nicht so weit, daß sie sich auch noch äußerlich verbiegt oder verbiegen lassen will, was aber auch eher für sie spricht, denn offensichtlich hat sie einen eigenen Willen und ist eben nicht das brave, angepaßte Wesen, als das sie auch manche deutsche Richter sehen wollen.

Allerdings sehe ich mittlerweile ein, daß dieses gefährliche Tuch in einer Grundschule - ich bin mit einem anderen Schulsystem aufgewachsen, in dem es einen Klassenlehrer gab, der aber nur für ein oder zwei Fächer zuständig war -, durchaus eine "Vorbildwirkung" entwickeln kann, die sich "negativ" auswirken könnte.

Doch auch da frage ich mich, ob wir als Erwachsene da nicht etwas in das Symbol Kopftuch hineininterpretieren, von dem ABC-Schützen noch gar nicht viel wissen können oder wollen. Mandy Sue bescheinigt verschleierten Mitschülerinnen in diesem Sinne Harmlosigkeit, daher frage ich nun, ob ein Schulanfänger überhaupt schon mehr sieht, mehr sehen kann, als ein (an sich wertneutrales) Kopftuch.

Wenn es sich nicht gerade um weltanschauliche Fächer handelt, also etwa Mathematik, Deutsch oder Biologie, und die Lehrerin wirklich nicht bewußt missioniert, dann ist ein Kopftuch doch wohl eher harmlos, irgendein Kleidungsstück.

Ein Kleidungsstück, von dem - als Symbol - durchaus eine positive Wirkung ausgehen kann, indem es nämlich gewisse Vorurteile, wie das, das der in meinem ersten Beitrag erwähnte Pförtner des BaWü-Landtags pflegte, widerlegt.

MfG
tw_24