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20. May 2006, 14:59   #19
Ben-99
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Zitat:
Zitat von Glüwü

sondern Glück hattet, in der Zeit zu leben. Nämlich genau zu dem Zeitpunkt, als es eigentlich keine Musikrichtung also auch keine Idole gab.

(...)

Was ich also sagen wollte ist, dass es nicht unbedingt die Beatles sein mussten, die die Generation eroberten, sondern irgendeine Gruppe, die genau das gebracht haben, was der Jugend fehlte.
... keine Idole? Na, hör mal, es war die Zeit von Elvis Presley. Die jungen Leute stürmten die Kinos, um ihren vergötterten Star zu sehen. Und Bill Haley füllte die größten Hallen, die danach einem Trümmerfeld glichen. Und es gab Buddy Holly, Little Richard und Chuck Berry. Doch sie waren in dem Augenblick alle weg vom Fenster, als von Liverpool aus die gesamte Szene umgekrempelt wurde.

Dabei waren die Beatles selbst Fans von Elvis & Co. Und ganz am Anfang waren ihnen Gruppen wie die Hollies, Kinks oder auch die Searchers fast ebenbürtig. Doch keine dieser Bands, auch die Stones zunächst nicht, konnten derart viele Spitzen-Songs in Serie komponieren. Und zwar nicht etwa nach Art von Dieter Bohlen, bei dem jeder neue Song wie der letzte und vorletzte klingt, sondern es waren alles kleine Meisterwerke. Deshalb gibt es ja auch keine andere Band, dessen Songs von so vielen anderen Stars auch noch nach Jahrzehnten gecovert wurden. Egal, ob Frank Sinatra, Sarah Vaughn oder Shirley Bassey – alle gingen nicht von der Bühne, ohne wenigstens eine Lennon-McCartney-Komposition zu Gehör gebracht zu haben. Und von George Harrisons wunderbarem "Something" gibt es mittlerweile schon über 500 Cover-Versionen.

Nicht die Beatles hatten "Glück", wie Du schreibst, sondern die damalige Zeit bzw. die Jugendlichen hatten Glück, daß eine so kreative Band frischen Wind in die Szene brachte. Sie waren das Gegenteil von Eintagsfliegen, entwickelten sich ständig weiter, bis Alben wie "Abbey Road", "Sgt. Pepper" und "White Album" zu richtigen Kunstwerken gerieten. Und sie waren so produktiv, daß nicht mal alle ihre Hits auf den regulären 13 LPs Platz fanden. So mußte man sich später noch die beiden "Past Masters" dazukaufen, um wirklich über sämtliche rund 200 Songs zu verfügen. So etwas gab es weder vorher noch hinterher bei keiner anderen Band.

Aber die Vier haben nicht nur die Musik-Welt verändert, sondern überhaupt die ganze Gesellschaft. Eine Hamburger Fotografin verpaßte ihnen die berühmte "Pilzkopf"-Frisur. Das war der Anfang der Ära der langen Haare. Und wer seine Haare damals lang trug, setzte auch ein politisches Zeichen: Es war der Protest gegen das spießige Establishment, gegen den Muff der Nachkriegsjahre. Nur die Angepaßten trugen ihre Haare weiterhin kurz, akkurat gescheitelt und mit viel klebriger Pomade. Was sich ja bis heute kaum geändert hat, nur nennt man das eklige Zeug jetzt modisch "Gel" ;-)

Lange Haare waren auch das Markenzeichen der Hippie-Bewegung, zunächst in San Francisco, später dann in ganz Amerika und in Europa, wo dann in Paris und Berlin die Studenten an den Universitäten den Aufstand probten. Insofern haben die Beatles zumindest indirekt auch mit der berühmten 68er-Bewegung zu tun, deren politische Auswirkungen bis in unsere heutige Zeit reichen.

So, und nun schreite ich wieder andächtig hinüber zu meinem mit kostbaren Devotionalien geschmückten Beatles-Altar, knie nieder und bete wie zu jeder vollen Stunde bei den Klängen von "Yesterday" das überdimensionale McCartney-Portrait auf einer beleuchteten Fototapete an. Hehe, das könnte man fast von mir denken, nachdem ich wieder mal so überschwenglich eine Popband gelobt habe, mit der zwar alles begann, deren Scheiben ich aber nach wie vor eher selten höre ;-)

Gruß Ben