Einzelnen Beitrag anzeigen
24. November 2008, 23:03   #102
Ben-99
Ungültige E-Mail Angabe
 
Registriert seit: June 2003
Beiträge: 5.899
... na ja, “rechtsmäßig verurteilt” ist so eine Sache, wenn man bis heute gar nicht weiß, wer wirklich damals wen umgebracht hat. Schon der Prozeß in Stammheim gegen Baader, Meinhof & Co. war so chaotisch, daß er aus heutiger Sicht eigentlich hätte wieder aufgerollt werden müssen. Doch zum Glück starben vorher die Gefangenen durch eigene Hand, wobei inzwischen bekannt ist, daß das Vorhaben, sich gemeinsam umzubringen, aufgrund der installierten Abhöranlagen keine Überraschung für die Justizbeamten war. Doch man ließ sie gewähren und wartete seelenruhig ab, während man selbst bei Kleinganoven darauf bedacht ist, ihnen Gürtel und Krawatten wegzunehmen.

Für alle Moralapostel, die leider nur in sehr kleinen Dimensionen denken und nicht an wirkliche Massenmörder wie Albert Speer erinnert werden wollen, der nach seiner Haft sogar noch zum Millionär wurde, habe ich noch einen anderen Vergleich, der zugegeben nicht ganz unpolemisch ist: Nehmen wir die Täter Christian Klar und George Bush. Beide haben Menschenleben auf dem Gewissen. Bei Beiden waren die Verbrechen eindeutig politisch motiviert. Und es verbindet sie auch, daß sie im festen Glauben waren, “Gutes” zu tun, indem sie ihnen verhaßte Politiker und Wirtschaftsrepräsentanten umbrachten, weil sie glaubten, daß es dadurch anderen Menschen besser gehen würde. Christian Klar tötete (unplanmäßig) den Bankier Ponto, der eigentlich entführt werden sollte, und Bush konnte erfolgreich Saddam Hussein aus dem Verkehr ziehen, nachdem er vorher schon seine Söhne umbringen ließ.

Es besteht kein Zweifel darüber, daß beide politischen Verbrecher gegen Recht verstoßen haben. Der Unterschied besteht nur in der Höhe des sogenannten “Kollateralschadens”, womit verniedlichend die Menschen bezeichnet werden, die durch die Taten zusätzlich ums Leben gekommen sind. Bei den RAF-Terroristen (Gesamtopfer: Rund 30) handelt es sich dabei um eine sehr überschaubere Anzahl von Fahrern, Personenschützern, etc., deren Tod man in Kauf genommen hat. Bei George Bush sieht die Bilanz allerdings etwas anders aus, da durch seinen unrechtsmäßig auf Lügen beruhenden Irak-Krieg mehr als 100.000 unbeteiligte Zivilisten getötet und eine weitere Zahl von Menschen unrechtsmäßig inhaftiert und gefoltert wurden. Eigentlich hatte man für solche Kriegsverbrecher das Haager Tribunal eingerichtet. Statt dessen darf Bush im Januar, also im selben Monat, in dem auch Klar das Gefängnis verlassen wird, seinen Amtssitz im Weißen Haus “als freier Mann” verlassen.

Und wo ist da die Empörung? Als Anwalt würde ich jedem politisch motivierten Täter raten, nicht nur ein paar Menschen, sondern gleich ein paar Hunderttausend umzubringen, weil das juristisch einfach “günstiger” ist. Und es gibt noch einen anderen Unterschied zwischen diesen beiden Tätern, denn im Gegensatz zu den Bush- und Cheney-Clans, die sich durch die von ihnen angezettelten Kriege durch ihre Verbindungen zu Öl-Konzernen die Taschen vollstopfen konnten, haben sich die RAF-Terroristen, auch Christian Klar, nicht persönlich bereichert. Aber was zählt das schon, wenn der brodelnde Volkszorn, aufgehetzt durch “Bild” und andere Blätter, unbedingt Leute wie Klar härter als echte Massenmörder bestraft sehen wollen.

Und noch etwas fällt mir dazu ein: Kurz vor der Zeit, als die RAF ihre Straftaten beging, haben junge Talente wie Stefan Aust und Henryk M. Broder im Hamburger Titten-Blatt “St. Pauli Nachrichten” ihre schon fast radikal-linken politischen Pamphlete veröffentlicht. Natürlich würden sie das heute jederzeit “bereuen”, da sie sich inzwischen um 180 Grad gedreht haben, nachdem sie merkten, daß man viel Kohle scheffeln kann, wenn man nicht gegen, sondern für das einstmals so verhaßte kapitalistische System schreibt.

Christian Klar dagegen war schon bei seiner Verhaftung ein kaputter, gebrochener Mann. Und was heute, nach 26 Jahren Haft, von ihm übriggeblieben ist, kann man sich wohl denken. Warum räumt man nur anderen Menschen und nicht auch ihm ein, sich nach einer so langen Zeit geändert, “gebessert” zu haben?

Zitat:
Zitat von Sacki

Ein Mann, der so viele Menschen auf dem Gewissen hat und bis heute keine Reue zeigt und sich vor allem nicht von seinen Taten distanziert, gehört nicht vorzeitig in die Freiheit entlassen.
Auf George Bush und andere Massenmörder bezogen, würde ich dem Satz zustimmen. Allerdings müssen solche politisch motivierten Verbrecher ja nicht einmal eine Verhaftung befürchten. Gemessen an der Zahl der Toten war der Verbrecher Christian Klar im Vergleich dazu ein Eierdieb. Aber die Deutschen sehen sich ja so gern als Opfer, was man am Erfolg solcher filmischen Machwerke wie “Der Untergang” erkennen kann. Ich glaube, daß man auch deshalb immer noch so ein Bohei um die ollen RAF-Kamellen macht, weil die 30 Opfer solcher gemeingefährlichen Leute, die man auch nach 26 Jahren auf keinen Fall entlassen sollte, selbstverständlich viel mehr zählen als die 55 Millionen Kriegstoten und 6 Millionen KZ-Opfer, die andere deutsche politischen Verbrecher auf dem Gewissen haben. Das war zwar nur wenige Jahrzehnte vor der RAF. Und doch möchten wir diese Zeit am liebsten verdrängen.

Da paßt es gut, unsere kollektive Wut an einen wie Christian Klar abzulassen. Dagegen haben wir dem netten Nachbarn, einem tapsigen alten Tattergreis, längst verziehen, daß er als junger Mann der SS angehörte und ein sadistischer KZ-Aufseher war. Außerdem hat er dafür ja auch nach ‘45 ein paar Monate gesessen. Und überhaupt: Irgendwann sollte endlich mal Schluß damit sein, den früheren Nazis auch heute noch ihre Verbrechen anzulasten! Steht zwar nicht wörtlich so in der "Bild", aber an den Stammtischen wird man sicherlich zustimmend nicken.

Gruß Ben