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7. July 2005, 10:57   #8
tw_24
 
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Zitat von Ben-99
Oder denkst Du etwa, daß die anderen Reporter alle lügen?
Das weiß ich sogar, denn ich habe es in diesem einen komischen Wochen-Blättchen aus Hamburg gelesen, welches sich so überaus allwissend "das deutsche Nachrichten-Magazin" nennt, von Dir gern zitiert wird und, kaum zu glauben, sogar ein paar Leutchen nach Bagdad an die Front geschickt hat, deren überaus gefährlicher Einsatz, auf den konkreten Ort komme ich gleich, offenbar sehr teuer ist - anders ist wohl kaum die Preiserhöhung um mehr als 13 Prozent (oder eben 40 Cent) in dieser Woche zu erklären, immerhin soll dadurch ja "die Qualität des SPIEGEL" zwar nicht gesteigert, aber immerhin erhalten werden.

Was also macht der normale ausländische Journalist - der des SPIEGEL natürlich ganz beispielhaft -, der nach Bagdad entsandt wurde, um knallhart recherchierte Berichte für die stets auf Niederlagen der bösen Amerikaner hoffende Heimatfront zu liefern, im Normalfall? In der Hausmitteilung vom 27. Juni ist nachzulesen: "Ausländische Journalisten verlassen in Bagdad nur noch in Ausnahmefällen ihre gutbewachten Hotels".

"Nur noch in Ausnahmefällen", es steht schließlich im SPIEGEL und muß daher stimmen, also werden Journalisten (Augen-)Zeugen dessen, was sie den Daheimgebliebenen berichten, sofern es überhaupt stattfindet und nicht nach dem Genuß einiger Drinks an der Bar der "gutbewachten Hotels" phantasievoll erfunden wird. Die SPIEGEL-Abordnung jedenfalls fuhr - zweifellos ein Ausnahmefall - doch einmal durch Bagdad.


Trümmerwüste Bagdad: Einheimische auf der Flucht


"In einem unscheinbaren Kleinwagen und in Gesellschaft einiger Sicherheitsleute fuhren sie an ausgebrannten Häusern und notdürftig zugeschaufelten Bombentrichtern vorbei" und, wie sollte es auch anders sein, "hatten Mühe", einen Beleg für "ein wenig Optimismus" zu finden, den der demokratisch legitimierte Staatspräsident Dschalal Talabani, ein Kurde, "zu verbreiten" sich vergeblich abmühte, denn was SPIEGEL-Enthüller schon im Normalfall an der Hotel-Bar nicht sehen wollen, können sie auch im Ausnahmefall nicht entdecken. Niemals.

Entsprechend muß dann also Bagdad zumindest im SPIEGEL in eine Trümmerwüste verwandelt werden, in der wahrscheinlich nur noch ein paar Hotels für die ängstlichen ausländischen Journalisten einigermaßen heil herumstehen, von irgendwie intakter anderer Infrastruktur jedenfalls wußten die SPIEGEL-Beobachter nichts zu berichten, die aber ohnehin nicht ganz da gewesen sein können, denn wie sie ausgerechnet "in Gesellschaft einiger Sicherheitsleute" ihren Tip beherzigen wollen, man müsse "vor allem darauf achten, möglichst unauffällig zu sein", ist ein Rätsel.

Kein Rätsel dagegen ist, was von der Berichterstattung des SPIEGEL zu halten ist - ungefähr gar nichts, denn es kann Hotel-Journalismus, wie er laut SPIEGEL-Fachurteil auch bei anderen Medien Standard ist, gar nicht zuverlässig sein. Wenn dann doch einmal der Ausnahmefall eintritt und mit Dschalal Talabani sich ein alter Haudegen zu einem Interview hergibt, dann müssen die Worte des Mannes, der den Irak besser kennt als jeder SPIEGEL-Journalist, per Hausmitteilung - "hatten Mühe" - angezweifelt werden, denn der Leser weiß ja bekanntlich sowieso "mehr", auch daß Bagdad eigentlich in Trümmern liegt.


"Ausgebrannte Häuser", "Bombentrichter", streikende Ampeln ...


Wo SPIEGEL-Reporter nach eigener Auskunft der gefährlichen Lage wegen freilich nur weitergeben können, was sie sich im bewachten Hotel ausdenken oder ihnen, die sowas mit Sicherheit gar nicht überprüfen wollen, zugetragen wird, scheint wiederum die Recherche vor Ort für Vertreter des britischen Observer weitaus weniger gefährlich zu sein, als die deutschen Berufskollegen es berichten, so daß er zur Quelle gerät für all die, die sich nicht aus dem Hotel oder ihren heimischen Schreibstuben wagen - es sei denn, sie schilderten die Lage korrekt.

Dann allerdings müßten die Observer-Enthüllungen reine Erfindung sein, denn wer Nachforschungen im Irak zu einer solchen, nicht ganz unproblematischen Thematik anstellt, müßte sich wohl nicht nur vor kriminellen Heckenschützen und Entführern, die hierzulande "Aufständische" genannt werden, fürchten, sondern zugleich noch vor den geheimen Todesschwadronen der irakischen Regierung, die ja doch überhaupt kein Interesse daran haben dürften, durch derlei Enthüllungen diskreditiert zu werden. Vielleicht stimmt tatsächlich keine Zeile des Observer, denn laut SPIEGEL gibt es in Bagdad nur "ausgebrannte Häuser" und "notdürftig zugeschaufelte Bombentrichter" und keine irgendwie berüchtigte 7. Etage eines Innenministeriums.

Dabei bezweifle ich doch gar nicht, daß im Irak in Einzelfällen die Dinge nicht so laufen, wie sie es sollten. Der beste Beweis dafür sind ja gerade die nicht alltäglichen Berichte über weniger akzeptable Erscheinungen etwa des Strafvollzugs. Da werden nämlich in der Tat auch mal neugierige Passanten als 'Terroristen' verhaftet, die sich näher für die Überreste eines von "Aufständischen" im Rahmen ihres "Widerstands" gesprengten Kiosks interessieren, und landen für ein, zwei Tage grundlos hinter Gittern, bevor ein Richter erscheint sie wieder entläßt. Wenigstens die Verpflegung aber soll, so ein Bekannter, dem es widerfuhr, stimmen: "Just few minutes I was there then it was launch time, the launch was rice, bean sauce and chicken, one of prisoners complained saying oh my god chicken chicken why they just don't change!"


Ausgebombter Zeitungsleser sucht eine neue Unterkunft ...


"Still it's hard people to believe me, each time I tell my story here since prisoners food at Saddam time was merely water, bread and sometimes rice. After the launch there was tea and orange, and this is as they told me all from the seven dollar for each prisoner a day allowanced by the U.S army - even though they were complaining of the food taste, I myself didn't eat anything so can't tell why [..] The ironic thing is that I was not arrested by the old regime, instead I was arrested by this government which I defended ... I know the real one to blame is me, at Saddam time if such accident occurred I would walk at the opposite side, expecting that all the people near it will be arrested, not just walking there stupidly."

Wenn nun der Observer und der Abschreiber des Hamburger Abendblatts meinen, es herrschten im befreiten Irak ähnliche Zustände wie in Zeiten der faschistischen Baath-Diktatur des Saddam Hussein, so liegen, trotzdem sie von einzelnen Fällen berichten, mächtig falsch. Wäre, was sie herausgefunden haben wollen bzw. abschreiben, Alltag, hätten die Verantwortlichen zweifellos auch die Macht, sie zum Schweigen zu bringen. Daß dies nicht geschieht, sondern sogar die irakische Regierung, unter UNO-Aufsicht demokratisch gewählt, Untersuchungen der Vorfälle und mögliche Sanktionen ankündigt, ist ein weiterer Beleg für den Fortschritt in dem befreiten Land.

Wer foltert, der hat eben nichts zu suchen in den Reihen der neuen Sicherheitskräfte, zumal einige Mitglieder der gewählten Regierung auch selbst ganz gut wissen, was Folter heißt. Doch auch in anderer Hinsicht ist der von den ausländischen Beobachtern angestellte Versuch, die gegenwärtige Situation im Irak gleichzusetzen mit dem, was unter Saddam Hussein Normalität war. Für letztere nämlich interessierten sich vor allem die vielen Friedenstauben herzlich wenig, für kein Opfer Saddam Husseins gingen sie zur Demo. Aber nun glauben sie felsenfest daran, daß im Irak eigentlich nichts sich geändert habe und sind - empört.


(Un-)Kultur-Imperialismus


Doch solche Empörung entlarvt sich selbst, sie ist sogar überaus lächerlich. Denn wer keine Träne zu vergießen bereit war für 'verschwundene' Gegner der Baath-Diktatur, die selbst ins Ausland geflüchtete Dissidenten noch ermordete, gerade dieses Regime durch Demonstrationen für Friede, Freude und Saddam Hussein zu verlängern suchte, kann doch jetzt nicht glaubwürdig darüber klagen, daß sich - angeblich - keine positive Veränderung der Lage der irakischen Bevölkerung eingestellt habe. Schlimmstenfalls sind doch nur die Folterknechte andere, warum also plötzlich die ganze Aufregung? Sind Saddam Husseins Opfer etwa wertloser als jene, die es nun geben soll und die, gibt es sie, nicht namenlos 'verschwinden'?

Und wenn die aktuelle Situation im Irak tatsächlich so schlecht sein sollte, wie sie Hotel-Journalisten sich ausdenken (müssen), sie deshalb Gegenstand von Protesten ist, welche eine Besserung einfordern, die es zwar ohnehin gibt, aber einfach standhaft ignoriert wird, bliebe eben rückblickend zu fragen, weshalb so zahlreich auf die Straße gegangen wurde mit dem Ziel, dem Baath-Regime die verdiente Niederlage zu ersparen und die irakische Bevölkerung ihm ungerührt weiterhin auszuliefern, denn darauf lief ja hinaus, was die Friedenstauben all over the world sich wünschten, die aber spätestens seit der Wahl im Januar ein echtes Legitimationsproblem haben, zeigte doch allein die Wahlbeteiligung, daß sie für die falsche Seite demonstrierten und protestieren.

Nachdem zu Wochenbeginn auch hierzulande ruchbar wurde, daß es mitten in Old Europe, nämlich in der französischen Hauptstadt Paris, seit 2002 eine "Alliance Base" gibt, eine Plattform zur Zusammenarbeit mehrerer Geheimdienste, unter denen auch deutsche zu finden sein sollen, die auf diese Weise im Ausland Dinge erledigen, die ihnen in Deutschland untersagt sind - berichtet wird von Datenaustausch, aber auch Folter -, die öffentliche Aufregung darüber aber beredt unterblieb, darf sowieso ernsthaft daran gezweifelt werden, daß es jenen, die über angebliche Opfer im Irak jammern, tatsächlich um diese geht. Es bahnt sich ein formidabler Skandal mehr oder weniger direkt vor ihrer Haustür an, doch sie bleiben daheim. Brave Staatsbürger.

MfG
tw_24