Thema: Naher Osten
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16. July 2002, 15:22   #6
tw_24
 
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@ quentin: Ich habe doch noch gar nichts gasagt ;-). Das tue ich aber jetzt.

jupp11s Einschätzung der Lage ist unbedingt zuzustimmen, allerdings halte ich den Bericht nicht für einen von der "nüchtern" formulierten Sorte, weil er alles andere ist als objektiv - aber doch recht guter Boulevard-Journalismus, der über das Herz, über Gefühle Stimmungen erzeugt.

Namentlich werden Palästinenser ausschließlich als zivile Opfer erwähnt - nur einmal wird überhaupt von palästinensischen "Terroristen" gesprochen, während umgekehrt die israelische Armee ausschließlich in negativem Kontext dargestellt wird.

Die Einseitigkeit läßt sich an Sätzen festmachen wie diesem: "Im Westjordanland sind eine halbe Million Zivilisten ins Schussfeld zwischen palästinensischen Kämpfern, Terroristen und der israelischen Armee geraten." An sich ist der Satz zwar nicht falsch, doch wenn an keiner Stelle darauf hingewiesen wird, daß umgekehrt Millionen Israelis - Juden, Christen, Atheisten, Araber - zu potentiellen Zielen bzw. Opfern der 2. Intifada erklärt wurden, bekomme ich gewisse Bauchschmerzen, zumal auch die nackten Zahlen eine recht deutliche Sprache sprechen: da herrscht nämlich bei "zivilen" Opfern beinahe Gleichstand - 568 tote Palästinenser zählte das israelische Institut für Terrorforschung (www.ict.org.il) bis Mitte Juni und 452 getötete israelische Zivilisten, wobei selbst Steinewerfer (kriegsvölkerrechtlich wären sie wohl als Kombattanten legitime Ziele) noch als Zivilisten gezählt wurden bzw. werden.

Und da wären wir dann auch beim entscheidenden Unterschied zwischen dem zweifellos völkerrechtlich illegalen Vorgehen der israelischen Armee und dem kriminellen Handeln der Terroristen: Die israelische Armee hat sich nicht in erster Linie das Töten von Zivilisten auf die Fahnen geschrieben, die auch von Arafats Autonomiebehörde unterstützten fundamentalistischen Terrororganisationen dagegen ermorden bewußt und mit Vorsatz Menschen, die nicht der israelischen Armee angehören. Selbstmordattentäter wissen, wer ihr Opfer wird, die israelische Armee dagegen zielt auf Terroristen und trifft (bewußt!?) manchmal nicht so genau - gelegentlich aber eben doch. "Zivilisten als Opfer Minister Vilnai will nur 'bedauerliche Einzelfälle' zugeben." schreibt die Autorin des Berichts, daß Zivilisten regelmäßig und beabsichtigt Opfer von Anschlägen in Israel werden, fällt unter ihren Schreibtisch.

Darauf geht der Bericht - wenn überhaupt - nur mit sehr wenigen Worten ein. Die Situation in Israel, die ständige Bedrohung, Opfer eines Anschlags werden zu können, wird nahezu völlig ausgeblendet. Eine solche Analyse der Situation in Israel wäre in meinen Augen einfach notwendig, denn die israelische Armee besetzt palästinensische Gebiete nicht als Selbstzweck. Es geht auch darum, weitere Selbstmordattentate zu verhindern, die in diesem Konflikt ja eine völlig neue Qualität von Gewalt darstellen, auf die es eigentlich keine Antworten mehr gibt. Die Täter, die sich als lebende Bombe in die Luft jagen, kann man nicht mehr nach ihren Motiven befragen, und bestrafen kann man sie schon gar nicht mehr. Die israelische Regierung handelt in dieser Situation aus einer Position der Hilflosigkeit (meinetwegen auch Rat- oder Ahnungslosigkeit) heraus.

Die Intifada #2 will einfach nur zerstören, vernichten, verletzen oder ermorden. Ein irgendwie positives Ziel ist da nicht zu erkennen, und das macht es auch ausgesprochen schwer für die Regierung Scharon, irgendeine zivile Konfliktlösung anzustreben. Mit "normalen" Terroristen, die an ihrem Leben hängen, kann man vielleicht verhandeln, mit menschlichen Bomben aber nicht. Und das ist ein Riesenproblem, das die Autorin des Berichts aber gänzlich ignoriert.

MfG
tw_24