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24. June 2003, 15:54   #1
Akareyon
 
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[Rezension] Harry Potter and the Order of the Phoenix

Am 21. Juni kam der langerwartete und mit aller Vorfreude ersehnte fünfte Band von J.K. Rowling heraus - und am 21. Juni, um ca. 10 Uhr morgens, bimmelte der Postmann bei mir an und übergab mir das schwere Buch.

Wie würde es weitergehen? Der vierte Band, "The Goblet of Fire", endete mit der Reinkarnation von Lord Voldemort und der Wiedervereinigung der Death Eaters. Und versprach das letzte Kapitel, "The Beginning", noch, daß es jetzt erst richtig losgeht, daß der Krieg der Zauberwelt gegen die Pläne des dunklen Herrschers begonnen hat, werden am Anfang des neuesten Buches schon ernüchterndere Töne angeschlagen.

Denn, wie schon im vierten Buch anklang, schenkte Cornelius Fudge, der Magieminister, den Worten Harrys trotz der Verteidigung durch Dumbledore nicht allzuviel Glauben. Resultat ist, daß Harrys Rückkehr nach Hogwarts sich sowohl schwieriger gestaltet als vorgesehen als auch im Resultat weniger erfreulich als sonst. Der Daily Prophet macht Harry zur unglaubwürdigen Witzfigur, Dumbledore beachtet ihn kaum, eine neue Defence against the Dark Arts-Lehrerin versucht mit Rückendeckung unsinniger Erlasse des Ministeriums, die Schule nach ihren eigenen Plänen umzugestalten, macht Harry und seinen Freunden das Leben zur Hölle und sieht sich dem Hass fast aller Schüler, Lehrer und sonstigen Angestellten (ausgenommen Hausmeister Filch und die Gruppe um Draco Malfoy) ausgesetzt. Und auch mit Ron und Hermione funktioniert anfangs nicht alles nach dem Prinzip FriedeFreudeEierkuchen. Und als selbst der Sortierhut bei seiner Willkommensansprache in heftige Orakeleien ausbricht, wird klar: Rowling geht einen Schritt weiter.

Schluß mit putzig geht es in dem Roman weiter und nimmt düsterer und brutaler werdenden Erzählstrang des vierten Bandes auf. Vorbei die Zeiten, in denen einfach bloß Harrys Armknochen verschwanden. Jetzt fließt Blut. Natürlich kommen die Kabbeleien zwischen Ron und Hermione nicht zu kurz, Rons schnippische Kommentare sorgen dafür, daß man um zwei Uhr Nachts in sein Kissen beißt, um nicht lauthals loszulachen und Snape gibt sich weiterhin alle Mühe, das Vorbild aller böse dreinschauenden Möchtegernarschlöcher mit zarter Seele zu sein. Wie auch sonst werden einige wenige neue Charaktere und Zaubereien eingeführt, alte wieder in Erinnerung gerufen, ohne das Universum unnötig und unglaubwürdig auszudehnen. Wie auch sonst begleiten wir unsere Protagonisten durch langweilige Schulstunden, heftiges Büffeln über ihren Lehrbüchern und der einen oder anderen verbotenen Aktion, die sich in ihrer Gesamtheit wie Puzzlestücke zu einem furiosen Finale zusammensetzen.

Manchmal gar schimmern leichte Andeutungen durch - wenn Trelawney beispielsweise in Tränen über das Establishment ausbricht und das Trio rund um Harry subversive Zellen gegen das System bildet, Dumbledore gar selbst zum Aussenseiter Rebellen gegen die Offiziellen wird. Und einmal meine ich einen klitzkleinen Seitenhieb in Richtung der Warner-Bros.-Marketingmaschinerie entdeckt zu haben; von der Art, wie Hermione (Hermine) im vierten Band erklärt, wie man ihren Namen richtig ausspricht, weil viele Leser das wohl nicht auf die Reihe bekommen haben.

Rowling schafft es auch diesmal, auf falsche und halbrichtige Fährten zu führen, erahntes zwar teilweise, ganz anders wahr werden zu lassen, begeht nicht den Fehler, mit aus der Luft gegriffenen Wendungen den Plot herumzureissen wie in den letzten beiden Büchern. Die Geschichte ist spannend erzählt, hinterläßt keinen bitteren Beigeschmack über ungeklärtes, fesselt und treibt voran.

Harry büßt viel von seinem Superhelden-Image ein und gewinnt dabei an Menschlichkeit. Abgesehen von seinen pubertären Anwandlungen und Befindlichkeiten mit Bezug auf Cho Chang kämpft er mehr als einen inneren Konflikt aus - mißverstandenes, leidendes Opfer? Kleiner Egomane? Oder einfach ein fünfzehnjähriger, der mit all der Verantwortung, seinem Wissen und den Erfahrungen der letzten vier Jahre nicht klarkommt?

Es gibt keinen Cliffhanger, doch das Ende ist offen - gleichzeitig nacht das Ende. Es wird weitergehen, der Rest der Geschichte wird in zwei weiteren Büchern erzählt werden.

9/10