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15. November 2005, 10:59   #5
tw_24
 
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Der Gutmensch ist wahrscheinlich eine Erfindung rechtstickender Kameraden, die damit zunächst alle meinten, die Dinge tun, die aus ihrer Sicht alles andere als gut sind, gelegentlich wurde der Gutmensch auch als Synonym für Jude benutzt, um so eine - meistens freilich nur eingebildete - Zensur zu umgehen.

Gutmenschen dürften recht häufig in rechten Pamphleten auftauchen, die sich mit den angeblichen "Verbrechen" der israelischen Verteidigungsarmee befassen, die man nicht kritisieren dürfe, aber auch in Beiträgen über hiesige projüdische/-israelische Aktivitäten und die, von denen sie ausgehen.

Allerdings verblieb der Begriff nicht im exklusiven Besitz der Führer-Erben, sondern fand Eingang auch etwa in Polemiken politisch eher linker Kreise, die von ersteren gern pauschal als "Antideutsche" bezeichnet werden, die indes ihrerseits mit Antideutschen oft nicht viel zu tun haben wollen.

Für Antideutsche nun ist der Gutmensch auch nicht unbedingt jemand, mit dem man gemeinsame Sache machen will, sondern jemand, der - um es zugespitzt zu formulieren - bestenfalls ein wenig naiv ist und daher nur milde belächelt werden kann, schlimmstenfalls jemand, der ganz bewußt alles falsch macht.

Nehmen wir als Beispiel mal den letzten Irak-Krieg. Der war in Deutschland ja bekanntlich alles andere als beliebt, während Antideutsche ihm zustimmten, da sie davon ausgingen und -gehen, daß er der irakischen Bevölkerung die (kapitalistische) Befreiung von jahrzehntelanger (quasi-feudalistischer) Diktatur bringen könnte.

Die Gutmenschen sorgten sich demonstrierend um den Geistezustand des George W. Bush und um Gesundheit und Leben der irakischen Bevölkerung, an der der Krieg natürlich nicht spurlos vorbeigehen würde. Antideutsche Kritik etwa hält dieser Sorge nun entgegen, daß die gleiche Bevölkerung den Gutmenschen gleichgültig war, als sie unter einer massenmörderischen Diktatur zu leiden hatte.

Der gemeine Gutmensch ging (meistens) also mit an sich nichtmal verwerflichen Motiven auf die Straße, machte sich aber dadurch moralisch unglaubwürdig oder zumindest angreifbar, daß er eben nicht mit gleichem Elan auch gegen das Regime Saddam Husseins demonstrierte, also letztlich sich nicht wirklich für die Menschen im Irak interessierte.

Hinzu kam dann noch, daß besonders die Regierungen in Old-Europe ja auch die Friedensengel gaben, es ihnen dabei aber tatsächlich darum ging, die Interessen ihrer jeweiligen nationalen Wirtschaften im Irak des Saddam Hussein zu schützen. Die Gutmenschen aber demonstrierten zusammen mit ihren Regierungen für Weltfrieden, statt sich wenigstens von ihnen als Handlanger des Kapitals zu distanzieren.

Das war eine Dummheit, denn dadurch wurde selbst der aufrechteste Friedensfreund noch zum Demonstranten für all die Unternehmen, die im Irak recht lukrative Geschäfte machten und sich dabei nicht um Menschenrechte scherten. Und so wurden sie eben zu Gutmenschen, denen in mancherlei Hinsicht politische Infantilität bescheinigt wurde durch diesen Begriff.

Es gehört, geht es nach mir, der Begriff freilich eher in eine Polemik denn in einen 'normalen' Zeitschriftenbeitrag, in einem Blatt wie dem SPIEGEL hat er, da er doch sehr polarisierend wirkt und auch wirken soll, nicht unbedingt etwas zu suchen. Es ist eher eine Stil- als eine Niveau-Frage, in ein weichgespültes Mainstream-Medium gehört er nicht, aber beispielsweise auf Flugblättern dagegen hat er schon seine Berechtigung.

MfG
tw_24