Thema: Stichtage
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10. August 2008, 13:51   #223
Jules
 
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10. August 1958: Weltgrößtes Kraftwerk bei Stalingrad eingeweiht

Die leistungsstärksten Kraftwerke der Welt sind immer schon Wasserkraftwerke gewesen. Wasserkraft gilt, verglichen mit den Risiken der Atomtechnologie oder der Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke, als sicher und Klima schonend. Doch die riesigen, künstlich aufgestauten Seen der Wasserkraftwerke stellen eine tief greifende Veränderung des ökologischen Gleichgewichts dar - mit kaum überschaubaren Risiken, wie sich derzeit bereits in der Bauphase des gigantischen Drei-Schluchten-Projekts in China zeigt. Als vor einem halben Jahrhundert in der Sowjetunion das damals größte Kraftwerk der Welt vor der Vollendung steht, sind Debatten über Umweltpolitik noch völlig unbekannt. "Neuer Triumph des kommunistischen Aufbaus" und "USA im Kraftwerkbau überholt", lauten am 10. August 1958 die Schlagzeilen zur Einweihung des Kuibyschew-Kraftwerks in der Nähe von Stalingrad, das 1961 wieder in Wolgograd umbenannt wurde.

Eingeleitet wird der Aufbruch Russlands in die Energie-Moderne bereits 1920. Auf dem 8. Sowjetkongress verkündet Lenin den Delegierten: "Kommunismus, das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes." Ein Kraftwerk nach dem anderen wird aus dem Boden gestampft. 1935 ist die Stromproduktion bereits um das 50-fache gestiegen und wird bis zum Einmarsch von Hitlers Armeen 1941 noch einmal verdoppelt. Viele der Anlagen, zumeist Wasserkraftwerke, werden im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt oder zerstört. Angeheizt durch den Kalten Krieg entflammt der Energiehunger der UdSSR erneut. Die Ziele heißen: Erschließung des asiatischen Ostens und völlige Energie-Autarkie. Atomkraftwerke entstehen, in Sibirien werden die riesigen Öl-, Gas- und Kohle-Ressourcen angezapft und auch die unendliche Kraft von Europas längstem Strom, der Wolga, wird erschlossen. Entlang der 3.534 Flusskilometer werden nicht weniger als neun Wasserkraftwerke gebaut, von denen das letzte mit 22 Turbinenhäusern, einer fünf Kilometer langen Staumauer und einem Stausee, neun Mal so groß wie der Bodensee, die gewaltigsten Dimensionen erreicht.

Nach vierjähriger Bauzeit kann das Wasserkraftwerk von Kuibyschew 1955 abschnittsweise, Turbine für Turbine, die Stromproduktion aufnehmen. 500 Milliarden Kilowattstunden wird es in den nächsten 50 Jahren produzieren. Doch Klima-Unterschiede bis zu 70 Grad und das Wasser der Wolga verursachen gefährliche Löcher in den Beton der Stau-Anlagen. 1999 wird den russischen Kraftwerk-Betreibern nach einer Havarie im Inneren von Turbine 16 klar, dass sie auf technologische Unterstützung aus dem Westen nicht mehr verzichten können. So kommt es, dass heute ausgerechnet im ehemaligen Stalingrad deutsche Spezialisten Seite an Seite mit russischen Ingenieuren an der Sanierung des verwitterten Kraftwerks arbeiten. Das Verfüllen der Löcher im Beton der Staumauer, tief unter der Wasserlinie, hat ein Spezialunternehmen aus Bottrop übernommen. Seine Stellung als weltgrößtes Kraftwerk hat die gigantische Anlage längst eingebüßt. Der chinesische Drei-Schluchten-Damm fällt sieben Mal so groß aus wie der frühere Rekordhalter in der Steppe bei Wolgograd.

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