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4. January 2006, 13:36   #35
Jules
 
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04. Januar 1947: Die erste Ausgabe „Der Spiegel“ erscheint in Hamburg

Der Spiegel ist eine der bekanntesten Wochenzeitschriften Deutschlands. Er bezeichnet sich selbst als „Deutschlands bedeutendstes und Europas auflagenstärkstes Nachrichtenmagazin“. Im Durchschnitt werden pro Woche annähernd 1,1 Millionen Exemplare verkauft.

Weitgehend anerkannt war der Spiegel einst als Organ des investigativen Journalismus.

Geschichte des Magazins

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurde von Lion Feuchtwanger in München eine Zeitschrift unter dem Namen Der Spiegel herausgegeben, die im November 1908 mit Siegfried Jacobsohns Schaubühne fusionierte.

Die erste Ausgabe des Nachkriegs-Spiegel erschien am 4. Januar 1947, einem Samstag, in Hannover als Nachfolger der Zeitschrift Diese Woche. Die Zeitschrift folgte dem Muster US-amerikanischer und britischer "News Magazines". Einige junge deutsche Redakteure, angeführt von Rudolf Augstein, versuchten die Forderungen nach kritischem und seriösem Journalismus zu erfüllen und ersparten auch den Alliierten keine Kritik. Die Regierung in London und die drei anderen Besatzungsmächte protestierten gegen diese Form der Aufklärung und entledigten sich des Magazins, indem sie Diese Woche an die Deutschen abgaben.

Rudolf Augstein erhielt die Verlegerlizenz und benannte das Magazin in Der Spiegel um. Von der ersten Ausgabe im Januar 1947 an war er Herausgeber und Chefredakteur. Die Zeitschrift erschien im hannoverschen Anzeigerhochhaus. Tätig als Herausgeber blieb er bis zu seinem Tode am 7. November 2002, doch firmiert er noch immer als offizieller Herausgeber. Derzeitiger Chefredakteur ist Stefan Aust. Austs Vertrag wurde 2004 zwar um weitere fünf Jahre verlängert, doch konnte die Erbengemeinschaft erreichen, dass ihm schon nach drei Jahren gekündigt werden kann.

Der Spiegel-Verlag

Der Verlag hat seit 1952 seinen Sitz in Hamburg in der Brandstwiete und produziert neben dem Hauptblatt dort auch das Manager-Magazin. Augstein verfügte in seinem Testament Ende 2002, dass seine Erben keine Sperrminorität von 25 % haben dürfen und kürzte daher ihren Einfluss um ein entscheidendes Prozent. 50,5 % der Anteile an der Verlags-Holding "Rudolf Augstein GmbH" sind nun im Besitz der Kommanditgesellschaft der Mitarbeiter. Über die restlichen 25,5 % der Holding verfügt der Hamburger Medienkonzern Gruner und Jahr, eine Tochter der Bertelsmann AG.

Entwicklung

Gebäude der Spiegelgruppe in HamburgDas Magazin war von Anfang an umstritten, bereits in der Gründungsphase kam es zu Konflikten mit der britischen Lizenzierungsstelle.

Der Spiegel besaß schon in der Früh- und Konstituierungsphase einen relativ großen Einfluss. Nach der Spiegel-Affäre weitete sich der Einfluss aus; durch die massiv gestiegene Auflage nahm die wirtschaftliche Macht zu, wodurch auch die publizistische Macht und der politische Einfluss stieg. Die Spiegel-Affäre 1962 führte dazu, dass weite Kreise, im besonderen Angehörige der jungen Generation und der kritischen Intelligenz, sich für das Wochenmagazin und damit für die Presse- und Meinungsfreiheit engagierten (Peter Glaser).

In der Ära Christian Schultz-Gersteins hatte der Kulturteil des Magazins seinen Höhepunkt.

Nach dem Erscheinen des Konkurrenzmagazins Focus kam es zu deutlich wahrnehmbaren Veränderungen; der journalistische Einfluss jedoch wurde bisher nicht wesentlich verändert. Focus wurde bewusst als Gegenpol und Alternative zum Spiegel konzipiert; nachweisbar ist dies insbesondere an der politischen Linie und dem vergleichsweise schonenden Umgang mit den Anzeigenkunden. Uli Baur, neben Helmut Markwort Chefredakteur von Focus, fasste die redaktionelle Linie von Focus unter Bezugnahme auf das bekannte Augstein-Wort (...im Zweifelsfalle links) deutlich zusammen: „Wenn Der Spiegel im Zweifel links ist, sind wir im Zweifel rechts“.

Seit Mitte der 90er Jahre, unter dem Chefredakteur Stefan Aust und möglicherweise auch unter dem Eindruck der Konkurrenz, wird von Beobachtern eine Hinwendung des Spiegels zu neoliberalen Standpunkten verzeichnet. Gleichzeitig wird dem Blatt teilweise vorgehalten, boulevardesker geworden zu sein, wobei die Artikel weiterhin in Länge und Neuigkeitswert nicht wesentlich verändert worden sind.

Eine Umfrage unter 1.536 deutschen Journalisten im Frühjahr 2005 ermittelte, dass lediglich noch 33,8 % das Blatt für ihr Leitmedium halten, während für die Süddeutsche Zeitung 34,6 % votierten (Focus 4,6 %). 1993 hatten noch zwei Drittel der befragten Journalisten für den Spiegel als Leitmedium gestimmt.

Chronologie

November 1946: Der Spiegel-Vorläufer, Diese Woche, erscheint unter britischer Lizenz und verkauft sich sehr gut; Auflage: 1.500.
4. Januar 1947: Der Spiegel, Ausgabe 1, erscheint in Hannover. Wieder reißender Absatz, Verkauf wird durch britische Papierzuteilungen begrenzt; Auflage: 15.000.
1949: Der Spiegel-Statut.
1950: so genannter Spiegel-Ausschuss: Aufdeckung von Bestechung bei Bundestags-Abgeordneten; Abstimmung für Bonn statt Frankfurt am Main als Bundeshauptstadt; Vernehmung von Augstein als Zeuge, Berufung auf journalistische Schweigepflicht über die vertraulichen Quellen der Information.
Schmeißer-Affäre 1952: Hans Konrad Schmeißer, ehemaliger Agent im französischen Geheimdienst, hatte behauptet, Bundeskanzler Adenauer, Ministerialdirektor Blankenhorn und Generalkonsul Reifferscheid seien für den französischen Geheimdienst tätig gewesen und hätten einen französischen Agenten mit geheimen Nachrichten versorgt (Spiegel, Nr. 28/1952).
1956/57: Hans Magnus Enzensberger Analyse über Die Sprache des Spiegel
1958: Beginn der Debatte um die Notstandsgesetze, aus der später (1960, 1963, 1965) verschiedene Gesetzentwürfe des Innenministers Gerhard Schröder (CDU) hervorgingen.
1961: Tatsächlich verbreitete Auflage: 437.000 Exemplare.
10. Oktober 1962: Bedingt abwehrbereit (basierend auf Fallex 62) erscheint in Der Spiegel Nr. 41, und löst die Spiegel-Affäre aus.
26. Oktober 1962: Durchsuchung des Spiegel-Verlags in Hamburg und der Redaktion in Bonn; Haftbefehle; Vorwurf: Verdacht des Landesverrats, der landesverräterischen Fälschung und der Aktivbestechung.
7. November 1962: Abgrund von Landesverrat im Lande (Adenauer im Bundestag)
9. November 1962: BVerfG, Urteil: Keine einstweilige Anordnung
1963 Franz-Josef Strauß: Sie sind die Gestapo im Deutschland unserer Tage [...] Ich war gezwungen, gegen sie zu handeln.
1966: Karl Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik; Jaspers übt scharfe Kritik an den Notstandsgesetzen, die der Bevölkerung im Falle eines äußeren Notstandes keine Wahl ließen, sich Gewalt und Macht zu verweigern. Ein innerer Notstand könne überhaupt nicht eintreten, weil dies dem Gedanken eines demokratischen Staats zuwiderlaufe: Das Notstandsgesetz raubt dem Volk die ihm verbliebenen legitimen, dann aber nicht mehr legalen Mittel des Widerstands.
5. August 1966: Spiegel-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts; Verfassungsbeschwerde des Spiegel scheitert.
1968: Die Notstandsgesetze werden Teil des Grundgesetzes.
1969: Tatsächlich verkaufte Auflage: 953.000 Exemplare.
DER SPIEGEL beschäftigt Anfang der 70er Jahre knapp 900 Beschäftigte, davon rund 400 in der Redaktion, 100 in der Dokumentation sowie knapp 400 in den kaufmännischen und technischen Abteilungen.
1970: Gründung des manager magazins, das von einer Tochtergesellschaft der Spiegel-Gruppe herausgegeben wird.
1971/72: Mitbestimmungsmodell und mehr Demokratie innerhalb der Redaktion; Gewinnbeteiligung; Rückgang der Einnahmen aus Anzeigen.
1971: Anzahl der Leser: ca. 6 Millionen - dies entspricht rund 12 Prozent aller in der BRD und Berlin-West lebenden Menschen über 14 Jahre.
Anteil der Auslandsauflage an der Gesamtauflage: 10-15 Prozent - Der Spiegel ist eine Publikation mit intensiver Rezeption im Ausland.
Tatsächlich verkaufte Auflage: 923.000 Exemplare.
1974 Willy Brandt: Ein Scheißblatt.
1975: Ausweisung eines Korrespondenten wegen böswilliger Verletzungen der Rechtsvorschriften der DDR.
1978: Schließung des Büros in der DDR nach einer kritischen Berichterstattung über Zwangsadoptionen, die als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR ausgelegt wurde.
1980er Jahre: Höhepunkte des investigativen Journalismus':
1982: Flick-Affäre.
1982: Neue Heimat-Affäre.
1987 Barschel-Affäre (Waterkantgate): Die Republik schuldet dem Spiegel Dank für diese Aufdeckung (Theo Sommer in der ZEIT).
1988: Coop-Affäre.
1989 Erich Honecker: „Ja, Der Spiegel ist ein gutes Blatt, les' ich jeden Montag“.
1990: Mit 1.050.000 Exemplaren überschreitet die tatsächlich verkaufte Auflage erstmals die Millionengrenze.
1992 Antje Vollmer: „Am Ende der Ära Augstein hat Der Spiegel an Bedeutung verloren und an Macht gewonnen“.
18. Januar 1993: Erstausgabe von Focus erscheint, einer hundertprozentigen Tochter von Burda; "Konkurrenz-, nicht Gegenmedium zum Spiegel" (Helmut Markwort). Der Spiegel leidet unter einem Auflagenminus von über 10% und einem Rückgang der verkauften Anzeigenseiten um über 12%.
1995: Anzahl der Leser: über 7 Mio.
Diversifikation: Spiegel-TV, Spiegel Special (1/5 des Umsatzes von 1996, 542 Mio. DM).
DER SPIEGEL war im ersten Halbjahr 1996 die deutsche Zeitschrift mit den höchsten Einnahmen aus Vertrieb und Anzeigen; erzielt wurden Bruttoeinnahmen von 330,74 Mio. DM, das ist knapp eine Mio. mehr, als der Stern (Platz 2) erzielen konnte und liegt ebenfalls noch vor Bild am Sonntag (Platz 3) und Focus (Quelle: Kress Report).
Januar 1997: 50. Geburtstag (= 2.649 Ausgaben).
Aktualisierung des Layouts: erscheint durchgehend farbig.
7. November 2002: Tod des Herausgebers Rudolf Augstein
6. August 2004: Gemeinsam mit der Axel Springer AG verkündet der Verlag, zur alten deutschen Rechtschreibung zurückkehren zu wollen, wie sie zuletzt im Duden des Jahres 2000 niedergelegt wurde. Eine Umsetzung dieser Ankündigung scheint jedoch nicht geplant.
9. August: Zum ersten Mal erscheint eine Ausgabe mit verschiedenen Titelblättern. Auf dem Cover des Magazins ist ein Würfel zu sehen, der in acht verschiedenen Versionen ausgeliefert wird. Die drei sichtbaren Flächen des Würfels zeigen jedes Mal jeweils eine andere Augenzahl. Gemäß dem Titelthema „Prinzip Zufall“ wird diese Ausgabe (33/2004) nach dem Zufallsprinzip verteilt, sodass niemand vorher weiß, welche Ausgabe er bekommt.
24. Oktober: Der SPIEGEL existiert ab jetzt auch als E-Paper, als digitale Ausgabe, die völlig gleich zur Print-Ausgabe ist.
4. Juli 2005: Der Spiegel kostet jetzt 3,40 € (Abonnement 3,20 €).
Am 2. Januar 2006 wurden die Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung umgesetzt.

Chefredakteure

1960er – Ende der 1980er: Johannes K. Engel
1962 – 1968: Claus Jacobi
1969 – Januar 1973: Günter Gaus
1973 – 31. Dezember 1989: Erich Böhme (zusammen mit Engel und Funk)
1986/87 – 10. Juli 1991: Werner Funk (zunächst zusammen mit Böhme, dann mit Kilz)
Anfang 1990 – 13. Dezember 1994: Hans Werner Kilz (zunächst zusammen mit Funk, dann mit Kaden)
Mitte Juli 1991 – 1. August 1994: Wolfgang Kaden (zusammen mit Kilz)
seit 16. Dezember 1994: Stefan Aust

Spiegel Online

Spiegel Online wurde 1994 gegründet. Sie gehört zusammen mit Manager Magazin Online zur SPIEGELnet AG, einer hundertprozentigen Tochter. Die Beiträge erstellt ein eigenes Redaktionsteam, manche werden von den Nachrichtenagenturen übernommen. Einige Artikel der Printausgabe sind auch online verfügbar. Seit 2000 fährt Spiegel Online einen strikten Sparkurs. Autoren werden nicht nach „Spiegel-Tarif“, sondern nach dem eigenen „Spiegel-Online–Tarif“ bezahlt. Seit 2002 sind Abrufe von Archiv-Beiträgen kostenpflichtig.

Online sind mit Ausnahme des Titelthemas Teile des späteren gedruckten Spiegel kostenlos verfügbar, (nicht zu verwechseln mit dem kostenpflichtigen E-Paper). Diese Artikel erscheinen in der folgenden Woche auch im gedruckten Magazin.

Chefredakteur ist der Journalist Mathias Müller von Blumencron.

Der Spiegel in der Kritik

1956/57, rund zehn Jahre nach der Gründung des Spiegel, verfasste Hans Magnus Enzensberger eine kritische Analyse über Die Sprache des Spiegel, in der er eine Reihe von Thesen aufstellte: Die Sprache des Spiegel verdunkele, wovon sie spreche, Das deutsche Nachrichtenmagazin sei kein Nachrichtenmagazin, der Spiegel übe nicht Kritik, sondern deren Surrogat, der Leser des Spiegel werde nicht orientiert, sondern desorientiert. Diese kritische Einstellung revidierte Enzensberger auch nach der Spiegel-Affäre nicht; er sah das Magazin weiterhin als latentes Gefahrenpotential für die deutsche Demokratie. Dennoch hatte er in den 50er Jahren betont, der Spiegel sei unentbehrlich, solange es in der Bundesrepublik kein kritisches Organ gebe, das ihn ersetzen könne.

Ein sehr distanziertes Verhältnis zu Der Spiegel und seinem als „Häme“ bezeichneten Schreibstil, hatte u.a. der Nobelpreisträger Heinrich Böll. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, im Magazin zu publizieren. In den 60er Jahren wurde das Magazin als „Bild-Zeitung für Intellektuelle“ bezeichnet – ein Schmähbegriff, der heute auf vielerlei Printerzeugnisse angewandt wird und der so zum geflügelten Wort wurde.

Der Journalist und Schriftsteller Erich Kuby veröffentlichte 1987 anlässlich des 40-jährigen Bestehens eine kritische Analyse des Nachrichtenmagazins unter dem Titel „Der Spiegel im Spiegel“. Wolf Schneider nennt das Magazin "den obersten Verhunzer der deutschen Sprache". Als Negativbeispiele für schlechtes Deutsch spielen in seinen Stilfibeln Zitate aus dem Spiegel eine große Rolle. Die Spiegel-Online-Kolumne "Zwiebelfisch" des Autors Bastian Sick ist derzeit wohl das bekannteste Forum, in dem Zweifelsfälle der deutschen Sprache dargestellt werden.

In der Anfangszeit von AIDS geriet Der Spiegel in die Kritik, da er in Interviews, z.B. mit Peter Gauweiler und in veröffentlichten Leserbriefen Raum für Forderungen wie die Tätowierung von HIV-infizierten Menschen und präventive Masseninternierung von Homosexuellen gab. Ein Motiv, das später von den – ebenso umstrittenen – kritischen Werbekampagnen von Benetton aufgegriffen wurde. Sie wurden ebenfalls zahlreich im Magazin gedruckt.

Trivia

„Erst kriegten sie ein Blatt für Lieschen Müller und waren unzufrieden. Jetzt haben sie ein Blatt für Dr. Lieschen Müller und sind unzufrieden.“ Konrad Adenauer
Analog dazu das geflügelte Wort von der „Bild-Zeitung für Intellektuelle“
„Ein Scheißblatt.“ Willy Brandt, 1974
Vom "Sturmgeschütz der Demokratie" zur "Spritzpistole der Angela Merkel", Tom Schimmeck, Mitbegründer der taz