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13. August 2002, 12:33   #23
tw_24
 
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Wann kommt die Flut?

Vor zwei, drei Jahren begeisterte das Duo Witt/Heppner mit der Frage "Wann kommt die Flut?" nicht nur die Charts, sondern eignete sich auch hervorragend dazu, bei Kerzenlicht und Rotwein zusammen mit der Freundin düstere Gedanken (und dann die Beziehung ;-)) zu pflegen. Und nun ist sie also da, die Flut - aber irgendwie schwanke ich zwischen der verordneten Betroffenheit - Dresden ist neuerdings Katastrophengebiet - und einem zynischen "Na und?", denn meine Füße sind sowas von trocken, daß mir die mediale Berichterstattung aus Dresden irgendwie fremd vorkommt. Klar, mein Regenschirm hat den gestrigen Tag nicht überstanden :-(, doch sonst gibt es auch mitten in der Katastrophe eigentlich mehr normales Leben als Katastrophe. Ach ja, das Kabel-TV ist auch ausgefallen :-(, doch sonst kann der Bewohner des Katastrophengebiets Dresden, der sich tw_24 nennt, wirklich nicht klagen - käme allerdings die Flut, dann sollte sie sich auf etwa eineinhalb Meter Höhe beschränken, sonst hätte ich in der Tat vielleicht ein paar Probleme mit wenig appetitlichen Flüssigkeiten.

Aber - noch? - ist die Gefahr weit, weit weg - bewegte Bilder kann ich ja nicht sehen -, aber zugleich bestimmen Blaulichter und Martinshörner das Straßen- und Lautbild.

Gestern zeigten boulevardverdächtige Aufnahmen umgestürzte Verkehrsschilder am überfluteten Elbufer, gesperrte - weil wasserreiche - Straßen, umgeworfene Bäume und Chaos überhaupt. Ich sehe anderes, genieße beinahe schon den Blick durchs offene Fenster auf die niedergehenden Wassermassen, die, wenn man in einer trockenen Wohnung sitzt und schon ein oder zwei Glas Whisky konsumiert hat, doch zu wildem Philosophieren (Soundtrack: The KLF: "The White Room" und Sven Väth: "Rituals of Life") über das Leben als solches und die Menschheit anregen - und irgendwie auch faszinieren. Und dann befiehlt mir wieder irgendeine Nachrichtensprecherin, daß ich a) sowieso unheimlich betroffen sein soll und erklärt, daß b) die Schadenssumme noch gar nicht zu beziffern ist.

Das mag stimmen. Doch was ist Geld, wenn unwiederbringliche Erinnerungen weggeschwämmt werden? Zahlen sind gefühllos, wertlos. Und Skats-Mitglied Cli ist im Moment weder mobil noch im Festnetz telefonisch ereichbar, was mich betroffen stimmt (räumlich sind es vielleicht 35 Kilometer Entfernung) (Und mittlerweile klappte dann doch noch einmal die Verbindung, also Cli ist noch da ;-).).

Aber wenn zugleich allerlei Wetterexperten verkünden, wir würden nun das erleiden, was vor zwanzig, dreißig Jahren verbrochen wurde, dann trifft es eigentlich ausnahmsweise einmal die Richtigen.

Dürre oder vernichtende Hochwasser kennen wir ja nur aus der Ferne, meistens vom "schwarzen Kontinent", der uns als Rohstofflieferant hochwillkommen ist, den wir auch heute noch gnadenlos ausbeuten - ohne Rücksicht auf Verluste, denn was kümmern uns schon hungrig verreckende Schwarze? Die vermehren sich ja sowieso wie die Kaninchen.

Aber nun sollen wir, der reiche Norden des Planeten, auch noch verantwortlich sein, für das, was - überraschend - uns trifft, auf uns herniederregnet. Und natürlich kommen ns mitleidige Tränen, wenn wir überschwemmte Keller und verrottende Möbel sehen. Das politisch-korrekte Mitleid wird ja auch wirklich medial hervorragend in Szene gesetzt - doch was sind eingentlich die zehn oder zwanzig Todesopfer dieser von uns zu verantwortenden Unwetter gegenüber dem täglichen zehntausendfachen Hungertod in Afrika, der im Grunde schon mit ein paar Cents pro Tag zu verhindern wäre?

Eine selbstmitleidige Sondersendung jagt die andere, daß wir bisher allerdings relativ regungslos zuschauten, wenn in unserem asiatischen/afrikanischen Hinterhof tausende Menschen verendeten, wird nicht thematisiert.

Wir sind Opfer - zweifellos. Aber wir, die nordatlantischen "Wohlstandgesellschaften", sind auch die Täter - doch da heißt es von den Wetter-Profis wieder diffus verklärend "die Menschen".

Ein verhungerndes Kind im Nordirak ist nicht dafür verantwortlich, daß irgendwo in Bayern ein Keller zum Wasserspeicher wurde - dafür verantwortlich sind wir, die wir Autos fahren, die 1.5 Tonnen (z.B. VW-Beetle) wiegen, aber nur 80-90 Kilogramm Mensch befördern (der Trabant wog bei geringerem Spritverbrauch dagegen nur 600-700 Kilogramm ...) sollen - und diese negative Leistungsbilanz gilt uns als eine hinnehmbare oder gar unverzichtbare Selbstverständlichkeit.

Bisher traf unser wirtschaftlicher und ökologischer Egoismus immer nur die anderen, doch nun trifft das Schicksal uns, die Verursacher. Ich bin kein Masochist, eher schon Hedonist, kann mit trockenen Füssen also auch diese Zeilen tippen, die vielleicht zynisch wirken, ich kann dennoch aber auch feststellen, daß wir verdammt gut sind, wenn es gilt, Mitleid oder Betroffenheit zu heucheln, wenn das Schicksal nur die Falschen - also uns - trifft, die doch genau die Richtigen sind.

Endlich (!!!???) bekommt Europa die Quittung für seinen ausbeuterischen Raubbau in den Kolonien zu spüren- und selbst diese Lektion verläuft noch recht zaghaft, denn ein überflutetes Wohnzimmer ist noch immer leichter ersetzbar als ein verhungertes Kind ...

MfG tw_24