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12. July 2005, 19:22   #137
Akareyon
 
Registriert seit: November 2001
Beiträge: 2.823
Kurze Anmerkung zu diesem Text: es liegt mir nicht, jede meiner Behauptungen immer und grundsätzlich zu belegen - das würde eine Menge Recherchen und Links mit sich bringen, Sollte irgendwas unklar sein, fragt bitte nach, dann erläutere ich gerne näher, was ich meinte. Ziel des Vortrags ist nicht, einzelne Fallbeispiele zu analysieren (um sich nicht an diesen aufhängen zu müssen), sondern einen groben Umriß der Problematik zu zeichnen und Alternativen zu finden. Einige finden sich hier ja bereits namentlich wieder.

Genereller Warnhinweis: wenn Ihr mich oder meine Beiträge schon immer für ein bisschen oder ein bisschen sehr unzurechnungsfähig, geistig unterentwickelt, mental benachteiligt, menschlich abstoßend, äußerlich merkwürdig, stilistisch mangelhaft oder inhaltlich fragwürdig gehalten habt, ist es Euch nicht gestattet, diesen Beitrag zu lesen. Ignoriert ihn bitte.


Ich hätte das mit der Monarchie schon längst erklären können, wie ich das genau meine. Aber dazu müßte ich Platon bemühen, und soll doch niemanden überfordern.

Zum politischen Tagesgeschehen: der strukturelle Denkfehler ist doch, daß hier Weh und Heil von der Politik abhängig gemacht werden - als ob nur diese Einfluß auf Erfolg und Niederlage einer Idee, eines Programms oder einer Reform hätte.

Die Wahrheit ist: es liegt am System. Die halbherzigen "Stellschrauben"-Versuche (ein wirklich sehr schönes Bild) des Union-Programms beweisen es wieder. Es ist das Bemühen um den bestmöglichen Konsens.

Sollte man die Meinung eines Menschen aus dem dritten Jahrtausend tatsächlich in Fraktionen unterteilen können? Sind die Lebensweisen im Vergleich zu früher nicht viel individueller und freiheitlicher? Wir leben in einer Kultur, in der sich jeder aus jeder Subkultur herauspflücken kann, was ihm am besten gefällt, persönliche Patchwork-Religion mit und Anleihen verschiedenster Weltanschauungen inlusive. Niemand fürchtet Pranger oder Scheiterhaufen.

Das politische System der Bundesrepublik geht auf die veränderten Bedürfnisse des Einzelnen nicht mehr ein. Im 19. Jahrhundert, während der ersten Laufversuche der ersten parlamentarischen Demokratien, war es vielleicht einfacher, die verschiedenen Strömungen eines Volkes in wenige verschiedene Programme zu fassen. Wer heute beispielsweise gegen Abtreibung, aber für Naturschutz, gegen den Beitritt der Türkei zur EU, aber für eine Welt ohne Grenzen stimmen würde, ist verloren. Mitte-Links? Liberal-Konservativ?

Die Emanzipation der verschiedenen Strömungen hat dazu geführt, daß alles geht - die Endverbraucher wollen daher auch ihren gesamten Lebensstil danach ausrichten können. Costumization ist das Schlagwort: jeder kann irgendwo mit einem eigenen Handy-Cover, Bildschirmschoner, Klingelton, Mod-PC, Auto, Homepage, Tattoo, Piercing, Frisur, Klamotten, Zimmerpostern, Avataren und Usertiteln ein Bild seiner Persönlichkeit zeichnen (manche halten es für Schnickschnack - andere mögen es, es ist halt Geschmackssache)... die musikalische Vielfalt auf jedem einzelnen durchschnittlichen iPod beispielsweise ist ungeahnt. Daher wünschen sich die Menschen - gerade jüngere, unpolitische - auch von der Politik: Lösungen nach Maß. Hauptsache, hinterher ist alles cooler.

Zwischen Reformvorhaben und Umsetzung spielt deswegen ein wichtiger Faktor eine Rolle: das Management.

Man mag es kaum glauben, aber ein Vorhaben wie die Hartz-IV-Gesetze huckt so eine Regierung mit ihren Ministern ja nicht alleine. Nicht, wenn hier ein bisschen geschraubt und da ein bisschen was besser gemacht wird. Dazu sind die meisten politischen und wirtschaftlichen Prozesse mittlerweile viel zu eng geflochten - von hier bis Neuseeland in Millisekunden. Maßnahmen müssen daher als ganzes, nicht als Stückwerk, in Angriff genommen werden.

Dazu bedarf es eines fähigen Managements und jede Menge Ressourcen - finanzielle, um die Maßnahmen zunächst zu simulieren (wie es jede andere Wissenschaft mittlerweile auch macht) und die Rohstoffe (Abläufe, Verfahren, Know-How) zu beschaffen - und personelle. Deren Förderung jedoch erweist sich schwierig - und hier liegt der Fehler wirklich in der Politik - weil Vorschläge und Vorhaben am Volk vorbeikommuniziert werden. Einerseits, weil man es eh für zu doof hält, andererseits, weil politische Sprache die der Diplomatie ist. Es heißt nicht "Du dummer Bürger", sondern "Sie dummer Bürger).

Früher galt selbst unter einigen Unionspolitikern das Argument: "Hartz IV ist gut, nötig und wichtig, aber die Regierung bringt es falsch rüber." Heute lautet der Tenor eher: "Es hapert bei der Umsetzung."

Denn das, was die Hartz-Reformen eigentlich bewerkstelligen wollten, war eine Zusammenarbeit aller öffentlichen Institutionen: alles sollte miteinander vernetzt werden, damit dem Kunden der Agentur, der damals noch der Bürger im Amt war, so schnell und effektiv wie möglich geholfen werden kann. Kirchen, Ämter, Verbände und Vereine sollten ein gemeinsames "Yo, wir schaffen das"-Konzept entwickeln, die Beschäftigungslosigkeit der Arbeitswilligen durch Förderung beenden und die Volkswirtschaft ankurbeln -

in Wolfsburg hat's doch auch geklappt, verdammt.

In Deutschland wuselt aber nicht ein 80 Millionen großes Volk umher, sondern da kämpfen 80 Millionen Individuen um ihr persönliches Überleben.

Was übrigbleibt, ist also der parteienübergreifende Ruf nach einer "Nachbesserung der Arbeitsmarktreformen". Die Politik wird zu Verbesserungen aufgerufen, nicht das Management, das eigentlich mitverantwortlich ist für Kommunikation, Direktion und Umsetzung der Ideen - weil es selbst wieder unter dem Druck stand, das nach der Wahltaktiererei übriggebliebene Konsensknäuel zu entwuseln und es allen Interessengruppen möglichst recht zu machen.

Jeder einzelne Deutsche hat nämlich Angst um seine kleinen Annehmlichkeiten, die ihm der Staat hier und da noch verschafft - sei es als Unternehmer, Häuslebauer oder Hartz-IV-Empfänger. Und so gründen sie Interessengemeinschaften und Vertreterverbände, die mit den ihnen gegebenen Druckmitteln die eigentlich wohlmeinende Politik unterminieren - bis die sogenannten "grundlegenden Reformen" mit ihren eisernen Prinzipen solange von den Repräsentanten von Arbeitnehmer-, Arbeitgeber-, Wirtschafts-, Bundeshaushalts- und Oppositionsinteressen weichgeklopft wurden. Anders will es das Volk ja anscheinend auch gar nicht, sonst würden sich alle mal zusammenreißen und sich auf die Hinterläufe stellen. Aber dazu sind die Deutschen ja bekanntlich zu doof. Mal sind's die Bauern, mal die Studenten und jetzt die Hartz-IV-Empfänger, aber mein Gott, wen kümmert's, noch geht's ja.

Summa summarum könnte man sich also tatsächlich der Meinung anschließen, daß das deutsche Volk mal wieder die Führung bekommen hat und im September wieder bekommen wird, die es verdient. Darum mache ich mir genau wie Mexx eigentlich nicht mehr viele Gedanken drum - wenn's gar nicht mehr geht und genügend Leute die Schnauze vollhaben, wird es schon rumsen und danach kommt wieder irgendwas neues, supertolles, das dann nach zehn Jahren auch nicht mehr funktioniert. Es ist natürlich wichtig, sich möglichst zeitnah über aktuelle Entwicklungen in der Inlands- und Weltpolitik zu informieren, aber nur, um zu sehen, daß man da heile durchkommt. Wenn ich das in aller Gründlichkeit und mit allen Fakten und Quellen nur mache, um bei Diskussionen in Internetforen besser auszusehen und schlauer und informierter zu wirken, geht das ein bissl an der Zielsetzung vorbei, denn dadurch ändert man nichts. Es gibt in Deutschland die Möglichkeit, sein Wissen um die Tagespolitik und seine Änderungswünsche als ein Volksbegehren vorzubringen und sich mit dem Abgeordneten des eigenen Wahlkreises in Sprechstunden auseinanderzusetzen, wenn einem irgendwo was an der Politik nicht gefällt. Da braucht man hier nicht stundenlang rumnölen und sich gegenseitig die Worte im Mund verkehren. Finde ich. Darum habe ich ja auch gesagt: laß uns mal ein paar Änderungsvorschläge machen. Möchte mal hören, was Ihr dazu sagt. Es erwartet ja keiner das perfekte Konzept, aber wenn wir von Skats aus die Welt retten können, sollten wir es wenigstens probiert haben, oder nicht?

Damit es nicht so aussieht, als hätte ich mir irgendwas aus der Nase gezogen: es muß ja nicht immer Wikipedia sein.