Einzelnen Beitrag anzeigen
6. January 2003, 22:50   #1
Akareyon
 
Registriert seit: November 2001
Beiträge: 2.823
Aus der Reihe "PiLaMü": Die Merseburger Zaubersprüche

Der Erste Merseburger Zauberspruch:

Eiris sâzun idisi, sâzun hêra duoder
suma hapt heptidun, suma heri lezidun
suma clûbôdun umbi cuoniouuidi:
insprinc haptbandun, inuar uîgandun!


Einst setzten sich Jungfrauen/Idisen, setzten sich hierher...
Manche hefteten Haft, manche hemmten das Heer.
Einige zerrten an den Fesseln.
Entspring den Haftbanden, entfahr den Feinden!


Aus dem germanischen Sprachraum sind eine Menge Zaubersprüche überliefert. Die meisten jedoch sind christlich gefärbt. 1841 fand der Historiker Dr. Waitz zwei Zauberformeln auf althochdeutsch, die vorchristlichen Ursprungs waren - heidnische Zauberformeln!

Das Schriftstück wurde Jakob Grimm (genau, der Jakob Grimm) vorgelegt. Der schrieb:
Zitat:
Zitat von Jakob Grimm
Gelegen zwischen Leipzig, Halle, Jena ist die reichhaltige Bibliothek des Domkapitels zu Merseburg von Gelehrten oft besucht und genutzt worden. Alle sind an einem Codex vorbeigegangen, der ihnen, falls sie ihn näher zur Hand nahmen, nur bekannte kirchliche Stücke zu gewähren schien, jetzt aber, nach seinem ganzen Inhalt gewürdigt, ein Kleinod bilden wird, welchem die berühmtesten Bibliotheken nichts an die Seite zu setzen haben...
Der erste Zauberspruch ist ein Lösesegen und soll die auf dem Schlachtfeld gefangenen Krieger befreien.

Der zweite Spruch war ein Heilungssegen: es geht um ein Fohlen, dessen verrenktes Bein geleimt werden soll. Unklar ist jedoch, wer Sinthgunt, Sinna, Balder, Phol und Volla waren, eindeutig identifiziert sind nur Wotan (Odin) und Freya, seine liebreizende Göttergattin.

Der Zweite Merseburger Zauberspruch:

Phol ende Uuôdan uuorun zi holza.
Dû uuart demo Balderes uolon sîn uuoz birenkit.
thû biguol en Sinthgunt, Sunna era suister,
thû biguol en Frîia, Uolla era suister;
thû biguol en Uuôdan sô hê uuola conda:
sôse bênrenkî, sôse bluotrenkî,
sôse lidirenkî:
bên zi bêna, bluot zi bluoda,
lid zi geliden, sôse gelimida sin!


Phol und Wodan ritten ins Holz.
Da ward dem Fohlen Balders der Fuß verrenkt.
Da besprach ihn Sinthgunt (und) Sunna, ihre Schwester.
Da besprach ihn Frija (und) Volla, ihre Schwester.
Da besprach ihn Wodan, wie (nur) er es verstand:
So Knochenrenke wie Blutrenke
Wie Gliedrenke:
Bein zu Bein, Blut zu Blut,
Glied zu Gliedern, als ob geleimt sie seien! (oder: dass sie gelenkig sind!)


Melodien wurden nicht überliefert, doch eine meiner Lieblingsbands, "In Extremo", haben sich auf ihren Alben "Verehrt und angespien" und "Sünder ohne Zügel" an die Interpretation gemacht - sehr gelungen, möchte ich meinen