Thema: Stichtage
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19. September 2006, 07:44   #294
Jules
 
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19. September 1991: In den Südtiroler Alpen wird die Gletschermumie Ötzi gefunden

Der Mann vom Hauslabjoch, allgemein bekannt als Ötzi, ist eine Gletschermumie aus der ausgehenden Jungsteinzeit (Neolithikum) bzw. der Kupferzeit (Eneolithikum, Chalkolithikum), die am 19. September 1991 in Südtirol (Italien) beim Tisenjoch nahe dem Hauslabjoch in den Ötztaler Alpen oberhalb des Niederjochferner in 3210 m Höhe gefunden wurde.

Das Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen verwendet die Bezeichnung Der Mann aus dem Eis. Im englischen Sprachgebrauch finden sich die Bezeichnungen Iceman und Frozen Fritz.

Aufbewahrungsort
Da Ötzi in der Grenzregion von Österreich nach Italien gefunden wurde, erhoben beide Staaten Anspruch auf die Leiche. Um Klarheit zu schaffen, wurde der Verlauf der Staatsgrenze vermessen. Es stellte sich heraus, dass der Fundort 92,55 Meter von der Grenze entfernt auf italienischem Gebiet liegt und Ötzi somit Eigentum Italiens ist.

Seit März 1998 ist Ötzi im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen ausgestellt. Für die Präsentation mussten vollkommen neue Kühltechniken entwickelt werden. Die erste wissenschaftliche Publikation fand durch Konrad Spindler von der Universität Innsbruck statt.

Fundumstände
Die Entdeckung Ötzis im Jahr 1991 war eine Sensation, da der Mann vom Hauslabjoch die bislang am besten erhaltene und auf natürlichem Wege konservierte Leiche aus der Zeit um 3340 v. Chr in Mitteleuropa ist. Als Entdecker gelten nach einem mehrjährigen Rechtsstreit seit November 2003 die beiden deutschen Bergwanderer Helmut und Erika Simon aus Nürnberg. Gegen diesen Entscheid des Bozner Landesgerichts legte die Landesregierung von Südtirol Berufung ein, da sich andere Personen gemeldet hätten, die den Gletschermann gefunden haben wollen, die Slowenin Magdalena Mohar und die Zürcherin Sandra Nemeth. Die Motivation für den Rechtsstreit sind Finderlohn-Forderungen bis zu 300.000 Euro.

Benennung
Der Mitentdecker Spindler schrieb:
„Schon von der ersten Stunde an entwickelt der Name für den Gletscherfund eine ausgesprochene Eigendynamik. Die Namensgebungen reichten dabei vom emotionalen Gefühlsausbruch bis zur verbindlichen wissenschaftlichen Benennung die freilich auch nicht ganz unmstritten blieb. Das einzige, was dabei von Anfang an außer Zweifel stand, war die Tatsache, dass der eigentlichen Fundort keinen Namen trägt.“
Da der einzig geographisch stabile Namen das Hauslabjoch ist (Ortner, Spindler) und er alle Bezüge versammeln wollte, nannte er ihn in seinem oben erwähnten Aufsatz: Jungneolithische Mumie aus dem Gletscher vom Hauslabjoch, Gemeinde Schnals, Autonome Provinz Bozen, Südtirol, Italien.

Similaunmann ist ebenfalls eine journalistische Erfindung, denn einen Gletscher gleichen Namens gibt es - im Gegensatz zu einem gleichnamigen Berg, dem Similaun - nicht. Nur aufgrund der Similaunhütte als Anlaufstelle für alle Bergwanderer zum Hauslabjoch blieb der journalistisch geprägte Namen haften.

Es war der Wiener Reporter Karl Wendl, der die Mumie in seinen Artikeln erstmals kurzerhand Ötzi nannte, denn:
„Diese ausgetrocknete, grässlich anzusehende Leiche muss lieblicher werden, um daraus eine gute Story zu machen.“
Spindler selbst „resignierte“ mit Humor und Anstand gegenüber dieser Sprachschöpfung:

„Weltweit hat sich allerdings nur ein einziger Kosename durchgesetzt: Ötzi. Ohne Artikel verwendet und auch im Ausland stets großgeschrieben, ist die Eigennamenbildung abgeschlossen. Der Name ist [sic!] lexikonreif.“
Die Germanistin Lorelies Ortner untersuchte im Rahmen einer Forschungsarbeit exemplarisch Textstellen aus Zeitungen und Zeitschriften nach den Benennungen für die Eisleiche und stellte fest, dass der Kosename erstmals sieben Tage nach dem Fund in den Medien aufgetaucht sei:

„Liebevoll als Ötzi bezeichnet, verlor die am Innsbrucker Gerichtsmedizinischen Institut als 'Nr. 619/91' geführte, bei der Staatsanwaltschaft unter 'Strafverfahren gegen unbekannter Täter' eingeordnete und im juristischen Jargon unter dem klingenden Namen 'Leichensache Hauslabjoch' bekannte Eisleiche ihre Leichenhaftigkeit und wurde medienwirksam wiederbelebt.“

Ein weiteres bekanntes Beispiel dafür, dass ein Vormenschenfund aus grauer Vorzeit einen Kosenamen erhielt, um den Knochen- bwz. Mumienfund die abschreckende Distanz zu nehmen, ist jenes 1976 in Äthiopien gefundene Skelett eines jungen weiblichen Australopithecus: Lucy.

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